Familientreffen mit Hindernissen

Eine Filmkritik von Lida Bach

Alles Gute kommt von oben

Wer die Asterix-Bände kennt, der weiß es längst: Es gibt nichts, was die Gallier fürchten – außer dass ihnen der Himmel auf den Kopf fällt. Beim Belenus. Rund zweitausend Jahre nach den Abenteuern von Asterix und Obelix ist Frankreich zwar nicht mehr von den Römern besetzt, doch die Bretonen (und damit die Nachfahren der gallischen Krieger) sind immer noch ein eigentümliches Völkchen, feiern gerne Festmahle und fürchten nichts außer… na, Sie wissen schon.
Die Schauspielerin und Filmemacherin Julie Delpy hat offensichtlich ihr Herz für die Familie entdeckt. Denn wie anders kann man es deuten, dass sie nun innerhalb kurzer Zeit nach Zwei Tage New York mit Familientreffen mit Hindernissen / Le Skylab ihren zweiten Film zum Thema „Die liebe Verwandtschaft“ realisiert hat. Und als wäre dies nicht denkwürdig genug, hat sie ihrem Vater Albert Delpy in beiden Filmen auch noch eine Rolle zugedacht. Das sind nicht die einzigen Parallelen und Ähnlichkeiten, dennoch sollte man sich davor hüten, die beiden Werke allzu sehr miteinander zu vergleichen. Sie tragen zwar unverkennbar die gleiche Handschrift, sind aber dennoch gänzlich verschieden – und mit Verlaub: Als verschmitzte und schräge Komödie funktioniert Familientreffen mit Hindernissen trotz des unglücklichen, weil belanglosen Titels eindeutig besser als das Sequel zu Zwei Tage Paris.

Verortet ist die Geschichte auf zwei Zeitebenen: In der Rahmenhandlung erinnert sich Albertine (Karin Viard) anlässlich einer Reise in die Bretagne an ein denkwürdiges Familientreffen, das sie selbst als Zwölfjährige (dargestellt von der bravourös aufspielenden Lou Alvarez) im Jahr 1979 erlebte. Zum 67. Geburtstag ihrer Großmutter (Bernadette Lafont) ist sie mit ihren Späthippie-Eltern aus Paris nach St. Malo geeilt, um dort die Jubilarin gebührend hochleben zu lassen. Und nacheinander trudeln sie alle ein, die ganze liebe Verwandtschaft: Die Onkels und Tanten, Cousins und Cousinen, die Großonkel und Großtanten bis hin zu Menschen, über deren genaue verwandtschaftliche Beziehung man sich nicht mehr ganz so sicher sein kann. Weil die Charaktere trotz der Blutsbande höchst unterschiedlich sind, weil hier Säufer auf Verrückte, stramme Nationalisten auf Kommunisten, Kriegstraumatisierte auf glühende Pazifisten treffen, ist der Streit schnell vorprogrammiert. Und weil das Wetter – typisch bretonisch – mindestens ebenso schnell umschlägt wie die Laune der Gäste und nicht zuletzt auch wegen des reichlich fließenden Alkohols werden diese zwei Tage zu einer herrlich chaotischen Zeit – zumal just in jener Zeit das ins Trudeln geratene Weltraumlaboratorium Skylab auf die Erde zu stürzen droht. Und auch deshalb, weil die schüchterne und bebrillte Albertine in dieser Zeit eine allererste Ahnung von der Süße und dem Leid der Liebe erfahren wird.

Sie wünsche, so sagte Julie Delpy beim Filmfest München, als sie ihren Film dem Publikum vorstellte, jedem eine solche Familie – aber vielleicht nicht ganz so extrem. Das trifft es eigentlich ganz gut, was man empfindet, wenn man in dieser zärtlich-chaotischen Komödie sitzt. Nur zu gut erinnert man sich an eigene Familienfeierlichkeiten, die irgendwie ein klein wenig aus dem Ruder liefen. Man erinnert sich – sofern vorhanden – an all die Verwandten, deren Verhalten man als Kind nie so ganz verstand, die aber dennoch (zumeist) ganz nett waren, die einen immer wieder in die Backe kniffen, durchs Haar wuschelten oder -schlimmer noch – stets einen Kuss haben wollten.

Ausgerechnet der Kuss hingegen, den sich Albertine sehnlichst herbeiwünscht, lässt indes auf sich warten. Weil der blondgelockte Surfertyp vom Strand, der abends bei einer Fete (ja, 1979 waren Partys noch „Feten“ und vor allem im Idealfall „dufte“) den DJ mimt, dann doch lieber eine andere küsst. Eine, die schon ein wenig erwachsener ist. Besonders gelungen ist Julie Delpys Film dann, wenn er ungehemmt die Kinderperspektive einnimmt, diesen manchmal etwas naiven Blick auf Albertine und ihren 17-jährigen Cousin wirft, der in der Disse den ultracoolen mimt und der bei der Familienfeier noch am Kindertisch sitzen muss und davon reichlich genervt ist. Bei so viel offensichtlich von der Wirklichkeit Inspiriertem verwundert es schon ein wenig, dass die Regisseurin ihr Alter Ego Albertine als nicht unsympathisches, aber wenig attraktives hässliches Entlein zeichnet, das pummelig und bebrillt rein äußerlich wenig mit der Filmemacherin zu tun haben scheint.

Familientreffen mit Hindernissen ist kein erinnerungsseliger Film, der den Blick auf diese merkwürdige Ansammlung seltsamer Menschen, mit denen man eben zufälligerweise und aufgrund eines manchmal grausam anmutenden Geschicks auf ewig verknüpft ist, beschönigt oder zu sehr abmildert. Hinter den charmanten Dialogen und urkomischen Situationen – wenn beispielsweise Albertines Mutter (gespielt von Delpy selbst) die ultimative Verhütungsmethode preisgibt – sind die Brüche und Schwachstellen und auch die großen gesellschaftlichen Themen jener Zeit jederzeit spürbar, drängen sich aber niemals in den Vordergrund, sondern bilden eher die Hintergrundmusik zu einer ebenso warmherzigen wie verrückten Familiengeschichte, der jede Bitterkeit fehlt.

Sicherlich ist Familientreffen mit Hindernissen nicht die ganz große Filmkunst, sondern vielmehr eine sehr französische und liebenswert verrückte Sommerkomödie. Womit sich wiederum der Kreis mit den eingangs erwähnten Galliern schließt – die waren nämlich auch nie „große“ Literatur. Und haben dennoch (oder vielleicht gerade deswegen?) eine Unmenge Spaß bereitet.

(Joachim Kurz)
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„Spinner gibt es überall“, wusste Papa Jean (Eric Elmsonino). Einer davon ist der Typ, der Albertine (Lou Alvarez) im Abteil gegenüber sitzt. Nicht der erste, der danach, wobei danach in der blümeranten Familiengeschichte davor heißt. Einen Typen im Zug gibt es in „Le Skylab“ nämlich gleich zweimal. Der erste hindert die erwachsene Albertine (Karin Viard) auf einer Zugreise daran, mit ihrem Mann und den Kindern in Kartenspielposition zu sitzen. Drei Stunden Bahnfahrt ohne Quartett erzeugen in der Familienmutter eine Sehnsucht, die eine tiefere weckt: nach ihrer Kindheit, die bei einem Familientreffen mit Hindernissen endete.

Was im filmischen Kontext unwillkürlich nach traumatischen Erlebnissen und Tragik klingt, erzählt Julie Delpy ohne jeglichen Anflug davon. Keine klassische Handlung habe sie schreiben wollen, berichtet Delpy, sondern schillernde, interessante Figuren zeigen, die eine Geschichte erleben, die kaum dramaturgische Elemente enthält. Dies ist der Regisseurin mit dem selbstverfassten Drehbuch gelungen. Das Konzept birgt allerdings auch die entscheidende Schwäche des nostalgischen Gedankenausflugs. Die Gelassenheit treibt die knapp zweistündige Fotostrecke aus Anekdoten, die oft von Realität inspiriert wurden, so weit, dass es beinah etwas Freches hat. Gerade diese Keckheit fehlt jedoch dem Humor weitgehend und leider auch den Figuren. Sie alle finden sich auf der Leinwand zum 67. Geburtstag von Albertines Großmutter Mamie (Bernadette Lafont) in deren Landhaus zusammen.

Einige der Protagonisten sind verkrampft, nicht in ihrer Darstellung, sondern äußerst glaubhaft als Personen wie Annes Schwägerinnen. Andere sind dreist wie Jeans Schwager, altklug wie Albertine und ihre kleinen Cousins und Cousinen oder altersschwach wie Onkel Hubert (Albert Delpy). Diejenigen, die nicht zum Verwandtenkreis gehören, sind Statisten wie die Mädchen, mit denen der älteste Cousin betont erwachsen raucht, der jugendliche Dorf-DJ, der ohne es zu ahnen Albertines Kinderherz bricht, und der Passagier im Zug, den ihre Mutter Anne pervers findet, weil er dem Mädchen winkt. Das Wetter ist heiter bis wolkig und Naturspiegel der Stimmung. Selbstmord- und Vergewaltigungsversuche können sie nicht nachhaltig trüben, weil aller Konfliktstoff und Streitgeist so harmlos an der Landpartie vorüber driftet wie das Skylab. Das eigentliche Titelobjekt ist laut einer der kindlichen Figuren „ein Satellit, der heute runter fällt“.

Wo, das weiß keiner so genau. Deshalb haben die Erwachsenen unerschöpfliches Gesprächsmaterial und Albertine verspürt Endzeitgefühle. „Vielleicht sind wir alle morgen hinüber, genau wie ihr.“, sinniert die Frühreife zu einem Fang Krebse. Die Haus- und Krustentiere, die in kuriosen Szenen ihrem Ende auf den Tellern der Gäste wortwörtlich entgegenblicken und die Todessehnsucht der von einer fabelhaften Lou Alvarez verkörperten Hauptfigur werfen grundlos beunruhigende Schatten in Le Skylab. Dessen Umtaufe in Familientreffen mit Hindernissen ist aufgrund des symbolischen Beiklangs und der Originalität des französischen Titels doppelt bedauerlich. Noch bedauerlicher ist, dass er sich nicht als Vorbote hereinbrechenden Unglücks erweist, sei es auch alltäglich wie ein altersbedingter Todesfall oder gärender Zwist. „Wann fällt Skylab uns auf den Kopf?“, fragt Albertine ungeduldig angesichts der ausgedehnten Bagatellen. Gar nicht. Eher tut es die Decke, wenn ein Regenschauer alle nach drinnen scheucht, wo man dann über Politik, Gleichberechtigung und Kolonialherrenerbe polemisiert.

Sozialkritik und Ironie existieren in der idealisierten Fantasie einer Familie, die sich in heimeliger Atmosphäre zusammenrauft, nicht. Dazu ist die persönliche Rückschau zu gedankenverloren. „Ihr Intellektuellen seid lustig.“, heißt es einmal, doch das ist bloßes Wunschdenken, denn Sozialkritik und Ironie zügelt die Regisseurin zu stark. Die Diskrepanz zwischen darstellerischem Charme und dramaturgischer Enttäuschung ähnelt der zwischen der jungen Albertine und dem herrischen Muttertier der Rahmenhandlung. So gleichen die Verhältnisse im Kino denen unter den Verwandten. Über die bemerkt ein Onkel: „In Familien passt nicht alles. Man muss sie nehmen wie sie sind.“

Familientreffen mit Hindernissen

Wer die Asterix-Bände kennt, der weiß es längst: Es gibt nichts, was die Gallier fürchten – außer dass ihnen der Himmel auf den Kopf fällt. Beim Belenus. Rund zweitausend Jahre nach den Abenteuern von Asterix und Obelix ist Frankreich zwar nicht mehr von den Römern besetzt, doch die Bretonen (und damit die Nachfahren der gallischen Krieger) sind immer noch ein eigentümliches Völkchen, feiern gerne Festmahle und fürchten nichts außer… na, Sie wissen schon.
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Meinungen

Stephan-Stefan · 19.08.2012

Zum Glück wurde ich in meiner Kindheit nicht mit einem "herrischen Muttertier" bestraft. Jedem, dem keine Fürsorge und echte aufrichtige Liebe in der Kindheit zuteil wurde, kann vermutlich im späteren Leben auch keine Liebe geben oder sich dahingehend so entwickeln, dass dem so wäre. Der Titel "Familientreffen mit Hindernissen" stammt von einem liebenden Menschen, während der bescheuert klingende Originaltitel "Le Skylab" von einem unmenschlichen Ego-Kotzbrocken stammen dürfte.

Myriam Halberstam · 16.08.2012

De film fehlt es an Dramaturgie, die sexualisierte Sprache ist selbstzweckhaft, vorhersehbare episoden, die keine Entwicklung der Figuren herbeiführen. Filme über Familientreffen gibt es wie Sand am Meer, dieser fügt nichts neues hinzu und ist überhaupt nicht witzig. Vergeudete Zeit!

Harald · 01.07.2012

Heute auf dem Filmfest gesehen.
Großartiger Film, der hoffentlich nicht an dem peinlichen deutschen Titel scheitern wird.
Denn der ist wirklich abschreckend.