Land in Sicht

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Willkommen in Deutschland?

Nein, die drei Flüchtlinge, von deren Schicksal Antje Kruska und Judith Keil in ihrem Dokumentarfilm erzählen, befinden sich nicht mehr auf der Flucht, sie schippern nicht mehr auf einer überladenen Nussschale über das Mittelmeer oder nehmen einen anderen Weg in ein neues, besseres Leben – sie sind bereits angekommen in Deutschland, am Ziel ihrer Träume und Hoffnungen. Es ist sozusagen die letzte Etappe, auf der sie sich befinden, kurz vor der letzten Hürde, die noch genommen werden muss, um endlich eine neue Heimat zu finden. Vor diesem Ziel aber steht das Anerkennungsverfahren. Das aber braucht eine Weile und wird zudem nicht für jeden mit der Erteilung des Aufenthaltstitels enden.
Insgesamt zwei Jahre haben die beiden Regisseurinnen Judith Keil und Antje Kruska (Der Glanz von Berlin, Dancing with Myself, Wenn die Welt uns gehört, Gestrandet) an ihrem neuen Film gearbeitet. Entstanden ist Land in Sicht aus einer kleinen 15-minütigen Reportage für das Fernsehen, in deren Verlauf den Filmemacherinnen schnell klar wurde, dass das Thema auch einen Langfilm gut würde tragen können – zumal dann, wenn die Protagonisten sorgfältig ausgewählt und willens sind, Einblicke in ihren mühsamen Alltag zu geben. In diesem Fall funktioniert die Mischung, die Judith Keil und Antje Kruska gefunden und mit der Kamera begleitet haben: Brian aus Kamerun, Farid aus dem Iran und Abdul aus dem Jemen verbindet auf den ersten Blick nicht viel außer der Tatsache, dass alle drei im brandenburgischen Bad Belzig im gleichen Asylbewerberheim untergebracht sind.

Farid ist ein massiger Kerl mit dem sanften Gemüt eines Bären. Er musste aus dem Iran fliehen, als er bei einer Demonstration gegen die Regierung auffällig wurde und Hals über Kopf zusammen mit seinem Bruder seine Heimat, seine Frau und seinen sechsjährigen Sohn verlassen musste. Zwei Jahre ist das nun schon her und seit dieser Zeit leidet er enorm unter der Trennung von seiner Familie, sieht seine Frau von außen unter Druck gesetzt und verfällt schließlich in tiefe Depressionen, weil es immer unsicherer erscheint, ob er sie und sein Kind jemals wiedersehen wird.

Ganz anders tritt hingegen Abdul auf. Der Ex-Soldat aus dem Jemen stammt aus einer hochrangigen Familie und betont gerne bei jeder Gelegenheit, dass er wie sein Vater in seiner Heimat Scheich war. Dann gab es eine Verschwörung gegen ihn, wie er recht unkonkret andeutet, in deren Verlauf er angeschossen wurde und nach Deutschland zur Behandlung kam – sieben Jahre ist das nun schon her. Man spürt diesem Mann an, dass er es früher gewohnt war zu bekommen, was er wollte. Noch heute versucht er mit selbstsicherem Auftreten seine (Sprach-)Defizite zu kaschieren und die Menschen, denen er begegnet, für seine Zwecke einzuspannen. Und oft genug schießt er dabei über das Ziel hinaus, versperrt sich der harschen Realität und hängt Träumereien von Größe, Macht und Bedeutung nach, die sich mit seinem aktuellen Status nur schwer in Einklang bringen lassen.

Der dritte im Bunde ist Brian aus Kamerun, der aufgrund der Lage in seiner Heimat wohl eher kein politisches Asyl erhalten wird. Er sucht wie viele andere Menschen aus Afrika einfach nach einem besseren Leben in Deutschland und muss ernüchtert feststellen, dass nicht die Flucht, sondern der Alltag mit all seinen Einschränkungen eine harte Prüfung sind. Am Ende seines Weges gibt es drei Möglichkeiten – und keine davon gefällt ihm sonderlich: Entweder Brian wird abgeschoben und muss in seine Heimat zurück oder er erhält den Status der Duldung, was ihn ohne Arbeitserlaubnis und Freizügigkeit in der Bewegungs- und Handlungsfreiheit zu beinahe vollkommener Untätigkeit verdammt oder aber er heiratet eine Deutsche oder wird Vater eines Kindes mit einer Einheimischen, was er sich ohne Liebe auch nur schwer vorstellen kann.

Die beiden Regisseurinnen sind ihren drei Protagonisten und der Sozialarbeiterin des Heimes Rose Dittfurth sehr nahe gekommen. Fast ohne sichtbare Intervention und ohne klassische Interviewsituationen begleiten sie den Alltag dieser vier Menschen und fördern zwischen der Mühsal der Behördengänge und der Langeweile des Lebens im Asylbewerberheim auch immer wieder Momente der Absurdität und der Komik zutage, wenn etwa ein kleines Konzert für die Asylbewerber an verregneter Tristesse kaum zu überbieten ist oder wenn die still beobachtende Kamera Brian auf Freiersfüßen in einen Club begleitet, wo er schnell feststellen muss, dass das Anbandeln mit einer Deutschen nicht seine Sache ist.

Es sind fein beobachtete Momente wie diese, die die Balance halten zwischen intimem Porträt und gesellschaftlich engagierter Dokumentation. Ohne erhobenen Zeigefinger, aber viel Empathie für ihre Protagonisten wirbt Land in Sicht für eine Sache, die eigentlich selbstverständlich sein sollte: Den einzelnen Menschen hinter den anonymen Zahlen der Asylantenstatistik zu sehen.

Beim 56. Festival für Dokumentar- und Animationsfilm DOK Leipzig erhielt Land in Sicht den Preis des Goethe-Instituts, das diesen Film in seinen internationalen Dependancen zeigen wird. Man darf also hoffen, dass dieser Film nicht nur die Schwierigkeiten des Asylverfahrens hinaustragen wird in die Welt, sondern dass er ebenso zeigt, dass es auch einen anderen, mitfühlenden, aber nicht beschönigenden Blick auf die Menschen gibt, die sich auf den Weg nach Deutschland machen.

Land in Sicht

Nein, die drei Flüchtlinge, von deren Schicksal Antje Kruska und Judith Keil in ihrem Dokumentarfilm erzählen, befinden sich nicht mehr auf der Flucht, sie schippern nicht mehr auf einer überladenen Nussschale über das Mittelmeer oder nehmen einen anderen Weg in ein neues, besseres Leben – sie sind bereits angekommen in Deutschland, am Ziel ihrer Träume und Hoffnungen.
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