Die zwei Leben des Daniel Shore

Eine Filmkritik von Silvy Pommerenke

Passive Vergangenheitsbewältigung

In diesem kafkaesk anmutenden Film spielt Nikolai Kinski seine erste große Hauptrolle und stellt damit unter Beweis, dass er aus dem Schatten seines berühmt-berüchtigten Vaters heraustreten kann. Dabei sind es nicht zwei Leben, die der angehende Doktorand Daniel Shore führt, sondern es verschwimmen Vergangenheit und Gegenwart bzw. Realität und Fiktion – je nach Interpretation.
Der Deutsch-Amerikaner Daniel Shore (Nikolai Kinski) verbringt seinen Urlaub in Tanger und wird mit dem Tod des Sohnes seiner marokkanischen Geliebten Imane (Morjana Alaoui) konfrontiert. Was anfangs wie ein Unfall aussieht, stellt sich bald als Mord heraus, und Daniel wird von seinem schlechten Gewissen verfolgt, nicht besser auf den Jungen aufgepasst zu haben. Selbst dann noch, als er längst im düsteren und trüben Deutschland ist, wo er von seiner Großmutter ein Haus geerbt hat. Dieses Haus hat es allerdings in sich, denn es wird eine absolute Gegenwelt zum sonnigen und lebendigen Marokko entworfen. Dunkle Flure, skurrile Hausbewohner und nahezu eine Versteinerung von Daniel ergeben ein albtraumhaftes Bild der Gegenwart. Er sieht sich konfrontiert mit Frau Kowalski (Judith Engel), der strengen Buchhalterin des Hauses, die ihn immerzu mit irgendwelchen Akten belästigt, zudem mit der aufdringlichen und neurotischen Sängerin Elli (Katharina Schüttler), die ihn geradezu bedrängt, aber sobald er Annäherungsversuche wagt, hysterisch wird und ihn wegstößt. Noch skurriler wird es bei dem zugeknöpften Bankangestellten Feige (Matthias Matschke), den Daniel bald in Verdacht hat, unheilvolle pädophile Neigungen zu haben. Aus diesem Grund will der Doktorand den kleinen Martin (Lukas Mückenfuss) beschützen, der ebenfalls in dem Haus der Großmutter lebt und seltsam oft mit Feige zusammen ist. Daniel beobachtet fortan das Treiben seiner Hausbewohner heimlich durch das Schlüsselloch seiner Wohnung und kommt dadurch einem Geheimnis auf die Spur, dass scheinbar nur er lösen kann. Latent überfordert, zumal ihn die skurrile Hausgemeinschaft mit unangemeldeten Besuchen und Feiern bedrängt, wird Daniel sich in letzter Minute entscheiden müssen, ob er Martin schützen und damit seine vermeintliche Schuld gegenüber dem marokkanischen Jungen abbauen kann …

Die zwei Leben des Daniel Shore bietet ein doppeltes Debut, denn nicht nur Kinski ist in seiner ersten großen Kinohauptrolle zu sehen, sondern auch Michael Dreher hat seinen ersten abendfüllenden Film gemacht. Nachdem er bereits für seinen Kurzfilm und gleichzeitigen Abschlussfilm der HFF München Fair Trade zahlreich ausgezeichnet wurde, konnte man gespannt sein auf dieses Langfilmdebüt. Die Story gibt etliches her und wird vor allem durch die Besetzung von Kinski und die atmosphärisch-düstere Kameraarbeit von Ian Blumers gestützt. Das kann aber die Teilschwächen des Drehbuchs nicht ausgleichen, denn es verharrt manches Mal in einer Unentschlossenheit und Uneindeutigkeit. Zwar bauen die dramatischen Anfangsminuten eine prickelnde Spannung auf, die während des Films allerdings nicht gehalten werden kann und in langatmige, sich immer wiederholende Bilder mündet. Dies passt andererseits zur Passivität von Daniel Shore, der angeblich zwei Leben führt und doch nur eines hat. Dies besteht aus verschiedenen Facetten, sowie einer Vergangenheit und Gegenwart, die miteinander in Verbindung stehen, auch wenn manchmal nicht klar ist, inwiefern. Shores Passivität wird erst in der Schlusssequenz expressiv aufgebrochen. Aber auch das kann Fiktion sein, denn vieles scheint sich nur in seinem Kopf abzuspielen. Somit wäre man wieder bei Kafka, dessen Romanfiguren ebenfalls in einer entfremdeten Schein-Welt ihr Dasein führen und gegen Verwandlungen oder Gerichtsvollzieher ankämpfen, ohne den Ausweg aus diesem Dilemma zu finden. Ob Daniel Shore, dessen Feinde in Marokko konkret und in Deutschland unkonkret bis fantastisch sind, seinen Ausweg findet, wird nicht ganz geklärt. Ob man als Zuschauer eine Antwort auf diesen Film findet, ebenfalls. Dennoch überwiegt trotz der Verwirrung ein positiver Eindruck dieses Debuts, das vor allem durch die düsteren Bilder, den kafkaesken Plot und das markante Gesicht Nikolai Kinskis im Gedächtnis bleiben wird.

Die zwei Leben des Daniel Shore

In diesem kafkaesk anmutenden Film spielt Nikolai Kinski seine erste große Hauptrolle und stellt damit unter Beweis, dass er aus dem Schatten seines berühmt-berüchtigten Vaters heraustreten kann. Dabei sind es nicht zwei Leben, die der angehende Doktorand Daniel Shore führt, sondern es verschwimmen Vergangenheit und Gegenwart bzw. Realität und Fiktion – je nach Interpretation.
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Meinungen

Peter · 08.06.2012

Reine Zeitverschwendung

Salah Naoura · 16.02.2010

Vor allem mit dissonanten Akkorden und ungewöhnlichen Perspektiven versucht der Film Spannung aufzubauen und schürt damit Erwartungen, die nicht erfüllt werden. Das Auflösung wird dann am Ende in nur wenigen Sekunden so knapp erzählt, dass es den Zuschauer überfordert. Verwirrt stolpert man aus dem Kino und fragt sich, was eigentlich geschehen ist. Vieles bleibt offen. Abgesehen von den Unklarheiten des Handlungsverlaufes stört vor allem das Nebulöse der Hauptfigur. Über Daniel Shore erfahren wir trotz seiner zwei Leben eigentlich nichts - nur, dass er eine Großmutter hatte und eine Doktorarbeit schreiben möchte. Meiner Meinung nach eine große Schwäche des Films, weil der Zuschauer sich so mit Daniel kaum identifizieren kann, was dazu führt, dass das Interesse an der Handlung erlahmt. Gerade bei Erzählstoffen mit myteriöser Handlung sollte man als Zuschauer wenigstens eine greifbare Hauptfigur haben, die einem beim Rätseln zur Seite steht. Alles in allem: Kinksi hat aus dieser unklaren Rolle das Beste herausgeholt, die Bilder sind gut, die Musik nervt, und Drehbuch und Regie weisen Schwächen auf.