Ein Monster in Paris

Eine Filmkritik von Lida Bach

Fantastischer Flohzirkus

Wer hat Lucille nur den Floh ins Ohr gesetzt? Als neuen Mitsänger in ihrem Akt schickt die Varieté-Sängerin (Vanessa Paradis) einen mysteriösen Unbekannten auf die Bretter, die ihre ebenso schillernde wie begrenzte Welt bedeuten. Noch eifriger als die charmante Chanteuse nach einem musikalischen Partner sucht, will ihre Tante für die junge Nichte einen ehelichen finden. Ihre Wahl hat sie mit dem eingebildeten Polizeipräfekten Maynott (Danny Huston) bereits getroffen – im Gegensatz zu Lucille, die von romantischen Komplikationen mit dem aufdringlichen Verehrer und verworrenen Gefühlen für ihren Kindheitsfreund Roul (Adam Goldberg) ein Lied singen kann. Letztes tut sie fortan mit Francoeur, der zur Sensation des Paris der Belle Epoque wird. Die andere Sensation ist ein Monster in Paris, der heimliche Hauptcharakter, nach dem Bibo Bergeron seinen beschwingten Animationsspaß benennt.
So überragend wie die Statur des sanftmütigen Sängers ist dessen Gespür für Rhythmus und Musik. Letzte spielt fortan dort, wo das von Lucille aufgrund seiner Offenherzigkeit Francoeur getaufte Multitalent auftritt. Die Identität der Kreatur, die nicht nur Ungeheuer, sondern ungeheuer begabt ist, verrät der gebürtige Franzose Bergeron im historischen Auftakt, bevor sein kabarettistischer Kinderfilm sich im Duett von nostalgischer Hommage und modernem Musical verliert. Die Kreatur im Camouflage eines mit Schal und Hut verhüllten Exzentrikers entstammt der Zuchtstätte eines abwesenden Wissenschaftlers. Als der unverfrorene Lieferant Raoul und sein schüchterner Begleiter Emile (Jay Harrington) dort unversehens eine chemische Explosion verursachen, verleiht ein Wachstumsserum des Professors neben einer Sonnenblume auch einem darauf sitzenden Floh gigantische Ausmaße. Mit seinem fantastischen Äußeren, hinter dem sich ein ebenso musisches wie handzahmes Wesen verbirgt, ist Francoeur in mehr als einer Hinsicht die beseelte Allegorie der abenteuerlichen Liebesgeschichte.

Eine solche dürfen alle kauzigen Charaktere vor den pittoresken Kulissen auf ihre Weise erleben: Der verträumte Filmvorführer Emile durchlebt seine Romanze mit der Kartenreißerin Maude, zuerst so heimlich, still und leise, dass nicht einmal die Angebetete etwas davon merkt. Maynott erglüht in seiner Romanze mit sich selbst und der Amtsmacht, die er sich aneignen will, indem er die Öffentlichkeit vor dem Monster in Angst hält. Raoul erkennt seine schon viel zu lange verleugnete Romanze mit Lucille. Sie wird dank des sarkastischen Lieferanten, der seine verkappte Beziehungssehnsucht durch das ungewöhnlich enge Verhältnis mit seinem Fahrvehikel namens „Catherine“ ausdrückt, schließlich doch noch zu der potentiellen Ehefrau, als die ihre Tante sie sich wünscht. Einzig der Titelcharakter selbst bleibt Solo. Mit Lucille darf er nur über die Bühne schweben, nicht auf Wolke Sieben. Gleich dem Phantom der Oper, dem Glöckner von Notre Dame und Svengali trennt ihn von der Heldin eine unsichtbare Mauer, die der harmlose Chanson-Reigen nicht einmal offen anzublicken wagt.

Diese selbst oktroyierte Blindheit für die düsteren Nuancen der Phantasmagorie, die in den versteckten Referenzen an Die Fliege, King Kong und Mad Love aufblitzen, schrumpft das überbordende Potential der Geschichte auf das verschwindende Anfangsformat des Titelcharakters. Gleich ihm ist Ein Monster in Paris, was Plot und Figuren betrifft, eine drollige Nichtigkeit, die das Herz auf der Zunge trägt. Dass man nur mit ihm richtig sehe und alles Wesentliche den Augen verborgen bliebe, tönt als unbedarft daher gesungene Moral zugleich eingängig und betrüblich unaufrichtig. Dem ebenbürtigen Partner, der seine Gefühle genau wie sie in musikalischer Sprache ausdrückt, darf Lucille nur auf der Bühne nah sein. So geeignet das Monströse als Sinnbild ist, so unduldbar ist es als Ideal. Dieser bittere Beigeschmack rückt den musikalischen Monsterfilm an die Phantome, Glöckner und Mysterien, auf deren Fährte er durch die Seine-Metropole gleitet.

Ein Monster in Paris

Wer hat Lucille nur den Floh ins Ohr gesetzt? Als neuen Mitsänger in ihrem Akt schickt die Varieté-Sängerin (Vanessa Paradis) einen mysteriösen Unbekannten auf die Bretter, die ihre ebenso schillernde wie begrenzte Welt bedeuten. Noch eifriger als die charmante Chanteuse nach einem musikalischen Partner sucht, will ihre Tante für die junge Nichte einen ehelichen finden.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen