Goodnight Nobody

Eine Filmkritik von Verena Schmöller

Die einsame Welt des Wachens

Mila fährt stundenlang ziellos umher. Jérémie schaut den Katzen bei ihren nächtlichen Theaterstücken zu. Fedir und Lin Yao wandern ziellos in den Fluren ihrer Wohnung auf und ab und versuchen, Zeit totzuschlagen. Wer schlaflos die Nächte verbringt, hat mehr Zeit als seine Mitmenschen, so viel Zeit, dass er routiniert und fast schon professionell die Langeweile bekämpft. Jacqueline Zünds Dokumentation Goodnight Nobody nimmt vier Schlaflose in den Focus, erzählt die Geschichte ihrer Insomnia und dokumentiert vor allem ihre stille und einsame Welt des Wachens.
Der Film beginnt mit der Geschichte um den Mann, den alle den „Insomnia-Mann“ nennen. Fedir Nesterchuk lebt mit seiner Frau im ukrainischen Kamin-Kashirski, hat früher in einer Kolchose gearbeitet und sich dort das Schlafen abgewöhnt. Während alle seine Kollegen nach Nachtschichten müde und erschöpft gewesen seien, habe er sich gut gefühlt. Viele Zeitungsjournalisten und Filmteams waren schon in Kamin-Kashirski, um über den Mann, der „20 Jahre ohne Schlaf“ ist, zu berichten. Doch seine Nachbarn und die Leute aus dem Dorf wollen ihm seine Geschichte nicht recht glauben. Die Kamera zeigt den Mann allein am Küchentisch, vor dem Fernseher, auf dem Bett und im Hausflur; sie führt vor, wie er die Nacht herumbringt und sie sich buchstäblich um die Ohren schlägt. Dennoch macht Fedir einen fast zufriedenen Eindruck.

Auch Jérémie Kafando aus Ouagadougou in Burkina Faso, Putzmann im Theater Cito, scheint die einsamen Nächte zu genießen, wenn ihm die Bühne ganz allein gehört. Nicht so Lin Yao aus Shanghai: Sie leidet sichtlich unter der Krankheit und nennt sie einen Teufelskreis, aus dem sie nicht mehr ausbrechen kann. Shanghai ist für sie nur noch eine Traumwelt, das reale Leben hat sie hinter sich gelassen. „Schlafen ist etwas Natürliches, etwas, was alle tun, ohne darüber nachzudenken“, sagt Mila Dean aus Tucson, USA. Die Zeit der Schlaflosigkeit nutzt sie, um nachzudenken und Gedichte über das Nicht-Schlafen zu schreiben. Sie vertreibt sie auch gerne im 24-Stunden-Supermarkt und hat sich unzählige Spiele ausgedacht, wie sie Langeweile nach Mitternacht vermeidet: Grapefruit-Kegeln, Einkaufswagen füllen und stehenlassen, jemanden dazu bringen, eine Katze zu spielen, und „stell eine Menge Fragen“.

Goodnight Nobody ist ein außergewöhnlicher Dokumentarfilm. Ihm geht es weniger darum, Zahlen und Fakten zu präsentieren, Gründe zu finden und Antworten zu geben auf Fragen. Vielmehr geht es dem vielfach prämierten Film darum, die Parallel-Welt der Insomniacs zu vermitteln und die Stimmung bei Nacht aufzufangen, wenn alle – so der Anschein – außer den vier portraitierten Menschen schlafen. Und somit inszeniert Goodnight Nobody auch seine ‚Figuren‘, stellt Szenen nach und rückt sie gezielt ins Scheinwerferlicht. Eine ganze Nacht lang begleitet der Film Fedir, Jérémie, Lin Yao und Mila und verleiht dieser Nacht – auch durch den einfühlsamen Soundtrack – einen einzigartigen Zauber, und der wache Zustand des Schlaflosen wird nachempfindbar.

Goodnight Nobody

Mila fährt stundenlang ziellos umher. Jérémie schaut den Katzen bei ihren nächtlichen Theaterstücken zu. Fedir und Lin Yao wandern ziellos in den Fluren ihrer Wohnung auf und ab und versuchen, Zeit totzuschlagen. Wer schlaflos die Nächte verbringt, hat mehr Zeit als seine Mitmenschen, so viel Zeit, dass er routiniert und fast schon professionell die Langeweile bekämpft.
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Meinungen

Magda · 21.11.2012

Als der Film in die Kinos kam, war ich im Ausland und hab ihn verpasst. Seitdem frage ich mich, wann er auf DVD veröffentlicht wird.

David Z. · 16.03.2012

Ein hypnotische Erfahrung, in den Zustand der Schlaflosen mit einzutauchen und die Leere und Einsamkeit der Nacht mit ihnen teilen. die soghafte Wirkung des Films ensteht durch die erstklassige Arbeit von Kameramann von Graevenitz und Komponist Marcel Vaid. Einer der besten Dokfilme der letzten Jahre. Genre-Horizont erweiternd!

Johannes F. · 16.03.2012

Goodnight Nobody ist traumhaft schön. Hingehen und genießen! Unglaublich tolle Bilder und Musik. Der Film ist etwas ganz besonderes.

Christian K. · 16.03.2012

Ein ganz ganz toller Film! Absolut sehenswert für jeden der sich auf visuelle Ästhetik abseits des Mainstream einlassen kann.