Heli

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Unendliches Grauen

Zu Beginn von Amat Escalantes Film Heli gibt es eine lange Sequenz, die sich nach gut einer Stunde Laufzeit wiederholt. Wir sehen zwei Menschen auf dem Boden eines Pick-ups, beide wurden zuvor offensichtlich schwerstens misshandelt. Die Fahrt endet an einer beinahe schon absurd anmutenden Fußgängerüberführung, die ohne Sinn und Plan am Eingang eines kleinen Ortes steht. Dort hinauf wird einer der geschundenen Körper gebracht, dann mit einem Seil am Hals über die Brüstung geworfen, um hoch über der Straße als Zeichen der Warnung über den Köpfen der Passanten und Vorbeifahrenden zu baumeln.
Die Szene ist nur die erste in einer ganzen Reihe von Schocks, derer sich Amat Escalante bedient, um von einer Gesellschaft in der mexikanischen Provinz zu berichten, die sich längst außerhalb dessen bewegt, was wir als Zivilisation verstehen. Guanajuato heißt die Provinz in Zentralmexiko, aus der unter anderem der berühmte Maler Diego Rivera, der Ehemann Frida Kahlos stammt. Und wie viele Gegenden in Mexiko, so gibt es auch hier ein ernsthaftes Problem mit den allgegenwärtigen Drogenkartellen, die längst eine Art Staat im Staat geworden sind und deren gewalttätigem Treiben man kaum noch Einhalt bieten kann — weder die staatlichen Gewalten und erst recht nicht der Einzelne.

Dieser Einzelne ist in Amat Escalantes drittem Spielfilm Heli, ein junger Mann, der als Arbeiter in einer Automobilfabrik seinen Lebensunterhalt verdient. Gemeinsam mit seinem Vater, seiner 12-jährigen Schwester Estela, seiner Frau und dem gemeinsamen Kind wohnt er in einem Haus und versucht, sich aus allem Ärger herauszuhalten. Dann aber lernt seine Schwester Estela den jungen Polizeikadetten Beto kennen, der das junge Mädchen ungeachtet ihres beinahe noch kindlichen Alters gerne heiraten würde. Um diesem Ziel näher zu kommen, entwendet er mehrere Päckchen mit Kokain und versteckt sie auf dem Dach von Estelas Familie — nicht ahnend, dass er sie und ihre Familie damit einem gewaltigen Risiko aussetzt. Denn nicht nur das Drogenkartell, sondern auch eine Sondereinheit der Polizei und das Militär sind offensichtlich in die Geschäfte mit den Drogen verwickelt und arbeiten Hand in Hand. Die Folgen dieser Verwicklungen sind für Heli und seine Familie gewaltig und nicht jeder der Beteiligten wird die kommenden Ereignisse überstehen…

Dass Heli ein schonungsloser Film ist, ist wohl noch eine maßlose Untertreibung. Die Folterszenen sind von so unglaublich roher Gewalt, dass man sich in einigen Momenten nur noch abwenden möchte, wenn mit Holzschlägern auf wehrlose Körper eingeprügelt wird oder männliche Geschlechtsteile in Flammen aufgehen. Allerdings ist die Brutalität niemals Selbstzweck, sie ist vielmehr ein integraler Bestandteil der verrohten Gesellschaft, die Escalante in Heli beschreibt. Am Ende wird es Heli zwar gelingen, eine (wenngleich bei Lichte betrachtet sehr marginale) Form der Gerechtigkeit wieder herzustellen, doch die Ruhe, die am Ende herrscht, ist eine trügerische, man wartet beinahe schon darauf, dass eine Faust oder ein Fuß gegen die Tür tritt.

Escalantes Blick auf seine Figuren ist kein sentimentaler, sondern vielmehr nüchtern und fast schon erschreckend mitleidslos. Wenn wir in ihre anscheinend regungslosen Gesichter sehen, meinen wir darin die Resignation einer ganzen Gesellschaft zu erkennen, die sich dem unabwendbaren Schicksal gebeugt hat, dass jeder zum Opfer werden kann, jederzeit und aus den banalsten Anlässen. Was bleibt ist Verstörung und unendliches Grauen.

Heli

Zu Beginn von Amat Escalantes Film „Heli“ gibt es eine lange Sequenz, die sich nach gut einer Stunde Laufzeit wiederholt. Wir sehen zwei Menschen auf dem Boden eines Pick-ups, beide wurden zuvor offensichtlich schwerstens misshandelt. Die Fahrt endet an einer beinahe schon absurd anmutenden Fußgängerüberführung, die ohne Sinn und Plan am Eingang eines kleinen Ortes steht.
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