Hin und weg

Eine Filmkritik von Festivalkritik von Beatrice Behn

Belgien sehen und sterben

Es muss wohl eine besondere Beziehung zwischen den Deutschen und dem Meer bestehen. In Knocking on Heaven’s Door zog es einen todkranken Til Schweiger an die Nordseeküste und nun macht sich in Christian Züberts Hin und weg Florian David Fitz auf einen ähnlichen Weg. Damit allerdings enden schon die Gemeinsamkeiten – während man bei Knocking on Heaven’s Door am Ende gar nicht mehr hinschauen mag, überzeugt Hin und weg fast auf ganzer Linie durch eine gelungene Balance zwischen Road Movie, Ensemblefilm und großem Drama, das wichtige Themen ohne erhobenen Zeigefinger verhandelt.
Ausgerechnet Belgien – als Hannes (Florian David Fitz) und seine Freundin Kiki (Julia Koschitz) die gemeinsamen Freunde zu einer Radiotour einladen, ist die Begeisterung nicht gerade groß. Doch weil man sich auch aufgrund von Hannes‘ schwerer, nun aber überwunden geglaubter Erkrankung ein wenig aus den Augen verloren hat, finden sich natürlich trotzdem alle ein: Der amouröse Abenteurer Michael (Jürgen Vogel), der gerade mal wieder Stress mit den Frauen hat, weil sein sexuelles Verlangen ungleich größer ist als seine Ehrlichkeit. Oder Mareike und Dominik, deren Liebesleben weitgehend zum Erliegen gekommen ist in all dem Alltag, der Routine, der Sorge um die Kinder. Außerdem macht sich noch Hannes‘ Bruder Finn (Volke Bruch) mit auf den Weg.

Doch schon die erste größere Zwischenstation bei Irene (Hannelore Elsner), der Mutter von Hannes und Finn, verändert alles. Weil Kiki es nicht mehr aushält, bringt sie Hannes dazu, seinen Freunden das wahre Ziel der Reise nach Belgien zu verraten: Wie schon sein Vater leidet auch Hannes unter Amyotropher Lateralsklerose (kurz ALS), einer nicht heilbaren und nach drei bis fünf Jahren letalen Erkrankung des motorischen Nervensystems. Weil er mit ansehen musste, wie elend sein Vater am Ende dahinsiechte und weil nun auch bei ihm die Krankheit voll ausgebrochen ist, hat Hannes den Entschluss gefasst, bei einem belgischen Arzt Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen, der Termin steht bereits fest. Und es ist Hannes‘ letzter Wunsch, dass seine Freunde ihn auf dieser letzten Reise begleiten. Die sind natürlich völlig geschockt von der Mitteilung, können aber gar nicht anders, als mit ihrem Freund zusammen den schmerzhaften Weg zu Ende zu gehen. Es wird eine Reise, die alles verändern wird…

Wie entsetzlich schief hätte dieser Film doch gehen können: Themen wie Tod und Vergänglichkeit erfordern viel Feingefühl und ein sicheres Gespür für Emotionen: Zeigt ein Film zu wenig davon, nimmt er sein Publikum nicht mit, greift er zu tief in die emotionale Trickkiste, gleitet das Ganze schnell zum Kitsch ab und wird unfreiwillig komisch. Nichts von alledem geschieht bei Christian Züberts neuem Film Hin und weg – und genau das ist das Wunderbare an diesem Werk, dass das Zeug dazu hat, mit einem schwierigen Thema wie Sterbehilfe und das Anrecht auf einen selbstbestimmten Tod ein ganz großes Publikum zu begeistern.

Einen großen Anteil an dem gelungenen Drama hat vor allem das großartig aufspielende Ensemble, bei dem neben Florian David Fitz vor allem Victoria Mayer und Johannes Allgayer herausragen – wobei man eigentlich keine wirkliche Schwachstelle bei der Besetzung ausmachen kann. Auch filmisch bewegt sich Zübert souverän zwischen leicht komödiantischen Anklängen und dem gebotenen Ernst ob des Themas. Nur an einer Stelle, ganz am Ende des Films im Haus des Arztes in Oostende, entscheidet sich Zübert für lange Einstellungen und einen genauen, erforschenden, aber niemals aufdringlichen Blick: Die Genauigkeit und das lange Verharren auf der in sanftes Licht getauchten Szenerie gehört zum Eindrücklichsten, was man im deutschen Film seit langem gesehen hat, wenn es um das Thema Tod geht. Und spätestens mit dieser mutigen Entscheidung, die Augen buchstäblich nicht zu verschließen vor dem Akt des Sterbens, gewinnt Hin und weg auf ganzer Linie.

Natürlich ist auch Hin und weg nicht gänzlich ohne Fehl und Tadel – besonders am Anfang, als Hannes seinen Freunden das wahre Ziel seiner Reise enthüllt, mögen für manche Zuschauer nicht alle Reaktionen der Familie und der Freunde des Betroffenen überzeugend erscheinen. Und bisweilen hegt man den Verdacht, dass das Spiel, das die Freunde während der Fahrt erfinden, vor allem dem Zweck dient, den anderen Mitreisenden die Möglichkeit zur psychologischen Profilierung zu geben. Das wirkt zwar einerseits ein wenig kalkuliert, funktioniert aber andererseits erstaunlich gut und erfüllt genau den (vermuteten) Zweck.

Christian Zübert ist mit Hin und weg eine absolute Seltenheit gelungen: Deutsches Kino, das bewegt und zum Nachdenken bringt, ernst, aber ohne erhobenen Zeigefinger, an manchen Stellen lustig ohne jegliche Albernheiten – vor allem aber ein Film mit einer dezent vorgetragenen Botschaft, der uns neben der Vergänglichkeit vor allem eines nachdrücklich ins Gedächtnis ruft: den Wert der Freundschaft, die alle Grenzen des Lebens überwinden kann.

(Joachim Kurz)
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Ein solider Genremix aus Road Movie und Tragikomödie bietet Christian Züberts Hin und Weg. Roadmovie im klassischen Sinne, denn die Freunde rund um Hannes (Florian David Fitz) und seine Frau Kiki (Julia Koschitz) machen mit ihnen wie jedes Jahr eine Fahrradtour. Dass sich Hannes dieses Mal ausgerechnet einen Trip nach Belgien ausgesucht hat, sorgt für Verwunderung und Gelächter. Diverse Belgienwitze folgen.

So trifft sich die Clique und macht sich auf den Weg nach Oostende. Abends säuft man zusammen und widmet sich diversen Ritualen. Tagsüber wird wieder geradelt, doch bald fällt auf, dass Hannes nicht mithalten kann und ungewöhnlich unfit ist. Bei einem kurzen Zwischenstopp bei Hannes‘ Mutter wird dann auch klar, warum Belgien das Ziel der Reise ist. Denn in Belgien gibt es Sterbehilfe. Hannes hat dort einen Termin, er ist an ALS erkrankt und will nicht — wie damals sein Vater — daran elendig zugrunde gehen. Dass er niemandem davon erzählt hat, macht die Sache natürlich nicht besser und die Gruppe ist schockiert. Nach anfänglichen Bedenken fahren dann aber alle weiter auf Hannes‘ letzte Radtour und Reise, natürlich nicht ohne den dazugehörigen Seelenstriptease aller Beteiligten und einem langsamen Abschiednehmen. Es heißt ja immer beim Sterben ist man allein. Beim Trauern auch und so bemüht sich der Film, die verschiedenen Herangehensweisen an das Trauern zu erkunden.

Dabei ersäuft der Film aber nicht im Pathos und im Weinen, sondern entwickelt eine Art Gegenreaktion im Lachen. Man lacht den Tod an und eine Weile sogar weg, man sucht Katharsis im Verrückten. Hier muss man sagen, macht Hin und Weg einiges besser, als viele andere Filme seiner Art. Er schafft es über weite Teile eine emotionale Balance zu halten und Facetten zu zeigen anstatt sich entweder im totalen Rosamunde Pilcher Pathos zu ertränken oder kühl an der Oberfläche der Dinge zu bleiben und lieber mit Sicherheitsabstand zu beobachten. Allerdings kann er es nicht lassen mal mehr, mal weniger offensichtlich dem Zuschauer die Tränen abzuringen und ihn so gut es geht emotional zu manipulieren. Man will halt einen bestimmten Punkt setzen, man hat eine Message und die muss nach Hause gebracht werden, komme was da wolle.

Trotz einiger guter Momente ist der Film doch nichts anderes als die x-te Wiederholung alter generischer Themen und Bilder. So bleibt das Gefühl einer faden Fingerübung beizuwohnen, in der jemand lernt, wie man einen Film macht, der so in dieser Art schon hundert Mal zuvor gedreht wurde. Zübert weiß, dass merkt man durch und durch, ganz genau was er tut. Die Frage ist also: Warum nur wiederkäuen was es schon gibt, wieso nicht etwas wagen, innovativ sein, es anders machen? Spätestens wenn der Film am Ende sich zur letzten „1 Jahr später“ Szene aufschwingt, ist die Enttäuschung vollkommen. Wie schade.

(Festivalkritik von Beatrice Behn)

Hin und weg

Es muss wohl eine besondere Beziehung zwischen den Deutschen und dem Meer bestehen. In „Knocking on Heaven’s Door“ zog es einen todkranken Til Schweiger an die Nordseeküste und nun macht sich in Christian Züberts „Hin und weg“ Florian David Fitz auf einen ähnlichen Weg.
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Meinungen

C. Martin · 07.11.2014

ich kann die Kritik von Frau B.Behn überhaupt nicht nachvollziehen, gerade gegen Ende wird es zunehmend ärgerlicher, wahrscheinlich hat sie Probleme mit dem Thema Sterbehilfe an sich;
ich stimme der Filmkritik von J. Kurz voll zu.