Die Suche

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Gut gemeint, aber nicht gut gemacht

Es war wohl vor allem dem Gewinn der Goldenen Palme im Jahre 2011 und dem Gewinn des Academy Award im Jahr darauf mit The Artist geschuldet, dass der französische Regisseur Michel Hazanavicius und seine Ehefrau Bérénice Bejo relativ freie Hand bei der Auswahl ihres nächsten gemeinsamen Projektes hatten. Wer so viele Auszeichnungen einheimst wie die Macher des gallisches Stummfilm-Überraschungserfolges, dem stehen nahezu alle Türen offen.
Allerdings zeigt sich nun, dass die beiden bei der Auswahl des Stoffes für ihr neues Werk kein glückliches Händchen bewiesen haben: Die Suche ist ein bemühtes und deutlich zu lange geratenes Kriegsdrama, bei dem weder die Geschichte noch deren filmische Umsetzung überzeugen kann. Das ist umso bedauerlicher, weil der Film seinen Blick auf den heute nahezu vergessenen Konflikt Ende der 1990er Jahre in Tschetschenien richtet — einen Krieg, dessen Parallelen zum derzeit schwelenden Unruheherd Ukraine zu Zeiten der Produktion freilich noch gar nicht vorherzusehen waren.

Im Kern geht es in Die Suche um verschiedene, teilweise parallel und dann wieder chronlogisch erzählte Geschichten: Da ist zum einen der neunjährige tschetschenische Junge Hadji (Abdul-Khalim Mamatsuiev), dessen Eltern von russischen Soldaten während eines Verhörs erschossen werden. Seine Schwester Raissa (Zukhra Duishvili) kann zwar entkommen, doch das bekommt Hadji nicht mit und wähnt sie tot. Und so ist er zusammen mit seinem kleinen Bruder der einzige Überlebende seiner Familie und begibt sich mit dem Säugling auf die gefährliche Flucht durch das vom Krieg zerstörte Land. Unterwegs, als er immer deutlicher spürt, dass er die Bürde der Sorge um das Baby nicht mehr tragen kann, legt er dieses vor der Tür eines tschetschenischen Paares ab. Schließlich erreicht er ein Flüchtlingslager, wo er auf die EU-Beauftragte Carole (Bérénice Bejo) trifft, die sich des Jungen annimmt, der seit seinen traumatisierenden Erlebnissen die Sprache verloren hat. Der mühsame Aufbau eines Vertrauensverhältnisses zwischen der energischen Menschenrechtsbeauftragten und dem Jungen bildet einen weiteren Erzählstrang, ebenso wie die Suche Raissas nach ihren verschollenen Brüdern. Und dann ist da schließlich noch der junge russische Gefreite Kolia (Maxim Emelianov), der aufgrund einer Verhaftung wider seinen Willen zur Armee eingezogen wird und der die ganze Härte dieses zweiten Tschetschenien-Krieges am eigenen Leib erfahren muss. Am Ende werden fast alle diese Erzählstränge zusammengeführt.

Mit fast zweieinhalb Stunden Laufzeit ist Die Suche viel zu lang geraten und überdies mit unnötigen Plotlines ausgestattet, die das Geschehen in die Länge ziehen und anscheinend einzig und allein dem Zweck dienen, die Geschichte von einer anderen, einer russischen Seite zu betrachten. Doch der Versuch eines ausgleichenden Blicks fördert nichts weiter als Binsenweisheiten zutage: Die russische Armee ist ein Haufen von Menschenschindern, bei denen entlang der Hierarchie geprügelt und drangsaliert wird. Wer hätte das gedacht … Überhaupt nimmt sich der Erzählstrang Kolias aus, als stamme er eigentlich aus einem ganz anderen Film, bei dem es nicht um humanitäre Fragen, sondern um Drill und das System ‚Militär‘ geht — Full Metal Jacket lässt grüßen.

Dadurch aber kollidieren die guten Absichten von Hazanavicius in katastrophaler Weise miteinander: Zeigt er auf der einen Seiten die Leiden der Zivilbevölkerung, könnte man seine Schilderung von militärischen Hierarchien und dem ungeheuren Druck auf den russischen Soldaten fast auch als Rechtfertigung für deren Gräuel an den Zivilisten sehen. Eine Aussage, von der man wohl kaum annehmen darf, dass sie beabsichtigt war. Überhaupt fehlt jeglicher politischer Kontext über die Lage in Russland oder den ersten Tschetschenien-Konflikt, so dass die angedeutete Anklage gegen die Untätigkeit der UNO und der Europäischen Gemeinschaft ohne jede Wirkung bleibt. Vor allem Bérénice Bejo leidet sichtlich unter der Vielzahl an Aufgaben, die ihr das Drehbuch aufhalst, die Schauspielerin, die sich durch ihre Rolle in Asghar Farhadis Le passé für höhere und komplexere Aufgaben empfohlen hat, wirkt im Job wie im ‚Privatleben‘, das sie für einige Zeit mit Hadji teilt, komplett überfordert und inkompetent, so dass sowohl ihr Kampf um die politische Aufarbeitung des Konflikts wie auch ihr Bemühen um Hadjis seelische Gesundung vollkommen unglaubwürdig scheinen.

In gewisser Weise gilt für Die Suche das, was auch für Angelina Jolies humanitär bemühtes, filmisch aber unterirdisches Antikriegsdrama In the Land of Blood and Honey galt: Gut gemeint und gut gemacht ist wahrlich nicht das Gleiche. Überhaupt ist die Verwandtschaft mit anderen, ähnlich gearteten Filmen nicht zu leugnen, die sich in der letzten Zeit allesamt darum bemüht haben, die Kriege und bewaffneten Konflikte der letzten Jahre in Bilder zu fassen — und die fast durch die Bank weg alle daran scheiterten, dass der Blick auf Gewalt und humanitäres Unrecht zu sehr von Klischees und Unstimmigkeiten geprägt war. Man erinnere sich nur an Feo Aladags Afghanistan-Drama Zwischen Welten, das ebenfalls zu viel wollte und am Ende trotz authentischem Setting an den eigenen überkomplexen Ansprüchen scheiterte.

Man darf einigermaßen gespannt darauf sein, welche Lehren Michel Hazanavicius, Bérénice Bejo und der Erfolgsproduzent Thomas Langmann aus diesem Desaster ziehen werden. Der Nimbus, den sich das Trio mit dem Kinowunder The Artist verschafft haben, ist jedenfalls erstmal dahin. Sic transit gloria mundi.

Die Suche

Es war wohl vor allem dem Gewinn der Goldenen Palme im Jahre 2011 und dem Gewinn des Academy Award im Jahr darauf mit „The Artist“ geschuldet, dass der französische Regisseur Michel Hazanavicius und seine Ehefrau Bérénice Bejo relativ freie Hand bei der Auswahl ihres nächsten gemeinsamen Projektes hatten. Wer so viele Auszeichnungen einheimst wie die Macher des gallisches Stummfilm-Überraschungserfolges, dem stehen nahezu alle Türen offen.
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