I Killed My Mother

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Eine Hommage an die Kunst

Manchmal gibt es Phasen im Leben, das geht gar nichts mehr. Etwa wenn Pubertierende sich von ihren Eltern lösen. So sehr sich beide Seiten auch bemühen, sie können einfach nicht mehr miteinander. Das ist höchst dramatisch, wenn man mitten drin steckt. Aber mit ein wenig Abstand auch eine wichtige Erfahrung. Vom beidem erzählt höchst eindrucksvoll der erst 21-jährige Kanadier Xavier Dolan, der schon 2009 in Cannes als Wunderkind auf dem Regiestuhl gehandelt wurde.
Dolan spielt in seinem Erstling I Killed My Mother / J’ai tué ma mère zugleich die männliche Hauptrolle. Er mimt den 17-jährigen Hubert, der mit seiner Mutter (Anne Dorval) alleine lebt, weil der Vater die Familie schon vor vielen Jahren verlassen hat. Früher waren Mutter und Sohn ein Herz und eine Seele. Jetzt streiten sie, dass die Fetzen fliegen. Ob das damit zusammenhängt, dass Hubert homosexuell ist, wird nie so recht deutlich. Die beiden reden während des ganzen Films höchstens mal im Halbsatz darüber. Huberts Mutter erfährt „es“ per Zufall von der Mutter seines Freundes – die wundervoll hilflose und grandios peinliche Szene zählt zu den Highlights dieses an Glanzlichtern nicht armen Filmes. Irgendwann jedenfalls spitzen sich die Streitereien und das endlose Generve derart zu, dass die Mutter die heimische Hölle nicht mehr erträgt und Hubert ins Internat schickt.

Das klingt dramatisch und ist es auch. Wer Wutanfälle auf der Leinwand liebt, wird bei Xavier Dolan vorzüglich bedient. Aber der Jungregisseur, der mit 17 das Drehbuch schrieb, bleibt in bloßen Gefühlsausbrüchen nicht stecken. Sein Film ist inhaltlich und formal erstaunlich abgeklärt und spielerisch. Immer wieder gibt er dem Zuschauer Gelegenheit, zusammen mit Hubert einen reflektierten Blick auf das Geschehen zu werfen. Etwa wenn der Protagonist ein Videotagebuch führt und seine philosophisch angehauchten Gedanken mit dem Zuschauer teilt. Spätestens dann ist klar. Da leidet einer nicht nur, da hat einer seine Hass-Gefühle mit den Mitteln der Kunst produktiv verarbeitet.

Das gilt natürlich für beide, für die literarisch begabte Filmfigur Hubert ebenso wie für den Regisseur. In einem Interview hat Xavier Dolan gesagt, der Film habe zwar zum Teil autobiografische Züge, spiegele aber nicht mehr die aktuelle Beziehung zu seiner Mutter. Das dürfte nicht zuletzt damit zusammenhängen, dass der junge Mann die Möglichkeit hatte, eine wahrscheinlich einigen Eltern und Kindern bekannte Situation dadurch zu überwinden, dass er sie zu einem Drehbuch verarbeitete.

Xavier Dolan ist Sohn eines Schauspielers und einer Lehrerin. Schon früh hatte er Kontakt zur Filmszene, nämlich als Kinderschauspieler. Die 150.000 kanadischen Dollar, die er in jener Zeit verdiente, investierte er in seinen Erstling und zog damit weitere Geldgeber an Land. 2009 gewann der Film in Cannes drei Preise in der Sektion „Quinzaine des Réalisateurs“. In 2010 wurde Dolan für seinen zweiten Spielfilm Les amours imaginaires in der Reihe „Un certain Regard“ mit dem Nachwuchspreis „Prix regards Jeunes“ ausgezeichnet.

In einer der schönsten Szenen von I Killed My Mother – wiederum ein herrlich unkontrollierter Wutanfall – flippt die Mutter aus, als ihr der Direktor des Internats vorhält, dem Sohn fehle ein Vater. Auch hier ist es erstaunlich, wie sensibel sich der Regisseur, den man ja eigentlich mehr auf Seiten von Hubert vermuten würde, in die Figur der Mutter hineinversetzt. Entgegen dem bewusst ironischen und irreführenden Titel geht es ihm nicht um Muttermord, sondern darum, wie man aus einer sich im Kreis drehenden Hassliebe wieder herauskommt. Das zeigt der Film dankenswerterweise nicht auf der Handlungsebene – was womöglich recht didaktisch geraten wäre. Sondern in seinem verspielten Umgang mit dem realen Leben und seiner Hommage an die Kunst.

I Killed My Mother

Manchmal gibt es Phasen im Leben, das geht gar nichts mehr. Etwa wenn Pubertierende sich von ihren Eltern lösen. So sehr sich beide Seiten auch bemühen, sie können einfach nicht mehr miteinander. Das ist höchst dramatisch, wenn man mitten drin steckt. Aber mit ein wenig Abstand auch eine wichtige Erfahrung.
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Meinungen

Rüdiger · 19.03.2011

Mal ein ungewöhliches Drehbuch. Spannend