It Comes at Night (2017)

Eine Filmkritik von Lars Dolkemeyer

Wie verloren ist der Mensch?

Die Welt ist dunkel geworden und im Dunkel lauert das Ende der Menschheit – ein Virus, der ihre Träume und Körper zerfrisst, vor allem aber ihr Mitgefühl. Was geschieht in einer Welt, in der Menschlichkeit durch Überleben abgelöst wurde? Liegt hier der Kern des Menschen, so dunkel und so einfach? Nach seinem intensiven Langfilmdebüt Krisha (USA 2015) arbeitet sich Regisseur Trey Edward Shults an diesen Fragen durch die reduzierte Konstellation einer Familie ab, die in der Virus-Apokalypse zu überleben versucht. Der Versuch, dieser Situation mit It Comes at Night Neues zu entlocken, gelingt dabei allerdings nur stellenweise.

Verbeulter Ausschlag, schwarze Augen, dickflüssiger Schleim, ein alter Mann umgeben von Gesichtern hinter Gasmasken, ein Erdloch im Wald, ein Schuss und die brennende Leiche. Schon die ersten Bilder des Films geben die konzentrierte Ästhetik vor, mit der It Comes at Night sich jeder Rahmung entledigt, um radikal zum Kern seiner Frage vorzudringen: Wie verloren ist der Mensch ohne seine Menschlichkeit? In einem Haus versteckt im Wald leben Paul (Joel Edgerton), seine Frau Sarah (Carmen Ejogo) und der gemeinsame Sohn Travis (Kelvin Harrison Jr.). Jenseits der improvisierten Luftschleuse des verbarrikadierten Heims lauert ein Virus, der auch Travis‘ Großvater infiziert und dessen Erschießung notwendig gemacht hat. Als Will (Christopher Abbott) im Wald vor dem Haus auftaucht, entscheidet Paul sich, ihn mit seiner Frau Kim (Riley Keough) und seinem kleinen Sohn Andrew (Griffin Robert Faulkner) ebenfalls im Haus aufzunehmen.

Abgesehen von kurzen Ausflügen in den umgebenden Wald, immer in der Gefahr, auf Infizierte oder andere Überlebende zu stoßen, beschränkt die Welt der beiden Familien sich auf das zwielichtige Innere des Hauses. Durch die verrammelten Fenster dringt nur spärliches Licht und der einzige Eingang, der eigentlich dazu dienen soll, die Gefahr auszuschließen, schließt zugleich jeden Bewohner hinter zwei Türen und einer Dekontaminationskammer ein. Es bleibt das eiserne Klammern an Traditionen, Rituale, Regeln und Disziplin, um dem schwindenden Fundament der Kultur einen letzten Halt zu geben: das gemeinsame Essen am Tisch, die klar geregelten Aus- und Eingänge, der Umgang mit möglicherweise Infizierten – am Rande der Rückkehr zur Natur liegt zwischen Mensch und Wald nur eine durchlässige Plastikfolie.

Oft genug zeigt der Film dabei die Aussichtslosigkeit dieser Maßnahmen und strengen Ordnungen und immer wieder dringt das Außen in den geschützten Raum durch die Schleuse ein. Die Bewohner können sich nicht dagegen wehren, bis schließlich die Frage berechtigt scheint, ob es die Infektion mit dem Virus überhaupt noch braucht, um sie von den Resten der Zivilisation zu befreien, die Stück für Stück von ihnen abfällt. Eher ist es ein schleichender Prozess, bei dem es nicht um die Infektion geht, sondern um die Angst und den Verlust des Menschlichen – oder dessen, was man darunter immer zu verstehen meinte.

Damit begibt sich It Comes at Night in ein Feld, das erst im vergangenen Jahr mit The Survivalist (Stephen Fingleton, UK 2016) eine beeindruckende Variation hervorgebracht hat. Der Mensch wird entkleidet, bis er sich ganz nackt und verlassen nur noch an seine Menschlichkeit klammert. Dabei zeigt It Comes at Night, dass es im Kampf um das Überleben gerade die Menschlichkeit ist, die zuerst verloren geht. Der eigentliche Virus sind Angst und Misstrauen. Dem Film gelingt in seinen reduzierten Bildern und Situationen ein Blick auf den Menschen, der längst kein Mensch mehr ist, der die Apokalypse gar nicht zu erwarten braucht, weil er immer schon Teil von ihr ist. Gleichzeitig verliert It Comes At Night dabei aber ausgerechnet die enge Fokussierung seiner Figuren aus den Augen: Es bleiben von ihnen am Ende nur noch Funktionen übrig, die eben so viel Empathie entlocken, wie die theoretische Überlegung, deren Effekt sie sind. Das ist besonders deswegen schade, weil der Film immer wieder zeigt, welche Mittel zur konzentrierten und ergreifenden Inszenierung ihm zu Verfügung gestanden hätten. Es gerade nicht bei einem allzu gewöhnlichen Gedankenspiel zu belassen, wäre die Herausforderung gewesen. Gerade wegen seiner Konzentration wird der Film aber letztlich zu abstrakt. Statt den Gefühlen und Ängsten beim Blick in den Abgrund nachzuspüren, bleibt eine seltsame Distanzierung vom Schicksal der zwei Familien. In einer Versuchsanordnung zur Menschlichkeit ist dann ausgerechnet für die Menschen kein Platz mehr.
 

It Comes at Night (2017)

Die Welt ist dunkel geworden und im Dunkel lauert das Ende der Menschheit – ein Virus, der ihre Träume und Körper zerfrisst, vor allem aber ihr Mitgefühl. Was geschieht in einer Welt, in der Menschlichkeit durch Überleben abgelöst wurde? Liegt hier der Kern des Menschen, so dunkel und so einfach?

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen