Ein ganzes halbes Jahr (2016)

Eine Filmkritik von Anna Wollner

Ziemlich beste Freunde mit gewissen Vorzügen

Mit über zwei Millionen verkauften Büchern allein in Deutschland ist Jojo Moyes Roman Ein ganzes halbes Jahr ein waschechter Bestseller. Ähnlich wie bei Das Schicksal ist ein mieser Verräter gibt es eine überwiegend weibliche Fangemeinde, die die Verfilmung nicht erwarten kann. Und wie bei John Greens Jugendbuchverfilmung ist Ein ganzes halbes Jahr ein Tearjerker, eine absolute Schnulze mit Taschentuchgarantie. Eine Liebesgeschichte ohne Happy End.

Die zwei Hauptcharaktere könnten unterschiedlicher nicht sein. Louisa entstammt der britischen Arbeiterklasse, lebt mit ihren Eltern, der Schwester, dem Neffen und dem Großvater unter einem Dach in einem viel zu kleinen englischen Reihenhaus. Ihr Freund kümmert sich mehr um seine Joggingkarriere als die Wünsche seiner Freundin, den Kellnerjob im Café verliert sie, weil sie zu höflich ist. Das Schicksal führt sie mit Will zusammen. Einem Schnösel aus reichem Haus, dem das Leben immer zu Füßen lag – bis zu einem tragischen Unfall, der ihn in den Rollstuhl brachte. Will ist Tetraplegiker, vom Hals abwärts gelähmt. Nur einen Finger kann er noch bewegen. Und den Kopf. Louisa soll sich um ihn kümmern, als eine Mischung aus Sozialarbeiterin und Pflegerin. Ziemlich beste Freunde lässt grüßen. Ein halbes Jahr ist ihr Vertrag befristet. Diese Zeit haben seine Eltern ihm abgerungen, bevor er in die Schweiz will. Zum Sterben.

Sam Claflin als Will Traynor spielt immer eine Spur zu arrogant, Emily Clarke ist als Louisa hingegen eine Mischung aus Bridget Jones und Poppy in Happy-Go-Lucky. Eine junge Frau, die in ihrer Arbeiterklassenherkunft gefangen ist und mit einer nonchalanten Mischung aus Charme und Naivität bisher erfolglos durchs Leben stolperte. Ihr Kleidungsstil ist irgendwo zwischen schrullig und lächerlich. Und trotzdem, oder vielmehr deswegen, hat sie alle Sympathien auf ihrer Seite. Sie trägt das Herz auf der Zunge und schafft es, den sturen, depressiven Will zu knacken.

Was sie an Emotionen zu viel hat, hat er zu wenig. Vor seinem Unfall, das wird immer wieder fast beiläufig eingestreut, hatte Will ein Leben am Limit, liebte Extremsport. Seine Freunde leben ihr Leben weiter, die Fallhöhe bei ihm ist besonders hoch. Das behindertengerecht umgebaute Appartement auf dem Schlossanwesen seiner Eltern ist eine Mischung aus Kühlraum und Designermagazin. Will und seine Eltern, eine überfürsorgliche und dennoch eiskalte Mutter und ein entspannter Vater, sind über das eigentliche moralische Dilemma des Films erhaben. Weil sie Geld haben.

Die Londoner Theaterregisseurin Thea Sharrock hat unter der strengen Beobachtung von Jojo Moyes, die ihren eigenen Roman fast eins zu eins zum Drehbuch umgearbeitet hat, eine kitschige Liebeschnulze inszeniert, die jedem Nicholas-Sparks-Film das Wasser reichen kann. Die Figuren laufen – vielmehr noch als im Roman – durch eine Rosamunde-Pilcher-Kulisse. Eine Spur zu brav arbeitet Sharrok die Momente des Buches ab: das Angiften, das langsame miteinander warm werden, eine Bucketlist, ein Pferderennen mit Anreisekomplikationen, Louisa Geburtstagsessen inklusive Hummelstrumpfhose, ein klassisches Konzert, die Hochzeit seiner Ex-Verlobten, eine gemeinsame Urlaubsreise ins Paradies. Alles eingelullt in einen seichten Popsongmix von Ed Sheeran über Jessie War und Imagine Dragons und Sätzen wie „Ich will noch nicht gehen. Ich will einfach ein Mann sein, der mit einem Mädchen auf einem Konzert war. Noch ein paar Minuten.“

Ein ganzes halbes Jahr ist eine klassische Liebesschnulze mit einem so ganz unklassischen Happy End. Ein Film, der sich anfühlt wie ein kitschiges Melodram aus den Fünfzigern. Ein Film, bei dem kein Auge trocken bleibt. Genau das will er sein. Genau das ist er. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
 

Ein ganzes halbes Jahr (2016)

Mit über zwei Millionen verkauften Büchern allein in Deutschland ist Jojo Moyes Roman „Ein ganzes halbes Jahr“ ein waschechter Bestseller. Ähnlich wie bei „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ gibt es eine überwiegend weibliche Fangemeinde, die die Verfilmung nicht erwarten kann. Und wie bei John Greens Jugendbuchverfilmung ist „Ein ganzes halbes Jahr“ ein Tearjerker, eine absolute Schnulze mit Taschentuchgarantie. Eine Liebesgeschichte ohne Happy End.

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Meinungen

Martin Zopick · 29.11.2022

Die gefühlt hundertste Verfilmung über eine Krankenpflegerin, hier Louisa (Emilia Clark), die sich in den gelähmten, wohlhabenden Rollstuhl-Patienten Will Traynor (Sam Claflin) verliebt. Über die spannungsfreie, weil vorhersehbare Handlung kann lange Zeit die entwaffnende Fröhlichkeit Louisas hinwegtäuschen. Sie ist frisch, natürlich und in Geldnöten. Ein kurzer Blick wird auf Louisas Herkunft geworfen. Ein Klassenunterschied! Vater Bernard (Brendan-DowntownAbbey-Coyle) ist ebenso warmherzig wie Mutter Josie (Samantha Spiro) und Schwester Katrina (Jenna Coleman). Die Familie kommt gerade so über die Runden. Alle sind hocherfreut, als Louisa eine Stellung bei den Traynors bekommt. Wills Eltern Steven (Charles Dance) und Camilla (Janet McTeer) sind voller Verständnis für den totkranken Sohn und begleiten ihn, wie er es selbst bestimmt hat, in den Suizid. (vgl. Originaltitel!)
Doch ganz ohne Emotionen gelingt die Tragödie der Newcomerin Thea Sharrock denn doch nicht, obwohl es ein Abschied ohne Dramatik ist. Und das ist auch gut so. Im Epilog hat Will vor seinem Ableben Louisa noch einen Brief geschrieben, in dem sie erfährt, dass sie nun wohlhabend ist und außerdem ihr Leben genießen soll. Rollstuhl und Lähmung können dank Louisa auch herzerwärmende Seiten haben.

Lizzy · 21.06.2016

Ich bin gespannt, wie der Film wird. Ich kenne das Buch, das hat mich sehr fasziniert und zum Weinen gebracht.
Bei Filmen, die nach Büchern verfilmt wurden, habe ich immer einen gewissen Zweifel, ob es genauso umgesetzt werden kann. Aber ich lasse mich überraschen und hoffe sehr, dass er ziemlich genau ans Buch angelehnt ist. Taschentücher liegen schon bereit :)

@Maja: Weil sich der Titel auf das Buch bezieht. Also den Inhalt. Wenn man das Buch kennt, erschließt sich einem der Titel vollkommen ;)