Heimatland (2015)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Der Untergang der Schweiz

Das Ende beginnt ganz harmlos. Irgendwo in den schroffen Gebirgslandschaften der Zentralschweiz steigen zarte Dampfschwaden aus den Bergbächlein und Seen empor, zuerst nur ganz zögerlich, dann werden sie immer mehr, finden sich zusammen zu größeren Schwaden, bilden einen leichten Nebel und verwandeln das stille Gewässer eines kleinen Sees in eine Kreisbewegung, die sich zu einem Strudel auswächst. Ein ganz leiser Beginn und dennoch lässt die Einsamkeit und Kargheit der hochalpinen Natur etwas erahnen: Dass hier im Kleinen und Verborgenen etwas vor sich geht, das wie der Flügelschlag eines Schmetterlings eine Katastrophe gewaltigen Ausmaßes auslösen kann.

Und dann ist sie plötzlich da, die Wolke. Unübersehbar schwebt sie am Himmel, verdüstert diesen, wird immer größer, dunkler und bedrohlicher und kündigt einen Sturm an, wie ihn die Schweiz noch nicht gesehen hat. Doch es ist kein Weltuntergang, der hier droht, sondern eine lokal deutlich begrenzte Katastrophe. Denn aus unerklärlichen Gründen – wie überhaupt vieles an diesem Film mysteriös bleibt – stellt die Wolke irgendwann ihr Wachstum just an den Landesgrenzen der neutralen Schweiz zu den umgebenden Ländern der Europäischen Union ein.

Doch zum Hinterfragen kommen weder die schockierten Schweizer im Film noch der zunehmend faszinierte Zuschauer im Kinosessel, so eigentümlich bestechend und seiner eigenen Logik folgend ist dieser merk- und denkwürdige Film aufgebaut, von dem schnell klar wird, dass er weniger ein Katastrophenszenario als vielmehr eine Parabel über und eine ätzende Satire auf das helvetische Selbstverständnis darstellt.

Heimatland ist das durch und durch unkonventionelle Gemeinschaftsprojekt zehn junger Schweizer Regisseure, ein Kollektivfilm, der just ein anderes Kollektiv, eine Nation, einen Bund von Brüdern derart radikal in Frage stellt, dass es eine Lust ist, dieser Dekonstruktion eines Landes zuzusehen.

Dabei fällt beim normalen Zuschauen kaum auf, dass dies ein Gemeinschaftsprojekt ist. Anders als bei anderen Episoden- bzw. Omnibusfilmen, gibt es hier keine deutlich voneinander getrennten Episoden, sondern ineinander verschlungene Erzählstränge, die aus der Sicht verschiedener Figuren eine Perspektive auf die sich abzeichnende Katastrophe werfen. Eine alte Dame, ein Taxifahrer aus Kroatien nebst Familie, ein unangenehm zynischer Geschäftsmann, die Vorstandssekretärin eines Versicherungskonzerns, der aufgrund der zu erwartenden Schaden prompt ein Rettungspaket seitens der Regierung fordert, eine Polizistin mit einem schwarzen Schatten auf ihrer Seele, zwei Mädchen, deren Eltern nicht da sind in der Stunde der Not, dazu einige Burschen vom Land, die einem Rechtspopulisten auf den Leim gehen, ein junges Paar: Derart vielgestaltig ist das Ensemble und doch weit davon entfernt, einen am Proporz ausgerichteten Querschnitt der Schweizer Gesellschaft zu bilden.

Sicher: An manchen Stellen wird die Botschaft von Heimatland vielleicht etwas zu deutlich ausbuchstabiert, insgesamt liefert der Film aber einen so vielschichtigen, hinter- und tiefgründigen sowie tragikomischen Bericht zur Lage einer Nation ab, dass man sich unwillkürlich wünscht, etwas Ähnliches möge auch einmal in Deutschland möglich sein.

Nach den Mehrfacherfolgen Schweizer Filme beim Filmfestival Max Ophüls Preis in Saarbrücken im Januar diesen Jahres ist Heimatland ein weiterer Hinweis darauf, dass sich die Filmszene des Landes derzeit auf einem guten Weg befindet. Insofern könnte man den Titel dieses außergewöhnlichen Werkes nicht nur als zwiespältigen Kommentar zur eigenen Nation sehen, sondern auch als Ausdruck eines neuen Selbstbewusstsein junger Schweizer Filmschaffender, als Weckruf und Ausrufezeichen, das für den festen Willen steht, als Regisseure wieder Impulse liefern zu wollen für einen gesellschaftlichen Diskurs des Kinos.
 

Heimatland (2015)

Das Ende beginnt ganz harmlos. Irgendwo in den schroffen Gebirgslandschaften der Zentralschweiz steigen zarte Dampfschwaden aus den Bergbächlein und Seen empor, zuerst nur ganz zögerlich, dann werden sie immer mehr, finden sich zusammen zu größeren Schwaden, bilden einen leichten Nebel und verwandeln das stille Gewässer eines kleinen Sees in eine Kreisbewegung, die sich zu einem Strudel auswächst.

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Meinungen

Dispater · 15.06.2016

Vom Trailer und Titel her spekulier ich mal das es um Nationalismus geht. Deswegen wird auch betont das die Wolke in der Schweiz enstand und kein Ding ist was wieder mal von "Draußen" eingeschleppt wurde. Wunder mich nur das das so visualisiert werden musste. Hat was von post 45 Entnazifizierungsstreifen. Als man auch mit abstrakteren Bildern arbeiten musste um uns Deutschen begreiflich zu machen was an der Nazi Ideologie falsch war. Weil die uns so in Fleisch und Blut übergegangen war. Denke das wär auch ein Film für Frankreich, Polen, Tschechien, Ungarn und auch Deutschland. Es ist ja nicht nur in der Schweiz "bewölkt".