Drei Zinnen (2017)

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Vater, Mutter, Kind: Familie?

Drei Zinnen: Das sind drei schroffe Felsen in den Dolomiten, drei Berggipfel nebeneinander. „Vater, Mutter und Kind“, wie der achtjährige Tristan feststellt. Der ist mit seiner Mutter Lea und deren Freund Aaron im Urlaub auf einer einsamen Berghütte – eine Patchworkfamilie, eine Beinahe-Familie, eine Vielleicht-Familie, eine Bald-richtige-Familie … „Verirren im Nebel der Gefühle“ nennt Regisseur Jan Zabeil seinen zweiten Spielfilm Drei Zinnen – nach Der Fluss war einst ein Mensch aus dem Jahr 2011 –; und wer sich darauf einlässt, kann dem Film nicht entrinnen.

Zabeil ist ein Meister darin, seine Schauspieler zu den Details hinzuführen, die psychologische Wahrhaftigkeit erzeugen, zu den Kleinigkeiten, die das Alltägliche darstellen, das auf etwas Großes und mit Sicherheit Widersprüchliches dahinter weist. Der Anfang des Films: Spiel und Spaß am Badesee, ein Papa und sein Junge beim Schwimmen üben, beim Spiel „Sprechen unter Wasser“; und die Mutter, etwas abseits, mit subtilen Zeichen der Eifersucht: „Weißt du eigentlich, wie lieb ich dich hab?“ – „Too much“, antwortet der Junge.

Es ist eine Familie, die sich zwei Jahre zuvor gebildet hat, als Lea den leiblichen Vater von Tristan verlassen hat. Eine Familie, die an der Oberfläche funktioniert und unterhalb funktionieren will; aber der Wille ist oft nicht das, was zählt. Es ist eine Familie der Mehrsprachigkeit: Aaron ist Deutscher – Alexander Fehling mit Naturburschen-Bart –; Lea ist Französin – Bérénice Bejo, in Frankreich ein veritabler Star; Tristan spricht ganz gerne englisch, sein Vater George ruft täglich mehrmals an. Tristan wird gespielt vom achtjährigen Arian Montgomery, ein Naturtalent als Schauspieler – ja, ab und an sieht man in Filmen Kinder im Grundschulalter, die dermaßen natürlich spielen, dass allein dies schon eine Freude ist …

Zusammen ziehen sie dann auf der Alm ein; ein schiefer Baum wird an einem Seil festgebunden, er bedroht das Haus. Aber der Symbolismus hier wird nicht ausgespielt, nicht plakativ gemacht. Vielleicht ist es auch einfach ein schiefer Baum. Wir lernen die Drei näher kennen. Nicht durch so etwas wie Handlung im herkömmlichen Sinn; nicht durch so etwas wie Dialoge mit Erklärfunktion. Höchst reduziert inszeniert Zabeil, lässt das Überflüssige weg – und macht dadurch das, was da ist im Film, stark. Die Versuche körperlicher Annäherung, wenn gleichzeitig der Junge auf dem Schlafboden liegt. Die körperlichen Aktionsfähigkeiten von Aaron, der Berge besteigt und Bäume zersägt; die sensible Beobachtungsgabe von Lea, die Aaron liebt, aber Tristan auch; die eine vollständige Familie will, aber weiß, dass Tristan auch zu einem anderen Mann gehört. Und Tristan selbst, der in Aaron so etwas wie einen großen Bruder, einen Freund gefunden hat – der aber auch stört im Verhältnis zur Mutter, zum leiblichen Vater.

Auf diesem engen Raum fügen sich die psychologischen Feinheiten zusammen, verstärken sich, reiben sich aneinander und in seinem letzten Viertel entwickelt sich aus dem Kammerspiel im Holzhaus ein Bergdrama zwischen Geröll und Schnee, ausgelöst durch kleine, eifersüchtige Sticheleien von Tristan und mit hochdramatischem Ausgang. Bindung, Trieb, innere Ambivalenz, man kann in dem Film eine Menge psychoanalytische Theorie entdecken. Das ödipale Dreieck kulminiert in einem finale furioso – psychologisch tiefst fundiert und gerade deshalb hochspannend.
 

Drei Zinnen (2017)

Drei Zinnen: Das sind drei schroffe Felsen in den Dolomiten, drei Berggipfel nebeneinander. „Vater, Mutter und Kind“, wie der achtjährige Tristan feststellt. Der ist mit seiner Mutter Lea und deren Freund Aaron im Urlaub auf einer einsamen Berghütte – eine Patchworkfamilie, eine Beinahe-Familie, eine Vielleicht-Familie, eine Bald-richtige-Familie …

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