Julieta

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Dem Trauma der Vergangenheit auf der Spur

Man kann es Stil nennen, Handschrift oder auch Mangel an Flexibilität. Doch welchen Namen man dem Ganzen auch gibt, das Phänomen bleibt doch stets das gleiche: Es gibt Filmemacher, die erkennt man sofort in den ersten Szenen, an ihrer Art der Bildfindung und Inszenierung, an der Ausstattung, dem Kostümbild, den Charakteren, an der Musik und nicht zuletzt an den Geschichten, die sie erzählen. Pedro Almodóvar gehört ganz sicher zu dieser Spezies.

Und auch in seinem neuen Film Julieta erfindet der derzeit skandalgeplagte (Stichwort Panama Papers) spanische Filmemacher seine Kunst nicht neu, sondern fügt ihr vielmehr lediglich einen neuen (freilich erneut ausgesuchten, schillernden und geschmackvollen) Mosaikstein hinzu und arbeitet so an seinem Gesamtwerk, das längst im europäischen Kinos seinesgleichen sucht. Man könnte fast meinen, dass diese enorme Ansammlung von elegant funkelnden Werken wie ein Satellitensystem um ein unsichtbares Zentrum angeordnet ist, um eine Idee von Film oder einer Urversion davon, von der alle anderen Werke des Regisseurs lediglich Ableitungen oder Variationen sind.

Natürlich gilt dies alles auch und erst recht für Julieta. Bereits von den ersten Bildern an, in denen wir Julieta in einem roten Kleid sehen, das in seiner Farbgebung so typisch ist, dass man sich fragen sollte, ob Almodóvar vielleicht ein Patent für diese Farbe hält, setzen die Dialoge, die Musik, die Bilder und Schnittfolgen jenen unverwechselbaren Touch, der immer ein wenig an Hitchcock erinnert und stets auf jenes Subgenre des psychologisch aufgeladenen Thriller-Melodrams verweist, das sonst kaum jemand mit dieser Hartnäckigkeit beackert.

Zu Beginn sehen wir also Julieta (Emma Suarez), die dabei ist, ihre Besitztümer zu verpacken, um Madrid den Rücken zuzukehren und mit ihrem Lebensgefährten Lorenzo (Darío Grandinetti) nach Portugal zu ziehen. Die Zeichen stehen auf Abschied, es scheint nichts mehr zu geben, was sie hier noch hält, doch dann kommt es bei einem letzten Gang durch das Viertel zu einer folgenschweren Begegnung, als sie auf eine Bekannte aus früheren Tagen trifft. Von dieser erfährt sie Neuigkeiten von Antia, ihrer Tochter, die inzwischen drei Kinder hat. Diese Nachricht trifft Julieta wie ein Schock – beinahe so, als sei ihr erst in diesem Moment wieder zu Bewusstsein gekommen, dass sie überhaupt eine Tochter hat. Denn zuvor deutete nichts (außer einem ungeöffneten blauen Briefumschlag) auf die Existenz von jemand anderem als Lorenzo hin. Von diesem Augenblick an ist Julieta wie ausgewechselt, plötzlich kommt es für sie nicht mehr in Frage, nach Portugal zu ziehen, vielmehr sucht sie sich eine neue Wohnung in einem Haus und macht sich auf die Suche nach ihrer Tochter und der eigenen Vergangenheit. Und diese Suche wird zu einer überaus schmerzvollen Reise voller erlittener Verluste, Missverständnisse und Entfremdungen …

Wüsste man es nicht besser, so würde man wohl meinen, diesen Film Almodóvars schon einmal gesehen zu haben, so punktgenau fügt sich Julieta wie ein sauber gearbeitetes Puzzleteilchen in die anderen Werke des Spaniers ein. Die Eleganz der Inszenierung, die stets am Psychologischen interessierte Verzahnung von Vergangenheit und Gegenwart, die regelmäßig in verschiedenen Abwandlungen vorkommende Konstellation von Schuld und Trauma, Leidenschaft und Entfremdung, Begehren und Verlust, fast immer eingebettet in eine dysfunktionale Familiengeschichte, lässt Almodóvar wie einen Psychoanalytiker erscheinen, der seine verschiedenen Fallgeschichten stets mit der gleichen Methodik behandelt. Dahinter steckt weniger Phantasielosigkeit, sondern vielmehr eine generelle Weltsicht und eine Haltung zur spanischen Gesellschaft, deren Kernzelle immer noch die Familie ist. Diese aber, so lehrt uns Almodóvar ein ums andere Mal aufs Neue, ist keineswegs ein stabiles Fundament, sondern ein fragiles Gebilde, das selbst unter guten Rahmenbedingungen durch eine kleine Laune des Schicksals jederzeit wanken oder auseinanderbrechen kann. Und wir würden gut daran tun, wenn wir uns diesem Scheitern mutig und furchtlos entgegenstemmen – so wie Julieta und all die anderen Heldinnen in Almodóvars Filmen.
 

Julieta

Man kann es Stil nennen, Handschrift oder auch Mangel an Flexibilität. Doch welchen Namen man dem Ganzen auch gibt, das Phänomen bleibt doch stets das gleiche: Es gibt Filmemacher, die erkennt man sofort in den ersten Szenen, an ihrer Art der Bildfindung und Inszenierung, an der Ausstattung, dem Kostümbild, den Charakteren, an der Musik und nicht zuletzt an den Geschichten, die sie erzählen. Pedro Almodóvar gehört ganz sicher zu dieser Spezies.

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