Kopfüber

Eine Filmkritik von Katrin Knauth

Diagnose ADHS

Plattenbau, Stullen vorm Fernseher, Fulltime-Job als Kindergärtnerin — wir sind mittendrin im Alltag von Frau Martens (Inka Friedrich), alleinerziehender Mutter von drei Kindern, die nur irgendwie versucht, ihr Leben möglichst in den Griff zu bekommen. Oder besser gesagt, das ihrer Kinder. Sorgen macht vor allem der jüngste Sohn: Sascha (Marcel Hoffmann), 10 Jahre jung, Lese- und Schreibschwächen, auffällig durch Diebstähle, der Polizei längst bekannt. Allein bekommt sie das nicht in den Griff: „Wir brauchen jemand, der Dir hilft, der uns hilft.“
Helfen würden Zeit, Zuneigung und Nähe der Mutter. Doch von all dem hat sie zu wenig. Das Jugendamt soll helfen. So wie damals als die Mutter krank war und ihre drei Kinder mehrere Wochen im Heim verbrachten. Die Lösung diesmal: ein Erziehungsbeistand für Sascha. Herr Berger (Claudius von Stolzmann) soll Saschas kindlichen Leichtsinn in die richtigen Bahnen lenken. Doch wie reagiert ein Kind, dem immer wieder nur seine Schwächen vorgehalten werden? Es geht auf Konfrontation. Seiner Mutter gegenüber, Herrn Berger, in der Förderschule.

Der einzige Mensch, der Sascha hilft, ist seine gleichaltrige Freundin Elli (Frieda-Anna Lehmann). Solange er mit ihr durch die Umgebung von Jena streift und in den Schächten und Tunneln Klänge sammelt, ist die Welt in Ordnung. Elli ist einfach da für Sascha und akzeptiert ihn. Seelenfrieden findet er auch in seiner kleinen Fahrradwerkstatt, wo er davon träumt, später einmal Fahrräder zu reparieren. Doch das allein bringt Sascha nicht weiter in der Schule und hält ihn auch nicht davon ab, Dinge zu stehlen und Unruhe zu stiften. Doch was ist eigentlich das Problem?

Sascha ist krank. Eine Ärztin diagnostiziert bei ihm ADHS, die allseits gefürchtete Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung bei Kindern. Ein Medikament, eine Therapie und viele Arzttermine sollen helfen. Sascha wird tatsächlich ruhiger, aber es ist eine Heilung mit Nebenwirkungen. „Weißt Du eigentlich, dass Du nicht mehr lachen kannst“, macht ihn Elli auf seinen Gemütszustand aufmerksam. Nein, zu lachen hat Sascha nicht mehr viel. Eine unbeschwerte Kindheit sieht anders aus.

Bernd Sahlings zweiter Spielfilm Kopfüber zeigt auf unaufgeregte Art den Mikrokosmos eines zehnjährigen Jungen, bei dem eine Krankheit diagnostiziert wird, die nach Aufmerksamkeit und Nähe ruft. Es ist das Bild eines Kindes, das die Zuneigung seiner Mutter dringend braucht, sie aber nicht bekommt. Am liebsten möchte man den Jungen selbst an die Hand nehmen und ihm das geben, was er so dringend benötigt. Sascha ziellos durch den Film zu navigieren, schafft Bernd Sahling ganz wunderbar. Man sieht dem Film an, dass sein Regisseur nicht zum ersten Mal mit Kindern und Jugendlichen gedreht hat. Sahling begann seine berufliche Laufbahn im Defa-Studio als Regieassistent in Kinderfilmproduktionen. Einige Jahre arbeitete er nebenberuflich für das Jugendamt Potsdam. Im Jahr 2004 brillierte er mit seinem Spielfilmdebüt Die Blindgänger. Mit Kopfüber beweist er aufs Neue, wie er sich in die Gedanken- und Gefühlswelt eines Kindes einfühlen kann. Realistisch!

Kopfüber

Plattenbau, Stullen vorm Fernseher, Fulltime-Job als Kindergärtnerin — wir sind mittendrin im Alltag von Frau Martens (Inka Friedrich), alleinerziehender Mutter von drei Kindern, die nur irgendwie versucht, ihr Leben möglichst in den Griff zu bekommen. Oder besser gesagt, das ihrer Kinder.
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