Im Sommer wohnt er unten

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Risse in der familiären Fassade

Im Sommer wohnt er unten — der Filmtitel bezieht sich auf Matthi, der im schönen Landhaus von Papa in Frankreich haust, im Winter das warme Zimmer im ersten Stock bewohnt — und wenn der Herr Bruder im Sommer auf Urlaub vorbeikommt, muss er räumen und ins Erdgeschoss ziehen. Weil das Zimmer oben, das hat schon immer David gehört. Und überhaupt: Wenn er schon hier wohnt und sich von Papa finanzieren lässt — der Rasen gehört mal wieder gemäht. Ein bisschen Ordnung sollte man ja schon halten. Und was ist das eigentlich für ein Lärm? In den Ferien will David schließlich entspannen!
David, man merkt es sofort, ist ein Arschloch. Er nimmt, was er meint, dass es ihm zusteht, und das übrige gleich mit. Der Lärm: Der kommt von Etienne, dem sechsjährigen Sohn von Matthis französischer Freundin, die auch hier wohnt. Und Etienne muss weg, wird also abgeschoben zum leiblichen Papa. Dass das der Beziehung zwischen Matthi und Camille nicht förderlich ist, ist klar; aber auch nicht der zwischen David und dessen Gattin Lena.

Tom Sommerlatte erzählt die Geschichte einer Störung des sommerlichen Friedens, die mit ihren kleinen und größeren Erschütterungen die Risse in den Beziehungen zutage treten lässt, kleine tektonische Unregelmäßigkeiten, die sich verbreitern, verschieben können und irgendwann ihre Spannungen entladen müssen. Als Thema für einen Film ist das nicht neu — gerade viele Debütfilme deutscher Filmschul-Absolventen, aber auch gestandene Filmemacher behandeln diese Thematik zwischen Familien, Beziehung und Rivalität ganz gern, und in den Berlinale-Wettbewerb kommt man damit auch, siehe Alle Anderen von Maren Ade oder Was bleibt von Hans-Christian Schmid. Aber es ist, wenn es gut konzipiert und gut gemacht wird, immer wieder erhellend, welche kleinen Verletzungen und welche kleinen Zärtlichkeiten im zwischenmenschlichen Bereich einen unterhaltsamen Film ausmachen können, ohne dass ein großer Handlungsbogen die Geschichte tragen würde.

David spielt sich als Großprotz auf, der mit seiner bloßen Präsenz alles in Besitz nimmt; Matthi duckt sich, aus Harmoniesucht, weil er es allen recht machen will — und das ist wohl schlicht Ergebnis seiner faulen Trägheit, mit der er durchs Leben gleitet. Mit Etienne, dem Kind, kann er gut; weil er ja selber noch eins ist, im Leben hat er noch nichts zustande gebracht. Lebt im Luxus und lässt sich von Papa finanzieren, höhnt David einmal; ihn hätte Vater auch unterstützt, aber das sei immerhin eine gewinnbringende Investition gewesen.

Leben kommt in den subtilen Kampf der Geschwister und Geschlechter, als Camille, die Französin, beschließt, David, den nervigen Störenfried, erotisch zu umgarnen, als kleines Spiel und große Rache für die erzwungene Abwesenheit ihres Sohnes. Und um Matthi mal aus der Reserve zu holen. Und weil David immerhin weiß, was er will. Das ist schön ausgespielt im Film, weil die Erzählung bei den Zurückbleibenden verharrt, bei Matthi und Lena, zwischen denen sich eine eigene Dynamik entwickelt.

Ja: Manchmal ist der Film zu offensichtlich, vor allem, was Lenas unausgesprochener Kinderwunsch angeht. Um den deutlich zu machen, liest sie mal ein Buch über Babys und stopft sich auch mal ein Kissen unter’s Unterhemd — das hätte es dann doch nicht gebraucht. Aber dann kommt wieder Camille ins Spiel, die ihre weiblichen Waffen zeigt; oder Matthi, der sich mit solch wichtigen Dingen wie Rasenmähen oder Schwertschnitzen für Etienne abmühen muss. Und der doch irgendwann, irgendwie so eine Ahnung bekommt, was er selbst eigentlich im Leben mal machen könnte. Während David, wenn er ohne Geld dasteht, auch jeder Autorität verlustig geht.

Am Ende hat sich einer der Risse verbreitert; und ein anderer hat sich wundersamerweise etwas geschlossen — wenn er wohl auch dennoch unsichtbar vorhanden bleibt.

Im Sommer wohnt er unten

Im Sommer wohnt er unten — der Filmtitel bezieht sich auf Matthi, der im schönen Landhaus von Papa in Frankreich haust, im Winter das warme Zimmer im ersten Stock bewohnt — und wenn der Herr Bruder im Sommer auf Urlaub vorbeikommt, muss er räumen und ins Erdgeschoss ziehen. Weil das Zimmer oben, das hat schon immer David gehört.
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