Fünf Jahre Leben

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

In der Hölle von Guantanamo

Fast sieben Jahre ist es her, dass Murat Kurnaz aus dem Gefangenenlager Guantanamo Bay entlassen wurde. Seitdem ist viel passiert – und vieles wurde unterlassen oder konnte nie aufgeklärt werden. Das betrifft nicht nur die Rolle des damaligen Außenministers Frank-Walter Steinmeier, sondern auch die Vorwürfe, Kurnaz sei während seiner Zeit in der US-Militärbasis auf Kuba von Angehörigen einer Elite-Einheit der Bundeswehr misshandelt worden. All dies ist aber nicht Gegenstand von Stefan Schallers beeindruckendem Spielfilmdebüt Fünf Jahre Leben, das auf Kurnaz´ Buch Fünf Jahre meines Lebens beruht. Vielmehr konzentriert sich der junge Regisseur auf einen exemplarischen Ausschnitt von rund einem Jahr, an dem aber die ganze Perfidie und Brutalität des Systems Guantanamo sicht- und spürbar werden.
Nachtschwarze Dunkelheit, schweres Atmen, sonst nichts – dies sind die ersten Sinneseindrücke, die wir von Fünf Jahre Leben bekommen. Dann schälen sich Schatten aus dem Dunkel heraus, werden zu Körpern, die gesellt auf dem Boden kauern. Nach und nach konkretisiert sich das Setting, kommen Details hinzu, die quälend langsam und damit parallel zu den Betroffenen die Erkenntnis verdeutlichen, wohin wir und mit uns die gezeigten Personen gebracht werden – in die Guantanamo Bay Naval Basis des US-Militärs auf Kuba. Jene Militärbasis also, die mit ihren Gefangenenlagern Camp X-Ray, Camp Delta und Camp Iguana zum traurigen Symbol für den mit allen Mitteln geführten „war on terror“ der USA geworden ist und die trotz gegenteiliger Versprechen bis heute existiert. Einer der Gefangenen, die nach den Anschlägen vom 11. September 2001 und dem danach ausgerufenen Krieg gegen den Terrorismus dorthin verschleppt wurden, ist der in Bremen geborene Deutsch-Türke Murat Kurnaz (Sascha Alexander Geršak), der im November 2001 von pakistanischen Sicherheitskräften gefangen genommen und gegen ein Kopfgeld an die US-Streitkräfte im benachbarten Afghanistan übergeben worden war. Weil man vermutete, er sei ein „ungesetzlicher Kombattant“ (ohne dass es dafür die geringsten Beweise gegeben hätte), wurden Kurnaz damit alle Rechte, wie sie das Kriegsvölkerrecht und das Genfer Abkommen über die Behandlung von Kriegsgefangenen vorsieht, de facto aberkannt. Was folgte, war die Hölle von Guantanamo.

Und diese Hölle erschließt sich bei Fünf Jahre Leben weniger über explizit gezeigte physische Misshandlungen (obwohl auch diese nicht ausgespart werden), sondern vielmehr über ein Psychoduell zwischen Murat Kurnaz und dem CIA-Mann und Verhörspezialisten Gail Holford (Ben Miles), der den Gefangenen beharrlich mit falschem Namen anspricht. Der Handel, den Holford dem Inhaftierten vorschlägt ist denkbar einfach – er solle (was auch immer) gestehen und dann erst könne er sich für ihn einsetzen. Dazu fallen in schneller Folge Schlagworte wie „Taliban“, „Osama Bin Laden“, „Selbstmordattentat“, die offensichtlich bei den zu Verhörenden eine Assoziationskette in Gang setzen sollen, achtlos hingeworfene Brocken, die schnell einen Verdacht aufkeimen lassen: Dass es hier gar nicht um die Erlangung von wirklichen Informationen geht, sondern um Geständnisse von zweifelhaftem Wert, die vor allem dazu dienen sollen, das Vorgehen der Sicherheitskräfte im Nachhinein zu legitimieren. Wer sich diesem Spiel nicht unterwirft wie Kurnaz, der wird zum Opfer immer hinterhältigerer Strategien zur Brechung des Willens – bei Kurnaz führt dies irgendwann soweit, dass er bereits im Hubschrauber in die vermeintliche Freiheit sitzt und dann wieder herausgezerrt wird, um anschließend noch brutaler misshandelt zu werden. Das, so wird einem schneller klar als den Gefangenen selbst, ist das wahre Gesicht des Systems Guantanamo.

Obwohl der Film weit entfernt von den tatsächlichen Handlungsorten vor allem in Brandenburg gedreht wurde, ist ein enorm realistisches Bild von den Verhältnissen und Praktiken in Guantanamo Bay entstanden. Beinahe schon glaubt man die Hitze, die Trockenheit, das Ausgeliefertsein an die Elemente und die Willkür der Soldaten physisch zu spüren. Begünstigt wird dieser Eindruck und die Eindrücklichkeit der Inszenierung, aber auch die geschickte dramaturgische und inszenatorische Verdichtung der Handlung: Im Laufe der Geschichte verengen sich die Räume immer mehr; wo es vorher noch eine Ahnung von Freiheit, ein Stück Himmel, eine Idee eines anderen Lebens außerhalb des Camps gab, rücken im weiteren Verlauf die Räume immer weiter zusammen, kommt dem Film fast jedes Tageslicht und damit auch jede Hoffnung abhanden. Und wenn man dann am Schluss dieses Filmes bemerkt, dass hier gerade mal ein Zeitraum von einem Jahr geschildert wurde und die Gefangenschaft von Murat Kurnaz noch vier weitere Jahre andauerte, dann kann man vielleicht ermessen, was es bedeutet, an diesem Martyrium nicht vollends zu zerbrechen und zugrunde zu gehen. Insofern ist Fünf Jahre Leben auch ein Film, der ein klein wenig hoffnungsvoll stimmt – weil er ohne jede Glorifizierung zeigt, was ein Mensch auszuhalten imstande ist.

Unter den Filmen im Spielfilmwettbewerb des Max-Ophüls-Preises 2013 war Fünf Jahre Leben eine Ausnahmeerscheinung – und das liegt nicht allein an der explizit politischen Thematik des Stoffes, die nach wie vor im deutschen Nachwuchsfilm eine untergeordnete Rolle spielt (warum eigentlich?). Dass der Film hier ebenso wie kurz darauf beim Filmfestival von Rotterdam, wo er mit stehenden Ovationen gefeiert wurde, für eine solch enorme (und verdiente) Aufmerksamkeit sorgte, liegt auch an der Reife, mit der Stefan Schaller und sein Team zu Werke gehen, an dem Mut, sich mit solch einer Thematik unverhohlen an internationalen Standards messen zu wollen. Gerade durch die Beschränkung auf fast nur einen Handlungsort (abgesehen von sehr sparsam eingesetzten Rückblenden) und auf ein Psychoduell zweier Männer gewinnt Fünf Jahre Leben eine schmerzhafte Eindringlichkeit, die schnell vergessen lässt, dass es sich hierbei eigentlich um einen Abschlussfilm eines frischgebackenen Regie-Absolventen handelt. Fünf Jahre Leben könnte die Diskussion um die immer noch ausstehende Aufarbeitung des Falls Murat Kurnaz wieder neu entfachen. Denn auch wenn der Mann bei seinem Auftritt nach der Weltpremiere in Saarbrücken beim Max-Ophüls-Preis überhaupt nicht verbittert wirkt und sein Engagement gegen Folter weltweit beeindruckt – sein Kampf gegen Unrecht (auch das eigene) ist nach wie vor nicht ausgestanden.

Fünf Jahre Leben

Fast sieben Jahre ist es her, dass Murat Kurnaz aus dem Gefangenenlager Guantanamo Bay entlassen wurde. Seitdem ist viel passiert – und vieles wurde unterlassen oder konnte nie aufgeklärt werden. Das betrifft nicht nur die Rolle des damaligen Außenministers Frank-Walter Steinmeier, sondern auch die Vorwürfe, Kurnaz sei während seiner Zeit in der US-Militärbasis auf Kuba von Angehörigen einer Elite-Einheit der Bundeswehr misshandelt worden.
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Meinungen

MICHAEL SCHWARZ · 31.05.2013

Auch wenn das Thema schon einmal von Hollywood aufgegriffen wurde ist es dem Regisseur nicht hoch genug anzurechnen, dass er es gewagt hat, sich damit in die Nesseln zu setzen. Auch wenn Obama vorgestern noch so eloquent eine bessere Welt versprach - er ist damit ähnlich perfide wie sein Agent im Film-Verhör. Auch wenn die Rolle der rot-grünen Bundesregierung nahezu ausgeblendet wird - einziger Schwach-
punkt des Films - es ist ein starker Film, stark wie sein Protagonist !
Selbst wenn Selbstverständliches ( Unter Folter erpresste Aussagen sind nichtig ! ) sich wieder einmal als alles andere als selbstverständlich entpuppt - der Film gehört zum unabdingbaren Repertoire jeder Zentrale für politische Bildung, die einem kritisch-demokratischen Anspruch gerecht werden will ! Alles andere ist eine weitere Lektion im Lehrbuch des pseudodemokratischen Imperialismus. Ästhetische und cineastische Ansprüche haben dahinter zurückzutreten, obwohl ihnen "FÜNF JAHRE LEBEN" voll gerecht wird ! Der Film verdient fdas große Publikum, das ihm die ach so kritische und politische Berlinale-Auswahl vorenthielt - bisher.