First Reformed (2017)

Eine Filmkritik von Maria Wiesner

Konsequent und genau beobachtet

Seit Dog Eat Dog hat man vor Paul-Schrader-Filmen ja etwas Angst. Die Chancen, dass es überdrehtes, brutales Spätwerk eines einst genialen Drehbuchschreibers zu sehen gibt, stehen hoch. First Reformed aber überrascht. Paul Schrader bringt die Thematik Klimawandel mit den Ängsten in der amerikanischen Gesellschaft zusammen und macht daraus ein sehr konsequentes, genau beobachtetes Drama.

Im Mittelpunkt steht der ehemalige Militärpriester Ernst Toller (Ethan Hawke), der in einer kleinen Stadt im Staat New York eine noch kleinere Kirchengemeinde betreut. Das Gotteshaus besteht aus weißem Holz und viel Geschichte, denn es ist die erste holländische Reformkirche der USA, für die sich ab und zu noch Touristen interessieren. Toller nennt die Kirche deshalb „den Souvenirshop“. Und obwohl er seine Arbeit gern und gut und mit viel Herzblut macht, hängt über ihm eine melancholische Schwere. Toller trägt schwer am Verlust seines Sohnes, den er in den Irakkrieg geschickt hat. Seine Ehe ist daran zerbrochen und ihn quälen seither Selbstzweifel. Die Wahl der Kirche, ja Tollers ganzes Leben ist eine einzige Form der Selbstkasteiung. Er achtete nicht auf seine Gesundheit, trinkt zu viel, wird von Glaubenszweifeln zerfressen. Um diesen existentialistischen Kampf eines Priesters nicht pathetisch wirken zu lassen, braucht es einen Schauspieler von der Größe Ethan Hawkes, der die Verzweiflung Tollers mit der fatalen Energie spielt, die man von Figuren erwartet, die in der Bibel schwer geprüft werden. Immer schwebt über ihm die Ahnung, dass er entweder sich oder anderen etwas antun könnte. Ein Element, das — unterstützt durch ein immer lauter werdendes Brummen auf der Tonebene — den Film vorantreibt.

Den Anstoß dazu gibt ein Treffen mit der jungen Mary (Amanda Seyfried), die sich Sorgen um ihren Mann macht und Toller bietet, ihm seelischen Beistand zu leisten. Der Mann ist radikaler Umweltaktivist, verzweifelt an den absehbaren Folgen des Klimawandels und ist der festen Überzeugung, dass man in diese Welt kein Kind setzen sollte. Natürlich ist Mary schwanger und will das Baby behalten. Toller kämpft im Dialog mit dem Ehemann gegen dessen Verzweiflung und für das Leben des Kindes. Kurz darauf findet Mary eine Weste mit Sprengsätzen in der Garage.

Klimawandel, so scheint es, ist derzeit eines der bewegenden Themen im Kino. Al Gore machte mit seiner Doku-Fortsetzung Immer noch eine unbequeme Wahrheit den Anfang, Alexander Payne versuchte sich mit Downsizing an einer gesellschaftskritischen Satire zum Thema (und ist damit leider gescheitert) und Paul Schrader schafft es nun, mit scharfem Blick das Thema zu bearbeiten. Er macht alles richtig, was Payne misslang. Hier kommen die verzweifelten Jugendlichen zu Wort, die auch im Kreis der Selbsthilfegruppe der Kirche keinen Halt mehr finden und sich radikalisieren. Hier wird die Verleumdung des Klimawandels im amerikanischen Parlament angeklagt. Hier wird der Kapitalismus und die Lobbyarbeit der Großkonzerne aufs Korn genommen. Die Kirche, in der Toller arbeitet, existiert nur durch die Spenden eines Papierunternehmens, das zu den fünf größten Umweltsündern zählt. Anlässlich des 250-jährigen Bestehens der First-Reformed-Kirche soll es eine große Feier geben, das Unternehmen aber nimmt Einfluss auf den Inhalt und schließt alle politisch anmutenden Statements und Aktionen aus. Toller lehnt sich dagegen auf und stellt sich gegen Geldgeber und Reverend.

Einen Höhepunkt erreicht diese Kritik, wenn ein Umweltaktivist verfügt, dass seine Asche über einem giftverseuchten See verstreut wird. Toller spricht die letzten Worte und der Kirchenchor am Ufer singt dazu Neil Youngs Protestsong Who’s gonna stand up?. Zeilen wie „end fracking now, safe the water“ erklingen, wenn die Asche in den Wind geschüttet wird. Im Hintergrund geht eine rosafarbene Sonne über rostenden Schiffswracks unter. Das, so kann man sich hier gut vorstellen, ist genau Schraders Humor.

Dass er noch immer ein guter Regisseur ist, zeigt sich nicht zuletzt am Spiel von Amanda Seyfried. Spätestens seit sie an der Seite von Shirley MacLaine in Zu guter Letzt auftrat, ahnte man, dass sie eigentlich mehr kann, nur bisher weder die Drehbücher noch den richtigen Regisseur hatte. Denn auch in Zu guter Letzt war ihre Schauspielkunst auf drei Gesichtsausdrücke limitiert, was jedoch mehr am Drehbuch als an ihrem Können lag. Hier darf sie also zum ersten Mal mehr als nur mit großen Augen und ein bisschen naiv in die Kamera zu blicken. Hier darf sie verzweifeln und verführen und stark sein. Eine sehr erwachsene Performance, für die es vielleicht tatsächlich erst jemanden wie Schrader brauchte, der ihr das zutraut.

First Reformed hat alle klassischen Schrader-Elemente, aber ohne ins Trashige abzugleiten. Er nimmt seine Figuren und sein Thema ernst und setzt es mit einer Konsequenz um, die man zuletzt in Fatih Akins Aus dem Nichts sehen konnte. Das ist die zweite Erkenntnis, die dieser Film bringt: In Zeiten, in denen die Ängste vor Terrorismus und Brutalität zunehmen, scheint es nur logisch, dass auch die Filme und ihre (Anti-)Helden zu immer gewalttätigeren Lösungen ihrer Probleme greifen. Man muss diese Ansätze nicht gutheißen, aber in ihrer Radikalität sind sie die Gesellschaftskritik wie wir sie heute brauchen.
 

First Reformed (2017)

Seit „Dog Eat Dog“ hat man vor Paul-Schrader-Filmen ja etwas Angst. Die Chancen, dass es überdrehtes, brutales Spätwerk eines einst genialen Drehbuchschreibers zu sehen gibt, stehen hoch. „First Reformed“ aber überrascht. Paul Schrader bringt die Thematik Klimawandel mit den Ängsten in der amerikanischen Gesellschaft zusammen und macht daraus ein sehr konsequentes, genau beobachtetes Drama.

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