Genius - Die tausend Seiten einer Freundschaft

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Licht und Schatten einer literarischen Freundschaft

Sie sind die Männer und Frauen im Hintergrund, trennen die Spreu vom Weizen, halten Händchen, geben Ratschläge, verbessern unermüdlich, sind Dompteur, Psychologe, Trüffelschwein und Beichtväter in Personalunion und ohne sie käme der gesamte Literaturbetrieb zum Erliegen: Die Rede ist vom Berufsstand der Lektoren bzw. davon, was er früher einmal war. Denn schaut man sich das Buchgeschäft heute an, ist vom literarischen Glamour nicht mehr viel übrig, und hinter vorgehaltener Hand bekommt man gerne einmal zugeflüstert, dass man ja heutzutage eher eine Art Produktmanager wäre. Wie sich doch die Zeiten geändert haben.
Insofern ist Michael Grandages Drama Genius – Die tausend Seiten über eine Freundschaft über die außergewöhnliche Beziehung des Autoren Thomas Wolfe zu dessen Lektor Maxwell Perkins schon allein dadurch eine überaus nostalgische Angelegenheit, eine Zeitreise ins verlorene Paradies einer sich völlig gewandelten Buchkultur. Und genau diesen fast schon wehmütigen Blick merkt man dem Film auch an.

Im Jahr 1929 ist der vor Worten und Ideen nur so übersprudelnde Autor Thomas Wolfe (Jude Law), der aus einem Provinzkaff in North Carolina stammt, bei den Verlagen New Yorks bestens bekannt – oder vielleicht sollte man eher sagen gefürchtet. Seine natürlich unverlangt eingesandten Manuskripte türmen sich wie gewaltige Ziegelsteine auf den Schreibtischen der Lektoren, die seine Konvolute allesamt schon abgelehnt haben. Und so begibt er sich nicht gerade hoffnungsvoll in das Verlagsgebäude von Charles Scribner’s Sons und begegnet dort einem Mann, der sein Leben verändern wird. Denn anders als seine Kollegen erkennt Maxwell Perkins (Colin Firth) in dem ungestüm auftretenden Schriftsteller ein herausragendes Talent, dessen Werke allerdings viel Arbeit erfordern. Doch Perkins ist bereit, diese Mühen auf sich zu nehmen. Und so beginnt er gemeinsam mit Wolfe daran, sich auf die 1100 Seiten zu stürzen und sie um rund ein Viertel herunter zu kürzen, was natürlich einen zähen Kampf zwischen Autor und Lektor bedeutet. Allerdings vertraut Wolfe diesem sanften und dennoch bestimmten Mann. Und da auch der Erfolg des ersten Romans nicht lange auf sich warten lässt, entsteht zwischen den beiden eine enge und fruchtbare Arbeitsbeziehung, die auch von manisch hingeworfenen Manuskripten mit 5000 Seiten nicht auf eine ernsthafte Probe gestellt werden kann.

Es ist durchaus faszinierend und gibt dem Film seine ganz eigene Tonalität, dem Zusammenspiel von Colin Firth und Jude Law zuzuschauen, die als Charaktere diametral entgegengesetzt angeordnet sind: Auf der einen Seite das genialischen Schriftstellertalent voller ungezügelter Energie und ohne einen Funken Disziplin, auf der andere Seite der akribische Arbeiter, der Pedant, der literarische Buchhalter Perkins, der nach den schweren Kämpfen mit seinem Schützling am Abend in die familiäre Vorstadtidylle zurückkehrt und dort ein treusorgender Vater und liebevoller Ehemann ist – was man sich bei Wolfe niemals vorstellen könnte. Auch wenn dies über lange Zeit fast wie ein Klischee vom Künstlerdasein einerseits und der disziplinierenden Hand eines Lektors andererseits erscheint, so verschiebt Grandage gekonnt und beinahe unmerklich die Balance. Am Ende ist man sich als Zuschauer keineswegs mehr so sicher, ob mit dem titelgebenden Genie wirklich der dafür eigentlich prädestiniert scheinende Wolfe gemeint ist oder nicht vielleicht eher der stille und geduldige Maxwell Perkins.

So schön die hier eingefangene Männerfreundschaft auch ist – alle anderen Figuren verblassen angesichts dieses Aufeinandertreffens und werden zu geronnenen Klischees oder zu reinen Stichwortgebern: Wolfes Geliebte Alina Bernstein etwa wird von Nicole Kidman (auch angesichts eher magerer und wenig ergiebiger Dialogzeilen) als hysterische Zicke interpretiert, während Wolfes in Kurzauftritten eingeführte Schriftstellerkollegen Ernest Hemingway oder F. Scott Fitzgerald vor allem als Abziehbilder ihres öffentlichen Bildes erscheinen, so dass man selbst als nur mäßig literarisch interessierter Zuschauer schnell weiß, in welche bildungsbürgerlichen Schubladen man diese Menschen hineinpacken muss.

Nicht allein deswegen halten sich bei Genius Licht und Schatten die Waage: Einerseits besitzt es durchaus einiges an Spannung, großer Literatur beim Entstehen zuzuschauen. Andererseits ist es dann aber auch bedauerlich, dass die gleiche doppelte Genialität von Thomas Wolfe und Maxwell Perkins so wenig auf Michael Grandages brave Inszenierung abgefärbt hat. Immerhin aber gelingt ihm eine der schönsten Darstellungen des in die Krise geratenen Berufsstandes eines Lektors und dessen früher einmal ganz besonderer Vertrauensbeziehung zu „seinen“ Autoren. Und ja, man ertappt sich gelegentlich dabei, wie man sich wünscht, dass genau das wieder so werden könnte.

Genius - Die tausend Seiten einer Freundschaft

Sie sind die Männer und Frauen im Hintergrund, trennen die Spreu vom Weizen, halten Händchen, geben Ratschläge, verbessern unermüdlich, sind Dompteur, Psychologe, Trüffelschwein und Beichtväter in Personalunion und ohne sie käme der gesamte Literaturbetrieb zum Erliegen: Die Rede ist vom Berufsstand der Lektoren bzw. davon, was er früher einmal war.
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Meinungen

wignanek-hp · 15.08.2016

Ich kann die Kritik nicht nachvollziehen, die an dem Film geübt wird. „Genius“ ist kein lauter Film, er verhandelt eine ungewöhnliche Freundschaft mit recht gegensätzlichen Charakteren. Dass die Amerikaner negativ auf den Film reagieren würden, war klar. Zu tief sitzt die narzistische Kränkung, dass ein Film über so ein ureigenes amerikanisches Thema von Engländern gemacht wurde. Vielleicht wäre er unter amerikanischer Ägide lauter, temporeicher, umtriebiger geworden, aber dadurch auch wahrer? Sicherlich nicht. Ich denke, die Geschichte kommt so, wie sie erzählt wird, der Wahrheit schon ziemlich nahe. Dass für viele der Prozess um die Entstehung eines Buches fremd ist, mag seinen Teil zu dem Unverständnis vieler Kritiker beitragen, aber es ist himmelschreiend ungerecht, den Schauspielern vorzuwerfen, sie wären zu statisch (Firth), zu exaltiert (Law) oder zu hysterisch (Kidman). Bei Colin Firth sitzt jeder Blick, jede Geste, sei sie auch noch so klein und bei Jude Law erkennt man die Verzweiflung eines Genies, das nicht recht weiß, ob es eines ist. Und warum verdammt noch mal, darf Nicole Kidman ihre Rolle nicht hysterisch anlegen! Sie bietet damit zu dem Männerbund genau das richtige dramatische Gegengewicht. Wenn dieser Film „brav“ inszeniert ist, dann liebe ich „brave“ Filme. Zu sehr wird man im Moment mit lauten, martialischen oder experimentellen Filmen überschwemmt, als müsse die Weltlage im Kino durch noch mehr Klappern getoppt werden. Dann kommt da so ein aus der Welt gefallener Film mit exzellenten Schauspielern daher, der sich auf eine fast vergessene Tugend des Filmes besinnt, Geschichten zu erzählen. Ich habe mich übrigens über das „Abziehbild“ Hemingway köstlich amüsiert. Wer sagt denn, dass er nicht so war mit seinem Machogetue? Sicherlich könnte man sagen, die Figuren um die beiden Hauptcharaktere herum kommen zu kurz, aber so liegt der Fokus ganz eindeutig auf Wolfe und Perkins. Die Familie des Verlegers und seine Schriftstellerkollegen Hemingway und Fitzgerald zeigen nur schlaglichtartig auf, wie besonders das Verhältnis von Verleger und Schriftsteller war. Ein absolut sehenswerter Film!