Gauguin (2017)

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Paradise Lost

„Ich ersticke. Ich finde hier keine Landschaft mehr und keine Gesichter, die es verdienen, gemalt zu werden.“ Paul Gauguin ist am Ende. Wieder einmal, dieses Mal in Paris im Jahre 1891. Weiterhin absolut verarmt, von den Kollegen missachtet – und nun auch noch von der eigenen Frau Mette (Pernille Bergendorff) verlassen. Sie und die gemeinsamen fünf Kinder, die ihm ebenso den Respekt verweigern, wird der von Vincent Cassel brillant verkörperte Gauguin nicht mehr häufig sehen in seinem unsteten (Künstler-)Leben, das bis zum bitteren Ende in Krankheit und Vereinsamung beständig von Aufbruch und Melancholie durchzogen war.

Ohne je Ideals Monotonie in der Südsee, Melancholie bei 30 Grad gehört zu haben, war er der erste und maßgeblichste Vater der modernen Malerei (neben Matisse, Cézanne und van Gogh), der seinen persönlichen Seelenfrieden abseits der damaligen Weltkapitale Paris in der tahitianischen Ferne suchte und dadurch rasch als eine der berühmtesten Aussteigergestalten in die Kunstgeschichte einging: Mit sozusagen Bora Bora im Geist statt Can-Can in den Beinen. Obwohl noch zu Lebzeiten ziemlich verkannt und wirtschaftlich alles andere als erfolgreich, erzielen seine um entrückte Sehnsucht und kreolische Wildheit kreisenden Gemälde heutzutage die höchsten je bezahlten Summen auf dem internationalen Kunstmarkt. Sein Leben ist längt Legende – und auch die Filmwirtschaft hat sich bereits mehrfach mit diesem vielleicht berühmtesten Exil-Künstler aller Zeiten beschäftigt.

Nach Donald Sutherland (in Henning Carlsens etwas schwerfälligem Biopic Die Augen des Wolfes (1986)) – oder auch dessen Filius Kiefer Sutherland (in Paradies – Die Leidenschaften des Paul Gauguin von 2003) – steigt nun der derzeitige französische Alleskönner Vincent Cassel in den Schauspielerring, um sich in Édouard Delucs Gauguin mit der oscarprämierten Performance von Anthony Quinn als Gaugins Malerkollege Vincent van Gogh aus dem Jahr 1956 zu messen.

Und er geht als klarer Gewinner hervor. Denn im erstaunlich freigeistigen Regiedebüt von Deluc, das sich insgesamt angenehm wenig um die üblichen Biopic-Zutaten schert und stattdessen gelungen auf zahlreiche Western-Referenzen im Sinne Hawks’ setzt sowie sich offen emotionaler Naturmetaphorik à la Jane Campion (Das Piano) bedient, ist Vincent Cassel durchwegs die tragende Stütze des Films. In seiner Verkörperung Gauguins, der von Zeitgenossen immer wieder als betont launenhaft, gar streitsüchtig – Stichwort van Goghs Ohr – beschrieben wurde, schimmert der eigentliche Abenteuer durch, der sich bewusst und gegen jeden Willen von außen frühzeitig in das damalig gefühlte Ende der Welt absetzte: Alleine der Kunst wegen? Nicht ganz: Natürlich auch im Einklang mit seinen nicht minder legendenumwobenen „wilden“ Eva-Musen, die Gauguin in einem wahren Schaffensrausch zwischen 1891 und 1893 in mehr als 66 Gemälden verewigte.

Die gerade erst 17-jährige Newcomerin Tuheï Adams glänzt in Édouard Delucs ausgesprochen stimmigen Abenteuerfilm an der Seite von Cassel als Tehura von der ersten Sekunde an. Alleine mit ihren stillen, wunderbar geheimnisvollen Augen(blicken) ließe sich getrost ein weiterer ganzer Künstlerfilm erzählen, ohne sich je in gängigen Südsee-Klischeevorstellungen zu verheddern.

Das ist der zweite positive Aspekt an Delucs Regiearbeit: Zum ersten Mal wird hier mit einem geschichtlich ehrlichen, postkolonialen Blick auf die von Wasser und Reis geprägten Aussteigerjahre Gauguins geschaut. Die ansässigen, weitgehend unkorrumpierbaren Maori-Gruppen hatten sich eher mit „Koke“, wie sie ihn nannten, arrangiert, als dass sie ihn geliebt hätten, wie es bis heute gerne – aber eben falsch – in unzähligen Gauguin-Artikeln nachzulesen ist. Er blieb – trotz allmählich wachsender Sprachkenntnisse – in ihren Augen im Grunde stets ein „Zivilisierter“, auch wenn er optisch wie sie in Schmutz und Armut vegetierte und sich mit Hilfsarbeiten am Hafen oder beim Bau des Panamakanals finanziell durchschlagen musste.

Obendrein sorgen Pierre Cottereaus meisterhaft entsättigte Bildkompositionen und ein erneut sagenhaft eindringlicher Score aus der Feder von Warren Ellis (Mustang, Den Menschen so fern) dafür, dass dieser Gauguin-Film trotz kleinerer Schwächen im Drehbuch, das der Regiedebütant Deluc zusammen mit Étienne Comar (Django – Ein Leben für die Musik), Thomas Lilti und Sarah Kaminsky nach den ominösen Reiseaufzeichnungen des Malers (Noa Noa, Voyage de Tahiti) geschrieben hat, absolut frisch und eigenständig bleibt.

Im Stil durchaus ähnlich zu beispielsweise Naomi Kawases Still the Water oder Terrence Malicks The New World sind hier das Wasser, der Horizont, allerhand Naturgeister und innere Dämonen die eigentlichen Stars des Films, weil sich von Beginn an alles um die menschlichen wie künstlerischen Urthemen (wie Leben, Lieben, Leiden, allein, zu zweit, in der Natur oder nur in den eigenen Gedanken) dreht.

Voller Atmosphäre und filmisch-technisch gut verknüpft (Montage: Guerric Catala) gelingt es dem glänzend aufgelegten Vincent Cassel in der Titelrolle, Paul Gauguin weder als rein notorischen Störenfried noch als bloßen weltfremden Aussteiger-Typus darzustellen, sondern in erster Linie als besessenen Bilderstürmer mit einer starken künstlerischen Vision, die seiner Zeit weit voraus war. Sicherlich nimmt man ihm nicht unbedingt jeden Pinselstrich ab, aber jedes Muskelzucken und erst recht jeden Blick in die tahitianische Ferne: dem ewigen Sehnsuchtsort des Künstlers Paul Gauguin.
 

Gauguin (2017)

„Ich ersticke. Ich finde hier keine Landschaft mehr und keine Gesichter, die es verdienen, gemalt zu werden.“ Paul Gauguin ist am Ende. Wieder einmal, dieses Mal in Paris im Jahre 1891. Weiterhin absolut verarmt, von den Kollegen missachtet – und nun auch noch von der eigenen Frau Mette (Pernille Bergendorff) verlassen.

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