Finnischer Tango

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Eine herzerwärmende Komödie über besondere Menschen

Was für ein ausgemachter Mistkerl Alex (Christoph Bach) doch ist: Wenn es um den eigenen Vorteil geht, ist sich der Musiker für nichts zu schade. Zusammen mit seinen zwei Freunden Steini (Daniel Zillmann) und Tommy (Christian Näthe) zieht Alex von Auftritt zu Auftritt, doch die Tangoband ist nicht gerade das, was man erfolgreich nennen kann. Als die drei den Tourbus einer Heavy-Metal-Band klauen, kommt es zu einem folgenschweren „Unfall“ (in Wahrheit ist Tommy lebensmüde und bringt das Gefährt absichtlich von der Spur ab), in dessen Verlauf Tommy stirbt. Statt um den Verlust des Freundes zu trauern, zeigt sich Alex äußerlich ziemlich ungerührt, hat er doch jetzt ganz andere Probleme: Keinen Schlafplatz mehr, die Band ist passé, das Verhältnis zu Steini ziemlich angespannt und zudem drängt die Metal-Combo mit ziemlichem Nachdruck auf die Erstattung des Busses und des Equipments, das Alex und seine Kumpels verschrottet haben.
Doch Alex, ganz der egozentrische und egoistische Künstler, denkt nicht im Traum daran, seiner Verantwortung nachzukommen, sondern tritt lieber die Flucht an. Und auch hier zeigt er sich wenig zimperlich: Um an einen Job zu kommen, der ausschließlich für Behinderte vorgesehen ist, klaut er einem wehrlosen Rollstuhlfahrer dessen Behindertenausweis und schleicht sich in eine WG ein, in der die attraktive Betreuerin Lotta (Mira Bartuschek) zusammen mit Marilyn (Nele Winkler, die Tochter der Schauspielerin Angela Winkler), Clark (Michael Schumacher) und dem MS-kranken und äußerst misanthropen Rudolf (Fabian Busch) lebt. Zunächst schreckt Alex, der den Epileptiker spielt und deshalb stets mit einem Sturzhelm unterwegs ist, nicht davor zurück, seine Mitbewohner nach Strich und Faden anzulügen und hinters Licht zu führen. Doch mit der Zeit und zunächst kaum spürbar bringen ihm Lotta, Marilyn, Clark und selbst der suizidgefährdete Rudolf eine Form der Zuneigung entgegen, der er sich nicht entziehen kann…

„Einen Film über besondere Menschen“ nennt die Regisseurin Buket Alakus (Anam, Eine andere Liga) ihren Film. In der Tat verfügen vor allem Marilyn und Clark über besondere, beinahe magische Kräfte, die bewirken, dass sich der zutiefst asoziale und bindungsunfähige Alex mit der Zeit in einen Kerl verwandelt, der einem am Schluss richtig ans Herz gewachsen ist. Dabei erweist sich die Entscheidung, die beiden Rollen nicht mit Schauspielern, sondern mit erfahrenen „besonderen“ Darstellern zu besetzen, als echter Glücksgriff — Nele Winklers ansteckende Fröhlichkeit und Michael Schumachers besondere Art zu sprechen geben diesen beiden Figuren eine Kraft und Zärtlichkeit, die anders vermutlich nicht zu erreichen gewesen wäre.

Ein wenig zu stilisiert hingegen ist Fabian Buschs Rolle als morbider MS-Kranker geraten, der sich nach Kräften müht, eine zeitgenössische Variation von Charles Baudelaire zu sein, mit allen Insignien dekadenten Dandytums ausgestattet. Wie er durch Alex auf äußerst rabiate Weise von seiner Todessehnsucht und seinen Selbstmordabsichten „geheilt“ wird, das passt nicht so recht in diesen ansonsten wunderbaren Film und ist genauso ein Fremdkörper wie Rudolf in der WG.

Trotzdem zeigt sich Buket Alakus als Regisseurin noch einmal deutlich gereift: Wie sie die kleinen Dramen der ersten Liebe und der ersten sexuellen Erfahrungen, den Tod, die Freundschaft und die Liebe zum Tango unter einen Hut bekommt und aus diesen Elementen einen sympathischen Film voller Humor und Wärme zaubert, das ist wirklich beachtlich – zumal sie mit Alex auf eine Hauptfigur setzt, dessen Charakter am Anfang des Films sich einzig und allein durch eine positive Eigenschaft auszeichnet. Denn man ahnt es bereits in den ersten Szenen, auch wenn sonst alles gegen den Akkordeonspieler spricht: Wer den Tango – zumal in seiner finnischen Variante – liebt, kann kein wirklich schlechter Mensch sein. Und der Schein trügt nicht.

Befriedigt stellen wir am Ende fest: Wenn ein Arschloch wie Alex auf den rechten Weg geführt, ein Bild zum Leben erweckt und selbst eine – Verzeihung – wenig glamouröse Stadt wie Bremen in einer fulminanten Kamerabewegung zu einer nächtlich erleuchtenden Metropole voller Geheimnisse und menschlichen Dramen wird, dann ist das wahrhaft ein besonderer Film und ein kleines Kinowunder, das sich hoffentlich eine recht große Fangemeinde erspielen wird.

Finnischer Tango

Was für ein ausgemachter Mistkerl Alex (Christoph Bach) doch ist: Wenn es um den eigenen Vorteil geht, ist sich der Musiker für nichts zu schade.
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