Die Winzlinge - Operation Zuckerdose

Eine Filmkritik von Falk Straub

Ein süßer Schatz

Zwei Ameisenvölker, die sich bekriegen und ein Marienkäfer zwischen den Fronten. Was auf dem Papier wie ein ausgefallener Naturfilm klingt, entpuppt sich auf der Leinwand als einfallsreicher Animationsfilm, der in Frankreich mehr als 1,5 Millionen Besucher in die Kinos lockte. Völlig ohne Worte erzählen Hélène Giraud und Thomas Szabo in Die Winzlinge – Operation Zuckerdose eine abenteuerliche Geschichte für Groß und Klein.
Für ein Picknick ist die Wiese in den Bergen perfekt. Ein verliebtes Paar hat sich zwischen Klatschmohn im Schatten eines Baumes niedergelassen. Sanft streicht der Mann seiner Frau über den Bauch. Außer den beiden ist keine Menschenseele dort. Dennoch herrscht reges Treiben. Im satten Grün summt und brummt es. Verschreckt lässt die Frau eine Erdbeere fallen. Die Wehen setzen ein, das Paar bricht auf und die Kamera nimmt die wahren Helden dieser Geschichte in den Fokus. Munter entert allerlei Getier die Picknickdecke und verleibt sich ein, was die Zweifüßer überhastet zurückgelassen haben. Wahrlich ein gefundenes Fressen. Zwischen all dem Obst, den Salzbrezeln und Chips entdeckt der Anführer der schwarzen Ameisen einen süßen Schatz: eine Dose voll Würfelzucker. Darin versteckt sich ein kleiner Marienkäfer, der seine Familie verloren hat. Auf der Suche nach Anschluss hilft er den Ameisen, die Dose zu ihrem Hügel zu bringen.

Die Winzlinge – Operation Zuckerdose hat eine lange Vorgeschichte. Im Jahr 2003 zeigten Hélène Giraud und Thomas Szabo dem Produzenten Philippe Delarue einen kleinen Animationsfilm über das wilde Leben der Insekten. Der kam so gut an, dass Delarue eine Fernsehserie in Auftrag gab. Sind die vier- bis fünfminütigen Episoden der Serie wie amüsante Sketche aufgebaut, wollten Giraud und Szabo für die große Leinwand ein abendfüllendes Abenteuer. Das besorgen die Gegenspieler. Der Fund der Zuckerdose bleibt nicht lange unentdeckt. Auch ein Trupp Roter Waldameisen ist scharf auf etwas Süßes und jagt die schwarze Verwandtschaft über Berg, Tal und durchs kühle Nass, belagert am Ende gar ihren Ameisenhaufen.

Die Winzlinge verneigt sich vor seinen Vorbildern und ist doch ganz eigen. Augenzwinkernd zitieren die Regisseure Klassiker des amerikanischen Genrekinos von Alfred Hitchcocks Psycho (1960) bis zu George Lucas‘ Sternenkriege und heben sich dennoch von den gängigen Animationsabenteuern aus Übersee ab. Zum einen vermenschlichen sie die Insekten nur minimal, geben ihnen keine vertrauten Gesichtszüge und lassen sie auch nicht sprechen wie etwa aus Das große Krabbeln (1998) oder Antz (1998) bekannt. Die Geschichte um ein Kind auf der Suche nach (Zusammen-)Halt ist auch so kinderleicht zu verstehen. Zum anderen verblüfft Die Winzlinge durch seine raffinierte Optik. Nur die Charaktere, die ein wenig wie am Computer erzeugte Knetfiguren wirken, sind animiert. Sets und Landschaften sind echt und in 3D aufgenommen. Für die Spielfilmlänge schwebte den Machern ein imposanter Schauplatz vor. Und so tauschten Giraud und Szabo die Normandie, die im TV-Format als Handlungsort dient, gegen die Nationalparks Mercantour und Les Écrins im französischen Südosten.

Das Ergebnis kann sich sehen lassen und überzeugt durch seinen Einfallsreichtum. Bei den Krabblern ist alles eine Nummer kleiner. Hier wird ein Bach schnell zum reißenden Strom, dort gleicht ein Hecht einem Hai und eine Eidechse einem Dinosaurier. Als Geschosse für ihre Katapulte feuern die roten Ameisen Kastanien und Tannenzapfen ab, die schwarzen verteidigen ihre Festung mit Feuerwerkskörpern. Ein Ritterfilm im Insektenreich – und ein herrlich unterhaltsamer Spaß für Klein und Groß.

Die Winzlinge - Operation Zuckerdose

Zwei Ameisenvölker, die sich bekriegen und ein Marienkäfer zwischen den Fronten. Was auf dem Papier wie ein ausgefallener Naturfilm klingt, entpuppt sich auf der Leinwand als einfallsreicher Animationsfilm, der in Frankreich mehr als 1,5 Millionen Besucher in die Kinos lockte. Völlig ohne Worte erzählen Hélène Giraud und Thomas Szabo in „Die Winzlinge – Operation Zuckerdose“ eine abenteuerliche Geschichte für Groß und Klein.
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Meinungen

@PollySees · 17.11.2015

Der Regisseur Thomas Szabo ist in Frankreich schon länger mit seiner Fernseh-Serie „Minuscule“ bekannt. Diese Welt, in der animierte Insekten sich in der realen Natur bewegen, hat er in „Die Winzlinge“ zur Perfektion gebracht. In einer technischen Meisterleistung werden atmosphärische Naturaufnahmen mit den animierten Protagonisten randlos verwebt, wodurch ein ganz neues Seh-Erlebnis möglich wird.
In dieser exzentrischen Mischung aus „Bugslife“ und „Die Wüste lebt“, wird man gerade am Anfang hin und her gerissen, zwischen den niedlichen Figuren und deren Abenteuern und der sensuellen Studie eines Mikrokosmos, der sich sonst dem menschlichen Auge verschließt.
Besonders mutig ist die Entscheidung, 90 Minuten komplett ohne Sprache (also zumindest ohne menschliche Sprache) zu zeigen. Wobei man schon bei „Shaun das Schaf“ gesehen hat, dass das durchaus auch für kleinere Zuschauer funktionieren kann.
Im Gegensatz zu „Shaun“, steht hier aber nicht der Humor im Vordergrund. Während Anfangs noch spektakuläre Verfolgungsjagden im Mittelpunkt stehen, wendet sich die Geschichte immer mehr dem Schauplatz eines Kampfes zu, der regelrecht existenzbedrohend wird. Dabei gerät der Film stellenweise ins Gruselig bis hin zum wirklich Bedrohlichen, wie es in der echten Natur eben auch ist. Dagegen steht der kleine Marienkäfer, der völlig über sich hinaus wächst. Die durchaus vorhandene Kriegs-Analogie, ist vielleicht in ihrer Tiefe nur für die Erwachsenen Zuschauer zu erkennen, aber dennoch ist es bestimmt nichts für zart besaitete Kinder.
„Die Winzlinge“ ist ein sehr leiser Film, der trotz seines Titels bombastische Ausmaße annimmt und garantiert einen ganz neuen Tonfall in die Kinder-Kino-Landschaft bringt.