Haus ohne Dach (2016)

Eine Filmkritik von Verena Schmöller

Familienzusammenhalt

Bilder: Fotografien, Fernsehbilder, der weitschweifende Blick in die Landschaft. Haus ohne Dach ist ein Film, dem das Bild sehr wichtig ist. Das wird schon in der ersten Szene deutlich, wenn man dem Fotoshooting einer fünfköpfigen Familie zuschaut. Es sollen eigentlich schöne Bilder werden: Die Kinder auf einer Bank im Vordergrund, die Eltern dahinter. Dann aber fällt der Strom aus, die Familie sitzt im Dunkeln, der Fotograf setzt nur sein Blitzgerät ein. Und das nutzen die Kinder gnadenlos aus. Das Ergebnis sind die schönsten Quatschfotos, die Kinder sich nur vorstellen können.

Haus ohne Dach erzählt eine Familiengeschichte aus Sicht der Kinder. Allerdings sind diese mittlerweile – im Nordirak geboren, in Deutschland aufgewachsen – erwachsen geworden und stehen mehr oder weniger auf den eigenen Beinen. Jan (Sasun Sayan), der Älteste, ist dabei, eine Familie zu gründen; er stand der Mutter Gule (Wedad Sabri) immer am nächsten. Alan (Murat Seve) ist der Jüngste unter den Geschwistern und noch auf der Suche nach dem, was er mit seinem Leben anfangen will; er ist vor allem wütend – auf sich, auf die Welt und vor allem auf seine Familie. Schwester Liya (Mina Özlem Sağdıç) hat einen künstlerischen Weg eingeschlagen und versucht sich als Musikerin, ist allerdings nur mäßig erfolgreich.

Die Drei haben sich in den vergangenen Jahren sehr voneinander distanziert, und wenn sie sich sehen, kracht es schnell zwischen den Geschwistern. Als sich jedoch die Mutter entscheidet, in ihre Heimat, ins kurdische Gebiet im Norden Iraks, zurückzukehren, bricht der große Streit aus: Jan möchte mit seiner Mutter zurück ins Heimatdorf, Liya und Alan wollen in Deutschland bleiben. Dann stirbt die Mutter und hat einen letzten Wunsch: In Kurdistan begraben werden, an der Seite ihres Mannes – was die kurdische Großfamilie so gar nicht akzeptieren will. Das bringt die Geschwister in große Konflikte, und es beginnt ein Road Trip, der nicht nur die Familienverhältnisse klären und die Familie zusammenschweißen wird, sondern für jeden der Drei eigene Überraschungen bereithält.

Der Debütfilm von Soleen Yusuf feierte seine Premiere auf dem Münchner Filmfest 2016 und kommt nach einer langen Festivaltour nun in die deutschen Kinos. Er erzählt zuvorderst eine Familiengeschichte, die sich zwischen zwei Kulturen abspielt, letztendlich aber sind die Ereignisse innerhalb der Familie das zentrale Thema und das, was die Regisseurin besonders an ihrem Stoff interessiert. Die Milieus und die politischen Verhältnisse, die den Film ebenso prägen wie das Dazwischensein zwischen der deutschen und der kurdischen Kultur, machen den Film allerdings zu etwas Besonderem. Sie nehmen den Zuschauer mit auf eine Reise in eine fremde Kultur, geben ihm eine einzigartige Tonalität und wecken in der Regisseurin, wie sie sagt, Erinnerungen und ein Gefühl von Heimat.

Soleen Yusuf bedient sich neben einem feinen Humor, durch den sie die Figuren und auch die Kultur charakterisiert, vor allem einer sehr poetischen Erzählweise: Dazu gehören die melancholischen Lieder, die der Taxifahrer singt oder die über dem Bild liegen. Gerade am Ende verdichten sich hier Erzählung und Musik, wenn Ay lê Gulê von Mehmet Atli eingespielt wird. Und es sind vor allem die Bilder, mit denen Yusuf überzeugt: Totalen, die die karge, aber beeindruckende Landschaft zeigen, wechseln sich ab mit Nahaufnahmen, die das Hin- und Hergerissensein der Figuren sichtbar machen. Den Rahmen des Films bilden die Fernsehbilder, die einmal den Sturz Saddam Husseins zeigen, dann den Einmarsch des IS. Beide Male zeigen sie für die Figuren unfassbare Ereignisse, die ihr Leben beeinflussen werden. Die politische Geschichte ist also untrennbar mit der Familiengeschichte verknüpft, sie wirkt sich auf das Leben jedes einzelnen aus. Auch deshalb hat Soleen Yusuf den Preis für abendfüllende Spielfilme bei den First Steps Award gewonnen.
 

Haus ohne Dach (2016)

Bilder: Fotografien, Fernsehbilder, der weitschweifende Blick in die Landschaft. Haus ohne Dach ist ein Film, dem das Bild sehr wichtig ist. Das wird schon in der ersten Szene deutlich, wenn man dem Fotoshooting einer fünfköpfigen Familie zuschaut. Es sollen eigentlich schöne Bilder werden: Die Kinder auf einer Bank im Vordergrund, die Eltern dahinter.

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Meinungen

Gisa Beek · 02.09.2017

Danke für diesen wunderbaren Film!
Eins beschäftigt mich noch, weil ich es rein akustisch nicht richtig mitgekriegt habe.
Was bitte hat den Vater zum "Verräter" werden lassen???
Was also ist genau das "Familiengeheimnis???

Danke und Grüße aus München