In meinem Kopf ein Universum

Eine Filmkritik von Falk Straub

Gefangen im eigenen Körper

Die Verleihung der Oscars hat es gezeigt: Die Darstellung von körperlich oder geistig beeinträchtigten Menschen steht bei den Mitgliedern der Academy weiterhin hoch im Kurs. Vor Eddie Redmaynes Leistung in Die Entdeckung der Unendlichkeit muss sich Dawid Ogrodnik in In meinem Kopf ein Universum nicht verstecken. Das polnische Drama nähert sich dem Thema zudem weit weniger rührselig als Hollywood.
Was genug ist, ist genug! Von seinem Vater (Arkadiusz Jakubik) hat Mateusz (Dawid Ogrodnik) gelernt, sich nicht alles gefallen zu lassen. Ein Mann müsse wissen, wann es Zeit sei, mit der Faust auf den Tisch zu schlagen. Doch Mateusz leidet unter einer zerebralen Bewegungsstörung. Sprechen kann er nicht, seinen Körper nur schwer kontrollieren. Als eine Kommission Mateusz aus einem Heim für geistig Behinderte in eine neue Einrichtung verlegen will, kann er dagegen nur stumm protestieren. Und so nimmt der junge Mann seinen Vater beim Wort. Wie sich Dawid Ogrodnik als Mateusz in der folgenden Szene aus einem Rollstuhl windet, unter größter körperlicher Anstrengung quer durch den Raum robbt, sich vor dem Tisch der Kommissionsmitglieder aufrichtet und seine Hand niederfahren lässt, ist eine Meisterleistung. Einer von vielen schauspielerischen Höhepunkten dieses Films.

Mateusz wächst in den 1980ern in Polen auf. Sein sehnlichster Wunsch ist es, mit seiner Familie zu kommunizieren. Zu gern würde er ihr zeigen, dass er sie versteht. Doch seine Gedanken finden keinen Weg nach draußen. Und so wartet er stumm und hofft, dass es eines Tages einfach aus ihm herausbricht. Eine Stimme aus dem Off schildert Mateusz‘ Gedanken. Die Überschriften der Kapitel, in die Regisseur Maciej Pieprzyca seinen Film eingeteilt hat, sind in seltsamen Symbolen geschrieben. Bereits hier ahnen die Zuschauer, dass die Hauptfigur aus dem Off zu ihnen spricht, und dass die Symbole Mateusz` Mittel sind, mit der Welt in Kontakt zu treten. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg.

Zunächst verhindert die Fehleinschätzung einer Ärztin, dass jemand zu Mateusz vordringt. Die Medizinerin setzt die körperliche Behinderung mit einer geistigen gleich. Für sie ist das Gehirn des Jungen nicht mehr als Gemüse. Der Mutter rät sie, Mateusz in ein Heim zu geben. Doch seine Familie entscheidet sich dagegen. Erst als der Vater lange tot ist und seine Mutter körperlich an ihre Grenzen stößt, landet er schließlich in der Einrichtung, aus der ihn selbst die Kommission nicht mehr vertreibt.

Davor spielt sich Mateusz‘ Leben in der elterlichen Wohnung ab. Da er nicht zur Schule geht, macht er sich seinen eigenen Unterricht. Wie die Welt funktioniert, erfährt er aus dem Fernseher, durch den Umgang mit seinen Geschwistern und durch den Blick aus dem Fenster. Von dort beobachtet er die Sterne genauso wie das Lächeln der jungen Anka (Anna Karczmarczyk). Am liebsten hat er es jedoch, wenn seine Mutter, eine Schneiderin, zu Hause andere Damen einkleidet. „Anatomieunterricht“ nennt er das. Einer von vielen Kommentaren, der zeigt: Trotz seiner scheinbar ausweglosen Situation hat Mateusz seinen Humor nicht verloren.

In meinem Kopf ein Universum rückt die zwei Welten, in denen Mateusz und seine Familie leben, auch visuell in Szene. Immer wieder zeigt der Film den Jungen an seinem Fenster, während eine andere Person im angrenzenden Zimmer sitzt. Obwohl ein- und dieselbe Einstellung die beiden vereint, sind sie durch eine Wand sichtbar voneinander getrennt. Doch diese Trennung bezieht sich lediglich auf ihre Kommunikation. Im munteren Familienleben erfährt Mateusz keinerlei Ausgrenzung, wird von seinen Eltern ebenso behandelt wie seine gesunden Geschwister. Besonders der Umgang des Vaters, der Mateusz in all seine häuslichen Arbeiten mit einbezieht, ist rührend, jedoch nie rührselig.

Regisseur Maciej Pieprzyca erzählt seine Geschichte, die auf einem wahren Fall beruht, ohne unangebrachte Romantik. Natürlich sehnt sich auch Mateusz nach Liebe. Doch die Frauen, die ihm in seinem Leben begegnen, verfolgen ihre eigenen Absichten. Die hübsche Nachbarin Anka, wie Mateusz selbst eine Außenseiterin, sucht in ihm lediglich einen guten Freund. Und die Pflegerin Magda (Katarzyna Zawadzka), die ein Verhältnis mit ihm beginnt, nutzt Mateusz‘ Erkrankung gnadenlos aus, um ihren Vater öffentlich bloßzustellen. In meinem Kopf ein Universum zeigt das genauso nüchtern wie den Umgang mit den Behinderten im Heim – wenn die Ärzte Mateusz etwa die Schneidezähne entfernen, damit er sich beim Essen nicht mehr auf die Lippen beißt. Ein ebenso brutaler wie unnötiger Eingriff. Doch das stellt sich erst heraus, als Mateusz endlich mit seiner Umwelt kommunizieren kann. Seine ersten Worte: „Ich bin kein Gemüse!“

Es ist dieser ungeschönte Blick, in dem dennoch so viel Wärme und Humor liegt, der In meinem Kopf ein Universum von vergleichbaren Hollywood-Produktionen abhebt. Sentimental wird Maciej Pieprzyca selten, am ehesten noch im liebevollen Umgang der Familie mit Mateusz. Doch gerade diese Mischung aus nüchterner Betrachtung und lakonischem Kommentar berührt am Ende mehr als jede übertriebene Gefühlsduselei, wie sie Filme über Menschen mit Behinderung allzu gern bemühen.

In meinem Kopf ein Universum

Die Verleihung der Oscars hat es gezeigt: Die Darstellung von körperlich oder geistig beeinträchtigten Menschen steht bei den Mitgliedern der Academy weiterhin hoch im Kurs. Vor Eddie Redmaynes Leistung in „Die Entdeckung der Unendlichkeit“ muss sich Dawid Ogrodnik in „In meinem Kopf ein Universum“ nicht verstecken. Das polnische Drama nähert sich dem Thema zudem weit weniger rührselig als Hollywood.
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