Jean Ziegler - Der Optimismus des Willens

Eine Filmkritik von Rochus Wolff

Die Ambivalenz des Revolutionärs

Ein Portrait – Gemälde oder Foto – kann immer nur einen Moment einfangen, einen Punkt in der Geschichte eines Individuums und seiner Welt. Die Vergangenheit ist nur indirekt zu sehen: In Falten. Narben. In der müden Haltung. In der Art, sich zu kleiden.
Der dokumentarische Film hat da im Idealfall mehr Möglichkeiten, zumal wenn er auf historische Aufnahmen zurückgreifen kann. Er kann aus dem Off kommentieren und einordnen, er kann Zeitzeugen zu Wort kommen lassen, Rede und Gegenrede. Oder sich ganz auf seine Hauptfigur konzentrieren, vielleicht sogar an einem einzigen Punkt im Leben.

Nicolas Wadimoff ist für seinen Film Jean Ziegler – Der Optimismus des Willens eng in der Gegenwart und bei seinem Protagonisten geblieben. Er lässt Ziegler erzählen und bindet zwischendurch historische Sequenzen ein – Foto- und Filmaufnahmen, in denen er selbst aus dem Leben Zieglers erzählt.

Der Fokus ist klar und zugleich irritierend. Denn wer Ziegler nicht bereits kennt, wird zunächst nur mühsam nachvollziehen können, wie dieser Mann zum Mitglied im Beratenden Ausschuss des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen wurde, welcher Weg ihn dorthin geführt hat. Bis zum Ende des Films bleiben große weiße Flächen in Zieglers Lebensgeschichte zurück, lässt sich nur erahnen, mit welchen Kämpfen, mit welcher Konsequenz und Unbestechlichkeit sich Ziegler seinen Ruf erarbeitet hat. Das ist es, was ihn nun – der Film kommt kurz vor seinem 83. Geburtstag in die deutschen Kinos, gerade ist sein Buch Der schmale Grat der Hoffnung erschienen – zu einer so besonderen Figur macht.

Wadimoff ist Ziegler, das erwähnt er in einem kurzen Segment, zuerst an der Hochschule begegnet, wo Ziegler unterrichtete. Und oberflächlich scheint in diesem Film das Verhältnis zwischen Student und Lehrendem kaum gebrochen zu sein. Wadimoff stellt gelegentlich Zwischenfragen, Ziegler antwortet, erzählt und doziert. Der Mann hat ein Faible für eingängige Zitate, von Gandhi bis Marx, von Che Guevara sowieso.

In seiner Gesamtperspektive aber transportiert der Film keine unterwürfige Haltung gegenüber Ziegler, sondern eine beobachtende – mit deutlicher Sympathie zwar, aber nicht beschönigend. Dazu gehört auch, dass Wadimoff in Der Optimismus des Willens einige Zweifel Zieglers sich selbst und seine Arbeit betreffend eingefangen hat

Aber erst einmal: Beobachtung. Der Film folgt Ziegler vor allem auf einer Reise nach Kuba und bei seiner Arbeit für die UNO in Genf. Die ersten Bilder aber positionieren ihn als Globalisierungskritiker auf einer Großdemonstration in Deutschland, wo er die „planetare Zivilgesellschaft“ als neues „Subjekt der Geschichte“ ausruft. Ziegler zeigt seine Arbeitsräume, seine elektrische Schreibmaschine – und das Foto von Che Guevara, von Ziegler fast liebevoll in die Hand genommen, das auf seinen Schreibtisch schaue und seine Arbeit kontrolliere.

Ein altmodisch organisierter, alter Mann zeigt sich so zunächst, mit einem seltsam distanzlosen Verhältnis zur Figur Che. Er war einmal, als junger Mann, Ches Chauffeur bei einem Besuch in Genf, sie haben sich angefreundet. Und Ziegler erinnert sich, wie er den Revolutionär bat, mitgehen zu können – und Ches Antwort wird, dieser Eindruck entsteht, zu einem Credo, das seine weitere politische Arbeit prägt: „Dein Platz ist hier. Hier ist das Gehirn des Monsters, hier musst du kämpfen.“

Später sieht man Ziegler ehrfürchtig in Kuba vor einer Bahre stehen, mit der der verletzte Che eine Zeitlang getragen wurde. „Das ist Ches Blut.“ Auch Revolutionen brauchen, so mag es scheinen, ihre Heiligen; und eine ganze Weile sieht man Ziegler dabei zu, wie er mit scheinbar kindlicher Naivität die Armut und Sorge in Kuba wegredet, wie beseelt davon, im Land der Revolution zu sein.

In einem späteren Moment hört sich das anders an: Einschränkungen der Freiheit seien notwendig, so klingt es da, um den Sieg der Revolution erst zu ermöglichen. Und um diesen nicht zu gefährden, wolle er – als „Strategie der revolutionären Solidarität“ – auch nicht einzelne Maßnahmen und Entscheidungen kritisieren. Das klingt schon eher nach der Ambivalenz, die Ziegler auch sonst hervorruft, der auch öfter mit Muammar al-Gaddafi zusammentraf (bis dieser „total verrückt“ wurde) und umstrittene Regime guthieß.

Streiten ist aber eben Zieglers modus vivendi: Er war in der Schweiz 28 Jahre Abgeordneter der sozialdemokratischen Partei, bis er sich mit Banken und Staatschefs anlegte, seine Immunität aufgehoben und er erfolgreich wegen Rufschädigung zu Millionenstrafen verurteilt wurde. Er wurde dann unter Kofi Annan UNO-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung und ist seit 2008 mit kurzer Unterbrechung im Beratenden Ausschuss des Menschenrechtsrats.

Man sieht also einen Mann mit klaren Prinzipien, der für ihre Durchsetzung auch schon mal andere Prinzipien fallen lässt. Jemand, der in Kuba fast mystisch verklärt herumläuft, in Genf aber sehr klar darüber reflektiert, was an politischen Machtspielchen passiert, wie sehr einzelne Worte und Bedeutungen in der Politik wichtig sind.

Ziegler ist felsenfest davon überzeugt: „Ein Kind, das verhungert, ist ein ermordetes Kind.“ Solchen sehr konkreten Wahrnehmungen steht dann die doch sehr vage „planetare Zivilgesellschaft“ gegenüber. Allerdings interessiert sich Jean Ziegler – Der Optimismus des Willens auch nicht wirklich für die Details von Zieglers gesellschaftlicher Analyse. Er folgt der Person und findet allein durch die Beobachtung bemerkenswerte Stimmigkeiten und Widersprüche.

Mancher ist sich der sehr wache Mann in den 80ern sehr bewusst. Bei anderen schaut er nicht so genau hin. Wenigstens in dieser Hinsicht ist Jean Ziegler ein Mensch wie du und ich.

Jean Ziegler - Der Optimismus des Willens

Ein Portrait – Gemälde oder Foto – kann immer nur einen Moment einfangen, einen Punkt in der Geschichte eines Individuums und seiner Welt. Die Vergangenheit ist nur indirekt zu sehen: In Falten. Narben. In der müden Haltung. In der Art, sich zu kleiden.
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