Junction 48

Eine Filmkritik von Falk Straub

Der Beat eines zerrissenen Landes

Mit Musik ganz nach oben: Regisseur Udi Aloni erzählt in Junction 48 die Geschichte des Underdogs Kareem (Tamer Nafar), der sich nahe Tel Aviv den Frust von der Seele rappt. Bei der 66. Berlinale gab es dafür den Publikumspreis der Panorama-Sektion.
Wenn Kareem nach Feierabend die dicken Kopfhörer aufsetzt, lässt er seine eintönige Arbeit im Callcenter weit hinter sich. Dann versinkt er in eine vielstimmige Welt aus Reimen und Rhythmen, rappt laut im Zugabteil und bewegt sich zum Beat. Seine Fahrt führt nach Lod, wo er auch ohne Schnürsenkel in den Sneakern behänd über das Drehkreuz springt und ein paar Meter weiter, vom Flow der Musik getragen, vor zwei Polizisten Reißaus nimmt. Kareems Zuhause, 20 Kilometer östlich von Tel Aviv, ist wie so viele Orte in Israel ein geschichtsträchtiger. Schon in der Antike war die Stadt, die die Palästinenser bis heute Lyd nennen, ein bedeutender Verkehrsknotenpunkt. Lods Bahnhof ist der größte des Landes, der internationale Flughafen Ben Gurion liegt nur wenige Minuten entfernt. Ein Ort der Vielfalt und des kulturellen Austauschs, aber auch der Vertreibung. Während des Palästinakriegs 1948 musste der Großteil der arabischen Bewohner seine Koffer packen.

Auch Kareem ist auf der Flucht, will mit seinen Songs ganz nach oben, weg von den Polizeikontrollen in seinem Viertel, raus aus einer Nachbarschaft, in der sich viele seiner Freunde mit krummen Geschäften und schmutzigen Deals über Wasser halten. Mit seinem Bruder Hussain (Ayed Fadel) an den Plattentellern und Kumpel Amir (Sameh Zakout) am Mikrofon teilt sich Kareem die Bühne, mit der talentierten Sängerin Manar (Samar Qupty) auch das Bett. Gemeinsam träumen die vier von einer Musikkarriere. Ihr Nachbar Talal (Saeed Dassuki) gibt den Manager, verschafft der Gruppe Auftritte, erst auf Kindergeburtstagen, dann in angesagten Tel Aviver Clubs. Doch selbst dort geht ein Riss durch die Gesellschaft. Während Kareem auf Arabisch über die alltäglichen Probleme eines Palästinensers in Israel rappt, besingen andere auf Hebräisch die Unbesiegbarkeit des jüdischen Volkes.

Der 1979 in Lod geborene Hauptdarsteller Tamer Nafar ist auch im wahren Leben Rapper. Junction 48 erzählt zwischen den Zeilen auch immer ein wenig die Geschichte seiner Band DAM, der ersten palästinensischen Hip-Hop-Formation. Die internationale Produktion um Regisseur Udi Aloni (Art/Violence), an der unter anderem Stefan Arndt (Lola rennt), James Schamus (Brokeback Mountain) und Oren Moverman (The Messenger) hinter den Kulissen mitwirkten, schlägt jedoch einen weitaus versöhnlicheren Ton an als manch umstrittener Text Nafars. Movermans Drehbuch, das er gemeinsam mit Nafar verfasste, zeichnet nur an wenigen Stellen schwarzweiß, hebt eher die Grautöne hervor. Udi Aloni setzt das wiederholt mit sanften Kamerafahrten und erhabenen Vogelperspektiven ins Bild, die ein Gegengewicht zu den rauen Hip-Hop-Klängen bilden.

Junction 48 ist mehr als die klassische Geschichte des Underdogs, der nach oben will, weil Moverman und Nafar auf Kareems Weg immer wieder nach links und rechts blicken. Dort sehen sie einen zerrissenen jungen Mann, der seinem Vater (Byan Anteer) ein schlechter, seiner Mutter (großartig: Salwa Nakkara) hingegen ein fürsorglicher Sohn ist. Dort sehen sie, welch seltsame Umwege die Religion manchmal einschlägt und für welch absurde Ungerechtigkeiten die Politik verantwortlich zeichnet. Und sie zeigen, dass Kunst und Musik Brücken ebenso schnell wieder einreißen können, wie sie sie aufgebaut haben. Gemeinsam mit Manar singt Kareem nicht nur gegen die Unterdrückung der Palästinenser, sondern auch gegen die Unterdrückung der Frau in palästinensischen Familien an, die sich wie Manars eigene als „traditionell“ bezeichnen. Das Ende des Paars bleibt so offen wie der ungelöste Konflikt dieses Landes und lässt das Publikum in der Schwebe, ob es sorgenvoll oder hoffnungsfroh in die Zukunft blicken soll.

Junction 48

Mit Musik ganz nach oben: Regisseur Udi Aloni erzählt in „Junction 48“ die Geschichte des Underdogs Kareem (Tamer Nafar), der sich nahe Tel Aviv den Frust von der Seele rappt. Bei der 66. Berlinale gab es dafür den Publikumspreis der Panorama-Sektion.
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