Im Keller

Eine Filmkritik von Patrick Holzapfel

Liebe machen mit der Kamera

Mit der Kamera kann man Liebe machen. Aber man muss nicht. Ulrich Seidl weiß das. Seine Kamera arbeitet wie ein distanziertes Röntgengerät, um kalkuliert in die Abgründe des Daseins zu blicken, zynisch und bitterböse. Seidl ist ein Grenzgänger zwischen Voyeurismus und Desinteresse, Misogynie und Schüchternheit, Emotionalität und Kühle. Im Keller ist sein bester Film seit langer Zeit, weil er nicht von seinem Konzept überrannt wird wie die Paradies-Trilogie, sondern weil er wieder den Menschen folgt. Unabhängig davon, ob er sie mag oder nicht. Der Österreicher beleuchtet dabei jenseits irgendwelcher Kategorisierungen in Fiktion und Dokumentation einige Österreicher bei ihren Tätigkeiten in ihren Kellern. Dabei geht es ihm oft um das Abartige, Schrullige, Untragbare und Einsame.
Immer wieder verschließen sich Türen in Ulrich Seidl neuestem Blick mitten in die schamlosen Geheimnisse und Trophäen der österreichischen Bevölkerung. Herren und Herrinnen sagen ihren Dienern: „Mach die Tür zu!“. Aber wir werden nicht ausgeschlossen dadurch, das ist klar. Im Keller bedeutet bei Seidl nicht unbedingt, dass es um Verstecke geht. Man sieht sehr vieles, man sieht auch vieles, was man nicht unbedingt sehen wollte. Im Keller findet sich aber auch der Stolz von Menschen und Familien, die schönen und schlechten Erinnerungen, das wahre Selbst, das man im täglichen Leben versteckt. In diesem Sinn liebt die Kamera von Seidl vielleicht doch. Die Frage ist nur, was sie da liebt. Und da scheiden sich die Geister.

Mancher wird fast losbrüllen müssen, ob der Offenheit des menschlichen Grauens, die sich da auf der Leinwand vollzieht, andere werden angewidert wegsehen, sei es weil sie mit der kompromisslosen Direktheit, der schonungslosen Perversion oder den untragbaren politischen Einstellungen der Protagonisten nicht zurechtkommen. Im Keller ist jedoch immer dann am besten, wenn man gar nicht weiß wie man sich zu den unterschiedlichen Situationen und erzählten Anekdoten verhalten soll.

Bei Seidl ist tatsächlich noch relevant, was vor der Kamera passiert. Das ist ein Ereignis, das ist ein Spektakel. Man glaubt ihm, auch wenn man sich fast immer wundert und zweifelt. Seidl erschafft damit eine ganz eigene Magie des Kinos. Jene, die den Betrachter direkt angreift und die man bedingungslos glaubt, gerade weil man den Kopf schüttelt. Und so lässt er eine seiner Figuren, einen verfehlten Sänger, oberflächlichen Korananalytiker und Waffenspezialisten auch ganz im Stil von Edwin S. Porter in The Great Train Robbery auf die Kamera zielen und schießen. Als würden wir für unseren voyeuristischen Blick in die Keller der Menschen bestraft werden: Ihr wolltet es sehen, hier habt ihr es, selber schuld.

Das Prinzip der Wiederholung ist dabei sehr wichtig für den Film. Bewegungen, Blicke, Einstellungen werden wiederholt, als würde die grauenvolle Absurdität und gefährliche Lächerlichkeit einer als aufgeklärt und zivilisiert geltenden Gesellschaft wie ein Nagel mit einem Hammer in die Wahrnehmung der Zuseher gestampft werden.
Manchmal will man aufstehen und die Menschen auf der Leinwand beschimpfen. Ihr Rassismus, ihr soziales Verhalten sind unerträglich, aber dann findet sich doch wieder Zärtlichkeit in den Momenten des Unangenehmen. Die scheinbare Willkürlichkeit in der Aneinanderreihung von größeren und kleineren Episoden ist genau konstruiert. Es ist ein Weg in die Verbitterung, der am Ende den Keller in die Wahrheit einer Gesellschaft verwandelt hat und die Wahrheit einer Gesellschaft in ein verbittertes Gefängnis.

Diese Kamera, bei der man sich immer wieder fragt: Wie ist sie dort gelandet?, arbeitet sich in einer systematischen Symmetrie, die man von Seidl kennt durch jene Kellerräume und beobachtet immer wieder das Unglaubliche und doch Bekannte. Blieb einem bei anderen Filmen des österreichischen Regisseurs das Lachen gerne im Hals stecken, so verhält es sich bei Im Keller derart, dass es schon weitaus früher steckenbleibt: Sadomaso und Nazis, starre, durch das Objektiv verformte Gesichter, die völlig abgestorben in die Kamera blicken. Eine Frau, die Puppen aus Kartons hebt und sie wiegt und mit ihnen spricht als wären es ihre Kinder. Meist kommentarlos wie bei Frederik Wiseman, die Grenzen zwischen Inszenierung und Dokumentation sind irrelevant, es ist ein Fest der Abgründe. Fast tröstend wirkt es da, wenn jemand kein (moralisches) Verbrechen in seinem Keller verbirgt, sondern nur eine Modelleisenbahn.

In gewisser Weise ist Im Keller das sarkastische Gegenstück zu Pier Paolo Pasolinis Die 120 Tage von Sodom. Die symmetrischen Vignetten und der faschistisch-pervertierte Ton des Films sind gleich, aber wo sich die historischen Faschisten bei Pasolini noch im Schutz der Isolation austobten, sind sie bei Seidl unter uns, dort wo man bei Pasolini spürt, dass das Abartige eine besondere widerliche Lust versprüht, ist es bei Seidl eine innere Notwendigkeit, die auch einer gleichgültigen Gewohnheit von den Protagonisten völlig unreflektiert durchgeführt wird. In diesem Sinn ist man sehr froh, dass wenigstens die Kamera liebt. Auch wenn Liebe bedeuten kann, dass man mit um den Hodensack gebundenen Gewichten nackt das Geschirr spült.

Im Keller

Mit der Kamera kann man Liebe machen. Aber man muss nicht. Ulrich Seidl weiß das. Seine Kamera arbeitet wie ein distanziertes Röntgengerät, um kalkuliert in die Abgründe des Daseins zu blicken, zynisch und bitterböse. Seidl ist ein Grenzgänger zwischen Voyeurismus und Desinteresse, Misogynie und Schüchternheit, Emotionalität und Kühle.
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