Im Strahl der Sonne (2015)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Im Land der Ahnungslosen

Wie aus einem Land berichten, das jegliche Berichterstattung eisern kontrolliert? Regisseur Vitaly Mansky hat einen Weg gefunden. Sein Dokumentarfilm Im Strahl der Sonne gewährt einen ebenso faszinierenden wie beängstigenden Einblick in die nordkoreanische Seele.

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Auf dem Papier ist Nordkorea eine demokratische Volksrepublik, in Wahrheit einer der restriktivsten Staaten der Gegenwart. Für die achtjährige Zin-mi ist es das schönste Land der Erde. Schließlich können die Lehrer, die Sendungen im Fernsehen und die öffentlichen Lautsprecherdurchsagen nicht irren, die das Mädchen tagtäglich auf ihre Liebe zum Vaterland und gegen die Schurken aus den USA und Japan einschwören. Eine andere Sicht, geschweige denn eine Gegenkultur gibt es nicht, denn der Staat kontrolliert Medien, Mobilfunk und das Internet. Dieser streng geregelte Informationsfluss funktioniert in beide Richtungen. Ausländer dürfen sich nur unter Aufsicht staatlicher Kontrolleure durchs Land bewegen. Der direkte Kontakt zu Einheimischen ist untersagt. Was fotografiert oder gefilmt werden darf, ist vorgegeben. Das musste auch die Crew um Regisseur Vitaly Mansky schmerzlich erfahren – und hat aus der Not eine Tugend gemacht.

Mansky hat Zin-mi, die kurz vor der feierlichen Aufnahme bei den Jungpionieren steht, ein Jahr lang begleitet. Ursprünglich waren drei Aufenthalte mit insgesamt 75 Drehtagen geplant, dem Filmteam blieben aber letztlich nur 45, da das Regime ihm ohne Angabe von Gründen eine dritte Einreise verweigerte. Es blieb nicht die einzige Ungereimtheit. „Zin-mi sagte mir, dass sie mit ihren Eltern und Großeltern in einer kleinen Wohnung in der Nähe einer Bahnstation leben würde. Ich war begeistert von der Idee, über Zin-mi gleich mehrere Generationen porträtieren zu können“, erinnert sich der russisch-ukrainische Regisseur. Bei seiner Ankunft in Pjöngjang findet Mansky das Mädchen dann jedoch ohne Großeltern in einer geräumigen Wohnung vor, die davor offensichtlich leer stand. Extra für die Dreharbeiten haben die Eltern anscheinend ihre Berufe gewechselt. War der Vater im Vorgespräch noch Journalist, ist er nun Ingenieur in einem Textilbetrieb, die Mutter arbeitet in einer Fabrik für Sojamilch und nicht wie erwartet in einer Werkskantine. Auch vom Rest des Films haben die Kontrolleure klare Vorstellungen. Sie diktieren Mansky ein Drehbuch, das an Zin-mis Beispiel die idealisierte Geschichte einer Musterschülerin in Szene setzen soll. Ein großes Propaganda-Märchen.

Dokumentarfilme erzählen von Dingen, die auch außerhalb des Kinosaals existieren. Der Grad der Inszenierung dieser Wirklichkeit durch die Wahl der formalen Mittel ist nicht selten Anlass für kontroverse Diskussionen. Wie nun aber eine gesellschaftliche Realität abbilden, die vorsätzlich in ein fiktives Narrativ gepresst werden soll? Regisseur Vitaly Mansky geht formal in die Offensive. Ein Kommentar weist auf die restriktiven Drehbedingungen hin. Zwischen dem im Bild Gezeigten und dem auf der Tonspur Geschilderten entsteht nach und nach eine irritierende Diskrepanz, die Mansky schließlich ins Absurde steigert. Statt den Kinozuschauern die exemplarischen Szenen aus Zin-mis Leben zu präsentieren, macht Mansky die Entstehung dieser Szenen zu seinem filmischen Gegenstand. Die Kamera läuft auch zwischen den Takes. Was in einem regulär entstandenen Dokumentarfilm dem Schneidetisch zum Opfer fiele, entlarvt bei Mansky ein politisches Programm. Jedes auf den ersten Blick noch so natürlich wirkende Verhalten entpuppt sich beim zweiten Hinsehen als einstudiert. Einige heimlich gefilmte und aus dem Land geschmuggelte Aufnahmen komplettieren dieses Bild einer ferngesteuerten Gesellschaft.

Im Strahl der Sonne hinterlässt seine Zuschauer mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Wenn in einer Vorzeigefabrik des Landes die Übererfüllung der Produktionsvorgaben binnen Sekunden, von einer zur nächsten Aufnahme von 150 über 200 schließlich auf 250 Prozent steigt, wenn hochdekorierte Veteranen das Gehen vor lauter Orden am Revers sichtlich schwerfällt und wenn die Kontrolleure sich am Set wiederholt als Souffleure ins Bild stehlen, hat das etwas zutiefst Komisches. In einer Gesellschaft, in der vom Applaudieren bis zum Feiern alles in minutiös geregelten Bahnen verläuft, in der abseits der offiziell genehmigten Aufnahmen Kinder Essen aus Mülltonnen fischen und die Massen völlig teilnahmslos zur täglichen Arbeit strömen, bleibt einem das Lachen allerdings zwangsläufig im Halse stecken. Obwohl sie im schönsten Land der Welt leben, lächeln oder lachen die Menschen in Im Strahl der Sonne kaum. Spätestens wenn Zin-mi auf die einzige Frage, die ihr das Filmteam von den Kontrolleuren unbemerkt stellen konnte, in Tränen ausbricht, ist jedem klar, was eine Indoktrination von Kindesbeinen an in Menschen anrichtet. Die einzige Sorge, die das achtjährige Mädchen umtreibt: Was wird sie in ihrem Leben, jetzt wo sie als Jungpionierin die Verantwortung für ihr eigenes Handeln übernimmt, noch für den geehrten Führer leisten können?
 

Im Strahl der Sonne (2015)

Wie aus einem Land berichten, das jegliche Berichterstattung eisern kontrolliert? Regisseur Vitaly Mansky hat einen Weg gefunden. Sein Dokumentarfilm „Im Strahl der Sonne“ gewährt einen ebenso faszinierenden wie beängstigenden Einblick in die nordkoreanische Seele.

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