In This Corner Of the World

Eine Filmkritik von Patrick Holzapfel

Hasen im Meer

„Wäre ich doch nur als Träumerin gestorben“, sagt die junge, rotbäckige Suzu, als im malerischen Farbenmeer, das sie als begabte Zeichnerin so anspricht, längst tote Fische als Folge des Krieges angeschwemmt werden. Immer wieder scheint ihr die Flucht in die Fantasie zu gelingen, aber die Realität des Zweiten Weltkrieges hat ihr auch klargemacht, dass sie diese Fantasie vor allem braucht, um zu überleben und anderen beim Überleben zu helfen. Sie selbst steht als junge Frau dabei von Anfang an zweiter Stelle. In This Corner of the World ist ein epischer Anime, der die hohe Qualität japanischer Zeichentrick-Kriegsfilme weiter untermauert, weil er seine Niedlichkeit nutzt, um vom Grauen zu erzählen und im Grauen etwas Schönes zu finden vermag. Das, was vom Film bleibt, ist vor allem seine Freundlichkeit und seine Zärtlichkeit gegenüber den Figuren.
Suzu lebt vor und während des Zweiten Weltkriegs rund um Hiroshima. Der Film beginnt 1933 in einer unschuldigen, lebensfrohen Idylle, Suzu ist die begabteste Zeichnerin ihrer Klasse und ein etwas schroffer Junge steht auf ihre freundliche und tollpatschige Art. Doch sie wird alsbald mit einem Mann verheiratet, den sie nur einmal gesehen hat, woran sie sich gar nicht erinnern kann. Sie zieht zu ihm in einen nahe gelegenen Fischerort, der inzwischen ein Militärhafen geworden ist. Der Film springt etwas ruckartig und manchmal unfokussiert durch die Zeit und erzählt sowohl von Suzus Versuchen, in ihrem neuen Leben Fuß zu fassen, als auch vom Krieg, der nach und nach das Familienleben einholt. Die manchmal anstrengende Lieblichkeit von Suzu wird letztlich eingeholt von brutalen Bildern. Zunächst wird der Tod vom Film noch in einer erstaunlich minimalistischen Sequenz abstrahiert, doch gegen Ende gibt es einige heftige Szenen, die man vor allem im Kontrast mit dem Pastellhimmel schwer vergessen kann. Sunao Katabuchi zeichnet in seiner Adaption des gleichnamigen Mangas von Fumiyo Kōno aber kein reines Leidensbild, denn immer wieder lässt er in Form von Blumen, Tieren oder zwischenmenschlicher Wärme Hoffnung in seinen Film. Hoffnung, die ein Traum sein könnte.

Das Träumen im Film hat mehrere Funktionen. Zum einen ist es ein Charakterzug von Suzu. Hier und da lässt sich der Film komplett in ihre Wahrnehmung der Welt fallen, sodass man sich nie ganz sicher ist, ob man gerade träumt oder wacht. Natürlich ist es auch eine Flucht vor der Realität. Vielmehr aber entsteht eine Doppelung zwischen dem gezeichneten Film und der Liebe zur Zeichnung von Suzu. Katabuchi spielt mit dem doppelten Boden von gezeichneten Zeichnungen und es gelingt ihm auf der feinen Linie zu wandeln, die zum Beispiel die Futuristen übertraten: Die Schönheit von Bomben am Himmel oder fliegende Kriegsschiffe verkommen nie zur Provokation oder Ästhetisierung. Stattdessen sind sie Teil einer verformten Wahrnehmung, die zugleich Bilder für den Horror ermöglicht, als auch davon erzählt, wie man diese Bilder zu umgehen und verarbeiten trachtet. Diese Wahrnehmung existiert über die gesamte Dauer des Films. Man kann sagen, dass der Stil der Bilder aus den Augen von Suzu kommt. Schön ist, dass immer wieder auch andere Figuren von ihrer Art, die Welt zu sehen, angesteckt werden. So gibt es Hasen im Meer, Reiher über dem Ozean oder das beruhigende Bild einer Mutter im Moment der größten Angst in einem Bunker.

Man sieht viel alltägliches Leben und man merkt dem Film an, dass über das Leben in Japan im Zweiten Weltkrieg gut recherchiert wurde. Das gilt für den Einsatz bestimmter Lieder, Radiodurchsagen sowie militärische und bürgerliche Verhaltensweisen am Rand der Geschichte. Die nationalen Durchhalteparolen und das Betonen des eigenen Glücks, wenn man überlebt hat, wird in einer schönen Sequenz von Suzu hinterfragt. Was wäre schon Glück unter diesen Umständen? Den dramaturgischen Modus einer jungen Frau, die an eben jenem Rand der Geschichte lebt, hat man mit Sicherheit schon besser umgesetzt gesehen, vor allem im asiatischen Kino. Etwas unglücklich ist beispielsweise der Countdown, der durch die Präsenz von Hiroshima entsteht. In This Corner of the World wartet etwas zu sehr auf die Atombombe. Allgemein will Katabuchi sehr viel erzählen, woran sein eigentlich sympathischer Blick auf die herzerwärmenden Figuren und ihr Leben von Zeit zu Zeit leidet.

Ob man als Träumerin gestorben wäre oder erwacht, ob das Erwachen aus dem Albtraum der Realität schöner wäre, als das Kämpfen mit Träumen gegen die Trauer beantwortet der Film letztlich ganz klar. Allerdings bleibt er auf anderer Ebene ein Traum, auch wenn er an etwas erinnert, was leider nicht geträumt wurde.

In This Corner Of the World

„Wäre ich doch nur als Träumerin gestorben“, sagt die junge, rotbäckige Suzu, als im malerischen Farbenmeer, das sie als begabte Zeichnerin so anspricht, längst tote Fische als Folge des Krieges angeschwemmt werden. Immer wieder scheint ihr die Flucht in die Fantasie zu gelingen, aber die Realität des Zweiten Weltkrieges hat ihr auch klargemacht, dass sie diese Fantasie vor allem braucht, um zu überleben und anderen beim Überleben zu helfen.
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Meinungen

Wasabi · 15.01.2021

Nur weil es ein gezeichneter Film ist, ist es noch lange nicht ‚so ein Kinderfilm‘.

Zensurgegner · 05.11.2017

Werden in dem Film irgendwie Menschen getötet oder warum ist so ein Kinderfilm erst ab 12 Jahre freigegeben? In Frankreich ist er jeden Falls ohne Altersbeschränkung!

Ennovy · 15.01.2021

Nein das nicht, aber wenn man sich die Thematik des Films mal anschaut, dann finde ich ist die FSK von 12 nicht ganz verkehrt