Hitlers Hollywood

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Das Kino im Dritten Reich

Die deutsche Kinogeschichte schreckt viele ab. Nicht nur, weil der deutsche Film sowieso einen (unverdienten) Ruf zwischen schrecklich und doof hat, sondern auch, weil es da diese zwölf Jahre gibt, diese vermaledeite Zeit des Dritten Reiches, die auch in der Filmkunst so vieles kaputt gemacht hat. Sollte, müsste man diese Filme nicht am besten einfach vergessen, die unter Hitlers, unter Goebbels‘ Ägide entstanden sind, die entweder viel zu seicht oder viel zu politisch sind? Nein. Sollte man nicht. Darf man nicht. Weil Filmgeschichte kein Wunschkonzert ist. Weil diese Filme viel aussagen über die Zeit ihrer Entstehung. Und weil auch in dieser Zeit einige Meisterwerke entstanden sind. Filmkritiker und Regisseur Rüdiger Suchsland blickt in Hitlers Hollywood sehr genau hin.
„Was weiß das Kino, was wir nicht wissen?“ Diese Leitfrage, die schon Suchslands vorherigen Film Von Caligari zu Hitler leitmotivisch durchzogen hat, bestimmt auch Hitlers Hollywood: Die Frage von Siegfried Kracauer, der im Kino der 1920er Jahre schon die Grundstimmung des Faschismus erspürt hat. Unter Hitler nun – wenn sich also die laut Kracauer im Kino und in der Volkspsyche enthaltenen Sehnsüchte erfüllt haben – wird das Kino systematisch zur Propagandamaschinerie umgebaut. Hitler und Hollywood: Es ist einerseits das große Ziel, die kinematographische Wucht und den kulturellen und kommerziellen Wert der US-Traumfabrik zu erreichen. Andererseits muss dies aber unter den deutschen, unter den nationalsozialistischen Bedingungen erreicht werden. Der Film nämlich muss die Ideologie transportieren. Er muss das Volk gefügig und geschmeidig machen. Und er muss die Härten, die dem Einzelnen im Alltag auferlegt werden, erträglich machen.

Goebbels ist der oberste Herr des Kinos. Und das Kino ist die Hauptstreitkraft in der Volkserziehung. Wie in kaum einer Zeit, in kaum einer Kinematographie zuvor oder danach kann im Kino des Dritten Reiches nachvollzogen werden, mit welchen Mechanismen bestimmte Botschaften verbreitet werden. In einer Zeit der allgemeinen Gleichschaltung, der Ordnung, der Einheitlichkeit wird per Film das Volk ausgerichtet, schon ganz am Anfang: Mit Morgenrot (Gustav Ucicky, 1933), dem noch in Republikzeiten geschaffenen U-Boot-Film mit seiner militaristischen Botschaft, mit Hitlerjunge Quex (Hans Steinhoff, 1933), der das Volk da abholt, wo es steht: eingeklemmt zwischen den kommunistischen und den nationalistischen Fronten, mit der frohen Botschaft, dass die Linken ja nur verführte und fehlgeleitete Nazis sind.

Doch nicht nur die ausgesprochenen Propagandafilme verbreiten die Nazi-Ideologie. Und: Die Filme des Nationalsozialismus erzählen nicht nur vom Nationalsozialismus. Und das ist das Spannende an der Sache: Suchsland spürt die Momente auf, in denen sich bewusst oder unbewusst etwas anderes Bahn bricht. Eine neue, freche, frivole Körperlichkeit bei Hans Albers zum Beispiel. Oder die verklemmten, beschämten Badenden in Großstadtmelodie (Wolfgang Liebeneiner, 1943), die nichts mit sich und ihren Leibern anzufangen wissen und so gar nicht dem nationalsozialistischen Ideal von Kraft und Schönheit entsprechen. Den Aufstand der Künstler gegen die Herrschenden in Tanz auf dem Vulkan (1938) mit Gustaf Gründgens: „Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da!“ „Aus Gesprächen Bomben; Rebellion, Rebellion“! Und Veit Harlans Durchhaltefilm Kolberg (1945) ist nicht einfach nur ein Aufruf zum letzten Gefecht; sondern auch eine Götterdämmerung, ein Film, der in seinen heroisierenden Bildern die Zerstörung feiert.

Wie ohnehin Harlan der Regisseur ist, der mit Opfergang 1944 die ganze Todesmystik, die ganze Nekrophilie des Dritten Reiches auf den Höhepunkt getrieben hat, ganz wörtlich zu verstehen: Mit einem grandiosen Todesorgasmus, der Kristina Söderbaum ins Jenseits versetzt … Der Hauch des Todes: Das ist eine der Grundlinien des Films im Dritten Reich, mit klug gewählten Ausschnitten aus vielen Filmen kommt Suchsland immer wieder auf diese Konstante zurück.

Hitlers Hollywood besteht aus Filmausschnitten; nur ab und zu unterbrochen durch Zitate von Kracauer, von Susan Sontag oder Hannah Arendt. Suchsland führt uns mit großer Kenntnis und klaren Hinweisen durch das Filmschaffen der NS-Zeit, fügt seine Ausschnitte klug zueinander, würdigt die Stars von Hans Albers und Heinz Rühmann bis Zarah Leander und Ilse Werner, nimmt sich einige bedeutende Filme genauer vor – Helmut Käutners Große Freiheit Nr. 7 bezeichnet er nicht zu unrecht als den vielleicht besten Film des Dritten Reiches –, weist auch auf einige bedeutende Regisseure hin. Dass Suchsland den Kommentar selbst einspricht, verdeutlicht seinen persönlichen Zugang zum Film, der auch klar seine Meinung sagt. Und nur ganz selten verwickelt er sich in Widersprüche – wenn er in den Revuefilmen den Gleichtakt der Massen sieht, auch wenn die Choreographien vor allem deutlich an Hollywood – Stichwort Busby Berkeley – ausgerichtet sind. Oder wenn er einerseits erklärt, das Kino der NS-Zeit sei kein Autorenkino, dann aber – durchaus richtig – Veit Harlan als „auteur“ bezeichnet.

Doch bei solchen oberflächlichen Stolperern bleibt es: Hitlers Hollywood ist ein meinungsstarkes, umfassendes, auch unterhaltsames Stück Filmgeschichtsschreibung. Hier wird hinter die Oberfläche des Films geblickt, hier werden ästhetische, inhaltliche, ideologische Mechanismen aufgedeckt. Und es werden auch mit allen nötigen Vorbehalten die Filme gewürdigt, die groß waren und die groß sind; trotz allem.

Hitlers Hollywood

Die deutsche Kinogeschichte schreckt viele ab. Nicht nur, weil der deutsche Film sowieso einen (unverdienten) Ruf zwischen schrecklich und doof hat, sondern auch, weil es da diese zwölf Jahre gibt, diese vermaledeite Zeit des Dritten Reiches, die auch in der Filmkunst so vieles kaputt gemacht hat. Sollte, müsste man diese Filme nicht am besten einfach vergessen, die unter Hitlers, unter Goebbels‘ Ägide entstanden sind, die entweder viel zu seicht oder viel zu politisch sind?
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