Im Oktober werden Wunder wahr

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Vom Gott der Wunder und irdischen Glückssuchern

In Cannes zählte der Film zu den Perlen abseits eines eher schwachen Wettbewerbs, nun kommt Daniel und Diego Vegas Film Im Oktober werden Wunder wahr / Octubre in die deutschen Kinos – im Vergleich zu anderen Filmen, die an der Croisette liefen, ist das verdammt schnell. Auf manchen Film muss man sogar bis ins nächste Jahr warten. Andererseits ist der Starttermin angesichts des Titels natürlich nur logisch. Und gerade in den kommenden tristen Herbsttagen kann man ein kleines Wunder wahrlich vertragen. Beste Voraussetzungen also für einen Film, der durch seine wunderbaren Figuren und seine Balance aus stillen Humor und ebensolcher Melancholie besticht.
Im Leben des Pfandleihers Clemente hat alles seine Ordnung. Seinem Geschäft mit den Nöten der Armen aus der Nachbarschaft geht er penibel (was der Film in wunderschönen, zumeist statischen Bildkompositionen voller Symetrie einfängt) und scheinbar ohne jede Gefühlsregung nach. Die verliehenen Beträge werden fein säuberlich notiert, die Sicherheiten, die Clemente zur Absicherung des Geschäfts entgegennimmt, in der kleinen Schatzkiste unter dem Ofen verstaut. Nähe zu seinen Mitmenschen ist nichts, was man von diesem Buchhalter der Not erwarten kann, seine zumindest körperlichen Bedürfnisse nach Zuneigung erledigt er ebenso geschäftsmäßig im Rotlichtbezirk seiner Heimatstadt Lima. Alles hat seine Ordnung und verläuft in geregelten Bahnen — bis Clemente eines Tages ein schreiendes Baby vor seiner Tür vorfindet. Und prompt gerät das Leben des Mannes gehörig durcheinander. Denn unvermutet zeigt er Herz und bringt es nicht fertig (vielleicht ja, weil das Kind dem Verhältnis zu einer Prostituierten entspringt, wie die Nachbarn vermuten), das kleine Wesen in ein Waisenhaus zu geben. Nach einigem Zögern entschließt er sich dazu, das Kind zu behalten, denn er ist sich beinahe ganz sicher, dass er die Mutter tatsächlich kennt. Die aber ist verschwunden und so bleibt Clemente nichts anderes übrig, als selbst für das Wohl des Säuglings zu sorgen – was bald schon erhebliche Auswirkungen auf seinen nächtlichen Schlaf und seine Konzentrationsfähigkeit hat. Zum Glück gibt es seine Nachbarin Sofia (Gabriela Velásquez), deren Leben ebenso einsam ist wie das von Clemente, und die jeden Tag zum Gott der Wunder betet, dass ihr ein ebensolches widerfahren soll. Als sie den Pfandleiher aufsucht und dessen hilflose Bemühungen mit dem Baby sieht, übernimmt sie resolut das Kommando und wird schon bald darauf von Clemente als bezahlte Babysitterin eingestellt – zumindest so lange, bis die wahre Mutter ausfindig gemacht worden ist. Doch es wird – natürlich – alles ganz anders kommen…

Die stumme Lakonie und die sorgsam arrangierten Bildkompositionen von Im Oktober werden Wunder wahr erinnern stets ein wenig an die Filme Aki Kaurismäkis und Jim Jarmuschs. Dazu passen der recht skurrile Humor, die leise Melancholie und die zutiefst menschliche Botschaft. Daniel und Diego Vegas Film erzählt von der emotionalen Versteinerung eines Mannes mittleren Alters, von seiner Einsamkeit, von der alltäglichen Suche nach dem Glück und der Liebe sowie von den Sorgen und Nöten der kleinen Leute in Lima. Und natürlich von deren Wundergläubigkeit, die sich vor allem aus dem Gefühl speist, dass ihnen oftmals nur ein Wunder helfen kann, aus dem Elend und Unbilden des Alltags zu entkommen.

Überhaupt stehen Wunder im Zentrum dieses Films: Häufig hoffen die Menschen, die sich von Clemente Geld leihen, darauf, dass sich das Geld auf wundersame Weise vermehren möge, dass ihnen endlich ein wenig Glück widerfahren soll. Doch dann trifft es ausgerechnet den, der anscheinend wunschlos ist, der keinerlei Bedürfnisse zu haben scheint, die mit Geld zu bezahlen wären. Weil sein Weltbild nur auf dem festen Glauben aufbaut, dass man für alles im Leben bezahlen muss. Logisch, dass so ein Mensch nicht an Wunder glauben kann – weil ein solches ja ein Geschenk wäre, das keinerlei Gegenleistung erfordern würde. Und ebenfalls logisch, dass just diesem Ungläubigen dann genauso ein Ereignis widerfährt.

Das Wunder des Lebens, dass Clemente vor seiner Tür findet, durchbricht diesen Kreislauf, weil es fordert, Bedürfnisse hat und doch (fast) nichts zurückgeben kann. Und weil es zeigt, dass der Pfandleiher tief in seinem Innersten kein schlechter Mensch ist, der das anfangs ungeliebte Kind einfach der Obhut der Behörden überlassen würde. Mit dieser Initialzündung beginnen anfangs fast unmerklich (abzulesen auch an den schrittweisen Veränderungen in Clementes anfangs sehr karger und spartanischer Wohnung) die Prinzipien des Pfandleihers zu bröckeln, bis er ganz zum Schluss erkennen muss, dass Liebe und Glück nicht erkauft werden können, sondern ein Geschenk sind, eine Gnade.

Zu dem ersten Wunder (dem des Kindes) gesellt sich bald schon ein zweites, als sich Sofia dem Eigenbrötler und Einzelgänger vorsichtig annähert und seine Distanz und Zurückweisung ganz behutsam durchbricht. Am Ende wird auch sie die Lektion lernen, dass in manchen Fällen kein Gott der Wunder helfen kann, sondern dass man ab und zu das Glück selbst in die Hand nehmen muss.

Im Oktober werden Wunder wahr

In Cannes zählte der Film zu den Perlen abseits eines eher schwachen Wettbewerbs, nun kommt Daniel und Diego Vegas Film „Im Oktober werden Wunder wahr / Octubre“ in die deutschen Kinos – im Vergleich zu anderen Filmen, die an der Croisette liefen, ist das verdammt schnell.
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Meinungen

Sigrid Ali · 30.10.2010

Es wird der ewig männliche Solist, der scheinbar alles im Griff hat und seine Bedürfnisse
zu kennen glaubt, gezeigt. Aber wie im wahren Leben gibt es auch bei diesen Machos ein
Bedürfniss nach Liebe und Zusammenhalt, ohne das wir alle ja nicht leben können.
Wunderbar, wenn man die Zwischentöne des Lebens kennenlernen will.