Il Divo - Der Göttliche

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Da-da-da – Tanz den Andreotti!

Dieser von Dauerkopfschmerz geplagte Mann mit den abgebissenen Fingernägeln, den Segelohren und dem Hundeblick soll einer der größten Halunken der an Schurken und halbseidenen Gaunern nicht gerade armen italienischen Politik sein? Kaum zu glauben – und doch wahr. Paolo Sorrentinos meisterliche Politfarce Il Divo über die letzte Amtszeit Giulio Andreottis ist ein derart explosives und innovatives filmisches Meisterwerk, das man kaum weiß, was einen mehr erzürnen soll: Die politischen Zustände in unser aller Traumland Italien oder die Tatsache, dass sich bislang kein deutscher Verleih gefunden hat, der bereit ist, diesen Film in die Kinos hierzulande zu bringen. Sicher: Wer den Film in Cannes oder auf dem Filmfest München gesehen hat, weiß, dass Sorrentino seinen nicht-italienischen Zuschauern einiges an Vorkenntnissen über die verschlungenen Pfade der römischen Politik abverlangt. Doch selbst wer nicht jeden der gezeigten Politiker sofort zuordnen und der verästelten Montage nicht immer folgen kann – und das dürften die allermeisten Zuschauer sein: Die Stoßrichtung und die Art und Weise der Inszenierung entschädigen reichlich für entgangene Details und Feinheiten politischer Winkelzüge.
Andreottis politische Karriere umfasst beinahe die gesamte Zeit seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, insgesamt war er an 33 von 59 Regierungen nach 1945 beteiligt und hatte dabei siebenmal das Amt des italienischen Ministerpräsidenten inne – zuletzt zwischen dem 12. April 1991 und dem 24. April 1992. Beinahe könnte man glauben, in der wechselvollen politischen Geschichte Italiens sei Andreotti so etwas wie die einzige Konstante gewesen. Und tatsächlich legt der Film den Schluss nahe, Andreotti, im Jahre 1992 von Staatspräsident Francesco Cossiga zum Senator auf Lebenszeit ernannt, sei so etwas wie der unumschränkte heimliche Herrscher Italiens, der Strippenzieher, die graue Eminenz. Doch auch andere Zahlen aus Andreottis politisch aktiver Zeit sprechen eine deutliche Sprache: Insgesamt 28 Mal konnte der Politiker ein Verfahren zur Aufhebung seiner parlamentarischen Immunität verhindern, bevor den Strafverfolgungsbehörden der Coup dann doch gelang. Die lange andauernden Gerichtsverhandlungen blieben ohne Folgen für Andreotti – eine Verurteilung zu 24 Jahren Haft wegen Verbindungen zur Mafia im Jahre 2002 wurde ein Jahr später wieder aufgehoben und der Politiker wegen Verjährung des Tatbestandes freigesprochen.

Der Film beginnt mit einem raschen Zusammenschnitt verschiedener politischer Morde, die – so wird sich im weiteren Verlauf von Il Divo zeigen – in engem Zusammenhang mit Giulio Andreotti stehen. Sie könnten auch in jedem beliebigen Film über die Mafia ihren Platz finden. Und so geht der Film auch weiter, als sich Andreottis innerer Kreis von Verbündeten im Palazzo Chigi, dem Amtssitz des italienischen Ministerpräsidenten, versammelt. Wie die Herren aus den Limousinen steigen und sich selbstbewusst zum Treffen mit dem „Göttlichen“ begeben, erinnert in der Inszenierung eher an ein Treffen von Mafiagrößen als an eine Zusammenkunft von einflussreichen Menschen aus der Spitze der Gesellschaft. Mit Sicherheit ist diese Assoziation kein Zufall. Doch Sorrentino versteht sich auch auf die Zwischentöne und kleinen Beobachtungen. Und gerade bei einer eigentlich recht unscheinbaren Erscheinung wie Andreotti tut er gut daran. Als eine Bittstellerin ins Allerheiligste vorgelassen wird, rät ihr die Sekretärin, auf die geheime Sprache der Hände zu achten und wie ein Seismograph die Gefühlsregungen des allmächtigen Gegenübers zu registrieren. Zwischendrin streut er Bilder und Szenen ein, die in ihrer Komposition eher an Gemälde denn an bewegte Bilder erinnern – in diesen sorgsam ausgefeilten Tableaux spiegelt sich die gesamte Erstarrung und Selbstherrlichkeit eines durch und durch korrupten politischen Systems wider.

Aberwitzig sind auch die Montagen, in denen politische Morde gegen Bilder des Politikers geschnitten werden, in denen für Momente die rasante Handlung brutal gestoppt wird, um Raum zu schaffen für theaterhafte Monologe und Bekenntnisse, für Bilder von rauschenden Party und eindrucksvollen nächtlichen Szenen, in denen der mächtigste Mann Italiens in Begleitung seiner Prätorianer durch Roms verregnete Straßen wandelt.

Zugeben, die verschachtelte Struktur des Films ist nicht gerade dazu angetan, das Verständnis der Schachzüge, Koalitionen und Intrigen, die die italienische Politik beherrschen, zu erleichtern. Munter wechselt Sorrentino die Zeitebenen und Inszenierungsstile, pendelt zwischen greller Farce, eleganten Spaghettiwestern-Anleihen und Mafiafilm-Zitaten und webt so ein verwirrendes Geflecht von Szenen, das die verworrenen und undurchsichtigen gegenseitigen Abhängigkeiten kongenial umsetzt. Der fleißige Arbeiter und bissiger Aphoristiker, der eiskalte und brillante Giulio Andreotti ist innerhalb dieses Netzes, das der Film entwirft, stets der einsame Mittelpunkt, das Zentrum, das Vakuum der Macht. Nicht einmal seine Frau Livia (Anna Bonaiuto) scheint eine Ahnung davon zu haben, wer er wirklich ist und was er tut. Ein Mann, der trotz bester Verbindungen niemandem wirklich traut, und der mit der Ruhe einer gefährlichen Spinne die Fäden zieht. Sein berühmtes Archiv über die Leidenschaften und Schwächen mächtiger Männer im Staate sichert die Macht geschickt ab.

Eigentlich müsste dieser Film gemeinsam mit Matteo Garrones Gomorrha — Reise in das Reich der Camorra / Gomorra in einem Double Feature gezeugt werden; schließlich widmen sich beide den Machenschaften der organisierten Kriminalität und zeigen in verschlungenen und fragmentarisierten Szenen und Splittern die Wucherungen und Auswüchse von Macht und Machtmissbrauch. Ebenfalls gemein ist den beiden Filmen, die beide von der Renaissance eines neuen politischen Kinos in Italien zeugen, der Darsteller Toni Servillo, der als italienischer Ministerpräsident und als Giftmüllhändler gleichermaßen überzeugt. Was Il Divo und Gomorrha — Reise in das Reich der Camorra / Gomorra voneinander unterscheidet, ist neben der Inszenierung und den Schauplätzen vor allem die Verortung des Verbrechens auf den beiden diametral entgegengesetzten Seiten der italienischen Gesellschaft. An der niederschmetternden Analyse vom traurigen Zustand unseres Traumlandes ändert das aber nur wenig. Zumal in Italien Politiker mit undurchsichtigen Verbindungen und enormem politischen Stehvermögen gerade wieder Hochkonjunktur haben.

Wenn zum Abspann dieses grandiosen Films Trios berühmter Song „Da Da Da“ erklingt, dann ist das ein weiterer Beweis dafür, dass man der Fassungslosigkeit, die Il Divo beim Zuschauer hinterlässt, am besten mit Gelächter begegnet. Und wer weiß: Wenn der Film nicht gerade über ihn selbst ginge, vielleicht könnte Andreotti, der an einer Stelle des Films seinen Humor betont, sogar selbst drüber lachen.

Il Divo - Der Göttliche

Dieser von Dauerkopfschmerz geplagte Mann mit den abgebissenen Fingernägeln, den Segelohren und dem Hundeblick soll einer der größten Halunken der an Schurken und halbseidenen Gaunern nicht gerade armen italienischen Politik sein?
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Meinungen

Max Benavides · 20.06.2009

Der Film ist sehr zutreffend, was die Persönlichkeit Andreottis angeht. Und gekonnt konstruiert. Man kann ehrlich grinsen, wenn nicht lachen über so viel Zynismus und Heuchelei.

Sebastian · 20.04.2009

Welchen Song meinst du denn? xD
Also der ganz am Anfang ist "The Veils - Nux Vomica",
und dann kommt "Cassius - Toop Toop" ;-)

Gerrit · 06.04.2009

Hallo, kann mir jemand sagen wie der Song zu dem Trailer heißt?