Leanders letzte Reise (2017)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Der lange Schatten der Vergangenheit

Eduard Leander (Jürgen Prochnow) hat seiner Familie immer die Liebe verweigert. Nachdem seine Frau beim Fernsehen auf dem Sofa überraschend entschlafen ist, fühlt er ihren Puls, dann setzt er sich gefasst neben sie, als wäre das Thema erledigt. Zur Beerdigung reisen Tochter Uli (Suzanne von Borsody) und Enkelin Adele (Petra Schmidt-Schaller) an, doch der 92-Jährige meidet sie wie lästige Eindringlinge. Kurze Zeit später bekommt Adele einen Anruf von Uli: Eduard, der ihrer Meinung nach in ein Heim gehört, beabsichtigt, in die Ukraine zu fahren. Adele soll ihn sofort in Berlin aus dem Zug holen! Aber der Großvater lässt nicht mit sich reden, der Zug nach Kiew setzt sich in Bewegung und nimmt Adele mit auf eine Reise, die in die Vergangenheit Eduards und zu den Ursachen der emotionalen Verkümmerung ihrer Familie führt.

Unter der Regie von Nick Baker Monteys (Der Mann, der über Autos sprang) entfaltet sich der prozesshafte Charakter dieser Reise reizvoll. Eduard hat nie von seiner Vergangenheit als Wehrmachtsoffizier erzählt. Er verliebte sich in eine Frau, die er nun, im Jahr 2014, wiedersehen will. Doch die Spur führt direkt ins Kriegsgebiet in der ukrainisch-russischen Grenzregion. Zu Eduards und Adeles gemeinsamem Reiseerlebnis gehört außer der Gefahr auch die Beobachtung, dass der ukrainisch-russische Konflikt sogar Familien zu spalten droht. Im Zug haben sie nämlich Lew (Tambet Tuisk) kennengelernt, der ihr Freund und Begleiter wird – und Adeles Herz erobert. Als Gäste in Lews Elternhaus und später im Haus seiner Großmutter bekommen die Deutschen die Spannungen mit, die zwischen ihm als überzeugtem Anhänger des Euromaidan, seinem Vater und seinem Bruder herrschen, der wiederum zu den prorussischen Separatisten gehört.

Die Gegenüberstellung beider Kriegsepochen wirkt immer etwas fragwürdig. Eduard wird von Lews Vater als Faschist bezeichnet, die Maidan-Demonstranten von manchen ihrer Gegner auch. Eduard leugnet keineswegs, ein faschistischer Täter gewesen zu sein. Aber er befehligte eine Kavallerieeinheit der Kosaken. Weil es ethnische Spannungen zwischen Kosaken und Sowjetrussen gab, schlugen sich damals einzelne Kosakenverbände auf die Seite der Deutschen. Nationalistische Ressentiments, die auf den Zweiten Weltkrieg zurückgehen, lassen sich wiederum auch in der gegenwärtigen Krise zwischen Ukrainern und Russen ausmachen. Aber solche Parallelen sind dann doch zu gewollt, zu nebulös. So zieht sich die filmische Botschaft auch bald auf die allgemeine Erkenntnis zurück, dass der Krieg die Menschen ihrer Unschuld beraubt.

Eduard gegenüber will sich der Film nicht zum Richter aufspielen. Zu seiner Realität gehört auch, dass er Menschen gerettet hat und für manche ein Held ist. Die filmische Absicht ist jedoch nicht, seine Kriegsvergangenheit zu verharmlosen, sondern offenzulegen und zu differenzieren. Leider beschränkt sich die Absicht oft auf bloße Erwähnungen, denen keine Diskussion mehr folgt. So bleiben die Zuschauer beispielsweise mit der Information, dass Eduard auf dem Rückzug vor der Roten Armee Kriegsgefangene exekutieren ließ, weitgehend allein.

Wesentlich klarer wird die Beziehungsdynamik herausgearbeitet. Adele und Eduard bekommen auf der Reise Zeit zum Verschnaufen und zur bruchstückhaften, unbeholfenen und doch so lohnenden Auseinandersetzung. Jürgen Prochnow spielt Eduard herrlich störrisch und verschlossen, ohne seine Sehnsüchte und seine Verletzlichkeit zu verleugnen. Petra Schmidt-Schaller überzeugt als lebhafte junge Frau, die die Frustration über die eigene Familie rebellisch werden ließ.

Die Kamera macht sich die bedächtige, um Realitätsnähe bemühte Perspektive des Films zu eigen. Die weiten Ebenen auf der langen Zugfahrt in die Ukraine, die Straßen Kiews, der rückständige Eindruck der in die Natur eingebetteten Dörfer ergeben eine kontrastreiche Kulisse. Statt auf Pathos zu setzen, baut die Inszenierung eine glaubwürdige Atmosphäre der Entdeckungen auf, die für Neugier und Anteilnahme sorgt und dieses Roadmovie sehenswert macht.
 

Leanders letzte Reise (2017)

Eduard Leander (Jürgen Prochnow) hat seiner Familie immer die Liebe verweigert. Nachdem seine Frau beim Fernsehen auf dem Sofa überraschend entschlafen ist, fühlt er ihren Puls, dann setzt er sich gefasst neben sie, als wäre das Thema erledigt. Zur Beerdigung reisen Tochter Uli (Suzanne von Borsody) und Enkelin Adele (Petra Schmidt-Schaller) an, doch der 92-Jährige meidet sie wie lästige Eindringlinge.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen