Leatherface

Eine Filmkritik von Rochus Wolff

Vor der Motorsäge

Er ist eine der großen, ikonischen Figuren des Horrorkinos, eine in den 43(!) Jahren, seit er erstmals eine Leinwand beleuchtete, nachgerade mythisch aufgeladene Figur: Der Mann mit der Motorsäge, das Monster hinter der Gesichtsmaske aus Menschenhaut. Tobe Hoopers The Texas Chain Saw Massacre wurde in Deutschland erst gekürzt und dann indiziert, nachdem er vorher den so suggestiven wie in eine völlig falsche Richtung weisenden Titel Blutgericht in Texas erhalten hatte. Erst 2011 wurde der Film vom Index gestrichen und darf hierzulande (ohne jede Jugendfreigabe) wieder verkauft und vorgeführt werden. Seinem Kult- wie Kunststatus hat das alles letztlich nicht geschadet.
The Texas Chain Saw Massacre verbreitet Angst und Schrecken weniger durch blutige Details, sondern vor allem durch Taten und Handlungen, die nicht gezeigt, sondern nur suggeriert werden; der Film terrorisiert durch seine Tonspur, die (gefühlt) während der Hälfte der 83 Minuten vom Schrillen, Dröhnen und Drohen der titelgebenden Motorsäge erfüllt ist, mit der der erwachsene Sohn der kannibalistischen Schlachterfamilie Sawyer seine Opfer durch die ländliche texanische Einöde jagt. Seinen Spitznamen „Leatherface“ verdankt er dem Umstand, dass er sich aus der Gesichtshaut seiner Opfer eine Maske genäht hat, um sein eigenes, entstelltes Antlitz zu verbergen.

Nach drei, vielleicht vier Fortsetzungen, einem Remake unter Ägide von (ausgerechnet!) Michael Bay nebst eigenem Prequel ist nun mit Leatherface ein weiterer Film entstanden, der sich am Ruf des Films und insbesondere an der Mythologie dieses einzigartigen Bösewichtes nährt. Man durfte dabei ein wenig auf eine interessante Perspektive hoffen, denn Regie führten Alexandre Bustillo und Julien Maury, die sowohl für Inside – Was sie will ist in dir verantwortlich sind, vielleicht den wichtigsten Film des neuen französischen Terrorkinos, als auch für Livid – Das Blut der Ballerinas – eine mindestens irritierende Übung in ästhetisch ansprechendem Horror, die sich in die Tradition des Gruselkinos setzte.

Aber, nun ja. Leatherface wagt nichts und weiß eigentlich noch nicht einmal, wohin mit den Pfunden, mit denen er wuchern könnte. Die berühmte Kettensäge hat natürlich einen prominenten Auftritt, aber sie wird hier zu einem beliebigen Utensil der Grausamkeit, sie verbreitet nicht Furcht durch Suggestion und Krach, sondern durch viel Kunstblut und direkte Einblicke in die menschliche Anatomie. Kann man machen, ist aber halt nicht per se interessant.

Vielleicht schwächelt auch die Handlung, weil man eigentlich schon weiß, wie sie enden muss. Seine Mutter Verna (Lili Taylor) möchte den jungen Jed Sawyer im Geschäft des Menschenmordens anlernen und schenkt ihm eine Motorsäge zum Geburtstag, aber er will nicht so richtig. Als dann kurz darauf die Tochter des örtlichen Polizeichefs Hal Hartman (Stephen Dorff) in der Scheune der Sawyers einen „Unfall“ hat, sorgt er dafür, dass Jed unter neuem Namen in eine psychiatrische Anstalt gesperrt wird und keinen Kontakt mehr zu seinen Eltern hat.

Eine gute Pubertät später brechen vier Insassen aus der Anstalt aus und nehmen die junge Krankenschwester Lizzy (Vanessa Grasse) als Geisel. Hartman nimmt die Verfolgung auf, denn natürlich ist Jed unter den Ausgebrochenen; es gibt schnell viele Tote und einige Verletzte, alles Monster außer Lizzy.

Es ist wirklich, wirklich unklar, wohin Seth M. Sherwood mit seinem Drehbuch wollte; eine Weile funktioniert der Film als Ratespiel, welcher der drei ausgebrochenen Männer (die mitgeflohene Insassin kommt nicht in Frage) wohl Jed gewesen sein mag. Und natürlich stehen der lynchmordende Hartman und die Elektroschock-Therapeuten in der Klinik für bösartige Institutionen – um daraus aber gesellschaftskritische Untertöne ableiten zu können, muss man sich schon mit sehr, sehr oberflächlichen und simplifizierten Argumentationssträngen zufriedengeben.

Ansonsten gelingt dem Film von Bustillo und Maury nichts von dem, was Hoopers Meisterwerk eigentlich ausmacht. Wenn es blutig wird, wird entweder genau hingeschaut oder die Gewalt gerade außerhalb des Bildes per extensiver Blutfontäne dargestellt. Dazwischen gibt es Ekligkeiten und Nekrophilie, aber keine Anwandlung von psychologischer Finesse, keinen Blick für das mythologische Erbe und schon gar kein ästhetisches Bewusstsein.

Am Ende von The Texas Chain Saw Massacre überlebt die eine junge Frau, die nicht aufgibt, aus Glück oder Mut oder Verzweiflung. Marilyn Burns’ Sally ist vielleicht das archetypische Final Girl, noch bevor John Carpenters Halloween – Die Nacht des Grauens diese Figur viel populärer machte. Leatherface bindet dieses Motiv des Final Girl in einen perversen Knoten; das ist aber nicht revolutionär, sondern nur der Versuch, mehr Ekel zu provozieren, die Schraube des Widerlichen weiterzudrehen. Das allein macht aber noch keinen guten Horrorfilm.

Leatherface

Er ist eine der großen, ikonischen Figuren des Horrorkinos, eine in den 43(!) Jahren, seit er erstmals eine Leinwand beleuchtete, nachgerade mythisch aufgeladene Figur: Der Mann mit der Motorsäge, das Monster hinter der Gesichtsmaske aus Menschenhaut. Tobe Hoopers „The Texas Chain Saw Massacre“ wurde in Deutschland erst gekürzt und dann indiziert, nachdem er vorher den so suggestiven wie in eine völlig falsche Richtung weisenden Titel „Blutgericht in Texas“ erhalten hatte.
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