Eisenstein in Guanajuato (2015)

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Viva la revolucion!

Mit Filmemachern, die altersmäßig die 70er Grenze überschritten haben, ist es ja so eine Sache: Die einen wie beispielsweise Terrence Malick suche nach Jahren der relativen Stille plötzlich nach dem Sinn des Lebens und Filmemachens und wenden sich spirituellen Dingen zu, die anderen werden auf ihre alten Tage hingegen richtig revolutionär und zertrümmern lustvoll all das, was bisher unverrückbar im Raum stand. Peter Greenaway gehört sicher eher zur zweiten Gruppe der Regisseure, denn für Schwermut ist in seinem neuen Werk, das bei der diesjährigen Berlinale überraschte und entzückte, kein Platz. Dafür ist das Leben kurz. Und so schickt er seinen Protagonisten — kein Geringerer als der russische Großmeister der Film-Montagekunst persönlich Sergej Eisenstein (Elmer Bäck) — nach Mexiko. Genauer nach Guanajuato, einen Ort in Mexiko, der sein eigenes Museum der Toten hat. Denn wo sonst könnte man besser über das Ende nachdenken?

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Doch Eisenstein ist auch gekommen, um einen Film zu drehen. Über Mexiko und dessen gelungene Revolution. Über das Volk, das ihm so fremd ist und doch so nah. Vor allem, als er seinem einheimischen Führer und Gehilfen Palomino näher kommt. Eine herrliche Szene im Friedhof schließt sich hier an: Der Tod in Russland ist schäbig und kommt im Dunkeln; mit ihm endet alles leise und freudlos, sinniert Eisenstein. Der Tod in Mexiko ist immer da, er hält deine Hand, begleitet dich im Sonnenschein und wenn es Zeit ist zu gehen, dann fröhlich, konstatiert Palomino (Luis Alberti). Da steht er nun, der große Eisenstein. Ein Mann mit Haaren, die zu Berge stehen, einem großen, ungelenken Körper, brillant, hochintellektuell, schüchtern, verletzlich; ein Mann, der auch mit Mitte Dreißig noch wie ein Kind ist, der sich für alles begeistern kann, nichts plant, alles probiert. Alles außer einem: Sex. Ängste haben ihn abgehalten, die Umstände ließen es nicht zu. Doch hier in Guanajuato ist das Leben Revolution und der Tod ein Freund. Und so erlaubt er sich die eigene Befreiung. Genau in der Mitte des Filmes in einer der schönsten Einstellung der modernen Kinokunst offeriert Greenaway die anale Entjungferung des großen Filmemachers Eisenstein durch Palomino. Gesprochen wird dabei von der russischen Revolution und in der Tat, Palomino erstürmt Eisensteins Winterpalast und platziert dort seine Fahne. Selten haben Bild und Dialog so wunderbar, tragikomisch und so charmant miteinander gespielt. Und selten erlebt man einen Film, noch dazu von einem in die Tage gekommenen Regisseur, der so voller Liebe zum Leben ist.

Und selten hat ein Bild den weißen, westlichen und fast immer dominierenden kinematographischen Blick so unterlaufen, wie das des mexikanischen Mannes auf dem weißen Russen. Ein Mexikaner oben auf und nicht nur das; er erzählt davon, dass sein Volk den Europäern die Syphilis gegeben habe, eine Krankheit gegen die sie selbst immun sind. Wenn das nicht mal eine klare Antwort an den Kolonialismus — auch den im Kino — ist.

Greenaways Eisenstein springt wie ein ADHS-Kind durch Mexiko und der Regisseur macht genauso unverdrossen mit. Visuell ist Eisenstein in Guanajuato ein absolutes Meisterwerk. Auch wenn er seit langer Zeit das Erzählkino als altbacken verteufelt, so hat Greenaway es doch noch einmal heraus gekramt und gründlich entstaubt. Doch das ist natürlich nicht genug. Der Regisseur addiert dazu ein Feuerwerk an visuellem Wahnsinn. Dokumentaraufnahmen aus Eisensteins Filmen, Fotos, Animationen, Split-Screens, digitale Spielereien mit Farben, Anordnungen, Dimensionen, Bilder in Bildern, unglaubliche, atemberaubende Montagen und Kamerafahrten und nicht zu letzt ein gesamtes Orchester, das für ihn und Eisenstein aufspielt. Man kann sich kaum satt sehen an diesem Film. Jedes Bild ist ein kleines Kunstwerk für sich. Und zusammen genommen sind sie eine Symphonie aus kinematographischer Konstruktion, die sogleich in ihre eigene Dekonstruktion übergeht. Der Film lebt, atmet, revolutioniert sich selbst, um gleich darauf zu sterben und dann wieder neu zu entstehen.

Und genau so dekonstruiert sie die Figur und den Mythos Eisensteins. In tausend Stückchen wird er auseinandergenommen, nur um sich letztendlich wieder zu einem neuen Mythos zusammen zu setzen.
 

Eisenstein in Guanajuato (2015)

Mit Filmemachern, die altersmäßig die 70er Grenze überschritten haben, ist es ja so eine Sache: Die einen wie beispielsweise Terrence Malick suchen plötzlich nach dem Sinn des Lebens und Filmemachens und wenden sich spirituellen Dingen zu, die anderen werden auf ihre alten Tage hingegen richtig revolutionär und zertrümmern lustvoll all das, was bisher unverrückbar im Raum stand. Peter Greenaway gehört sicher eher zur zweiten Gruppe der Regisseure, denn für Schwermut ist in seinem neuen Werk, das bei der diesjährigen Berlinale überraschte und entzückte, kein Platz.

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