Die Mühle und das Kreuz

Eine Filmkritik von Patrick Wellinski

Öl auf Leinwand

Das Gemälde hängt im Wiener Kunsthistorischen Museum, Saal 10, zweites Bild von links: Die Kreuztragung Christi von Pieter Bruegel dem Älteren aus dem Jahre 1564. Es ist sicherlich kein Zufall, dass Lech Majewski in seinem Film Die Mühle und das Kreuz mit der letzten Einstellung das hängende Gemälde einfängt und sich in einer eleganten Rückwärtsbewegung von ihm entfernt. Es ist die einzige wirklich ordnende Geste dieses Films, der zuvor allerhand Bild- und Zeitebenen ineinanderwebt und damit den abenteuerlichen Versuch wagt, in die Welt von Bruegels Passionsgeschichte einzutauchen. Bereits die erste Sequenz wirft uns in die Szenerie des Gemäldes: Die Kamera nähert sich einer Gruppe von Frauen, die sich um Maria (Charlotte Rampling) gruppiert. Sowohl die Bewegung der Kamera, als auch die Gesten der Frauen sind behutsam, zurückhaltend, fast schon unmerklich. Die Gewänder sind förmlich fassbar in ihrer zarten Durchsichtigkeit und winden sich elegant um die Körper der Darsteller. So berauschend der Seheindruck hier ist, so orientierungslos wird man in die nächste Sequenz getrieben. Plötzlich sieht man Alltagsszenen, Kinder wachen auf, Menschen wandern durch die Straßen und der Maler Bruegel (Rutger Hauer) bekommt vom Kunstsammler und Kaufmann Nicolas Jonghelinck (Michael York) den Auftrag, die Passion Christi zu malen.
Lech Majewski legt die Schichten seines Films sorgfältig übereinander, meidet visuelle Kenntlichmachungen, wenn er zwischen der Zeitebene der Bildentstehung und der Realität des Bildinhaltes hin und her pendelt. Beide Ebenen fließen ganz selbstverständlich ineinander und geben so den Kern des späteren Gemäldes wieder. Schließlich liegt ein besonderer Reiz an Bruegels Passionsversion darin, dass der Maler die Kreuztragung ins 16. Jahrhundert transportiert. Narrativ wechselt der Film sehr häufig die Perspektive, indem er innerhalb weniger Szenen vielen Personen folgt und keine so recht (bis auf Bruegel vielleicht) als klassischen Protagonisten etabliert. So folgt man zum Beispiel mehreren Männern in aller Frühe in einem Wald. Sie fällen Baumstämme und ziehen in die Stadt, in der Bruegel sich gerade auf den Weg macht, um das hügelige Tal vor den Toren der Stadt für seine Auftragsarbeit zu malen. Erst später merken wir, dass die Baumfäller auszogen, um jenes Holzkreuz herzustellen, das Jesus tragen wird.

Die Mühle und das Kreuz wird so zur meditativen Reflektion über die Entstehung eines Kunstwerkes, über die Magie des kreativen Schaffungsprozesses, aber auch zur hoch informativen Bildbeschreibung. Was wohl nicht zuletzt daran liegt, dass Majewski hier Michael Francis Gibsons Buch The Mill and the Cross: Peter Bruegel’s ‚Way to Calvary’ verfilmt. Dabei handelt es sich um keinen Roman, sondern um eine komplexe kunsthistorische Bildinterpretation. Auch deshalb muss man sich fragen, ob Majewskis Werk überhaupt noch als Kino zu klassifizieren ist, oder ob man sich hier nicht schon im Bereich der Installationskunst bewegt.

Doch es wäre viel zu kurz gegriffen, wenn man diesen Film nur als museales Beiwerk zum Gemälde begreift. Schließlich gehörte es doch schon immer zu Majewskis Vision, die Grenzen des Kinos in Richtung der Malerei auszuloten und damit unseren Begriff vom Kino zu erweitern. Neben seiner reizvollen Narration ist Die Mühle und das Kreuz vor allem eine überwältigende Seherfahrung. Der polnische Regisseur arbeitete mit verschiedenen digitalen Verfahren, um die vielen Erzählebenen des Films auch visuell dem Bruegel-Gemälde anzugleichen. Neben Blue-Screen-Sequenzen und klassischen Vor-Ort-Aufnahmen, wurde auch vor einem überdimensionalen 2D-Hintergrund gedreht, auf den Majewski selbst eine Kopie von Bruegels Werk malte. Alle diese Ebenen wurden in aufwendigen digitalen Verfahren übereinander gelegt und erzeugen so diesen herrlichen, flirrend-meditativen Bilderbogen. Auch die internationalen Kritikerkollegen sind sich mittlerweile einig, dass eine derartige visuelle Umsetzung Kinoneuland betritt.

Es fällt schwer sich der Ambition dieses Projektes zu entziehen, das gleichsam auch die Quintessenz eines Regisseurs zu sein scheint, der – ähnlich der einsamen Mühle aus dem Gemälde – über der ganzen Szenerie zu schweben scheint. Im stärksten Moment des Films bittet Bruegel den Müller, seine Mühle für einen kurzen Moment anzuhalten, damit das Gemälde vollendet werden kann. Das Kunstwerk ist fertig, jede Bewegung erfriert – und dann sind plötzlich alle an ihrem Platz, Jesus, Maria, Bruegel, Jonghelinck und auch wir, die wir durch den Saal 10 im Wiener Kunsthistorischen Museum gen Ausgang schweben, um das Gesehene von nun an in einem ganz anderen Licht zu betrachten.

Die Mühle und das Kreuz

Das Gemälde hängt im Wiener Kunsthistorischen Museum, Saal 10, zweites Bild von links: „Die Kreuztragung Christi“ von Pieter Bruegel dem Älteren aus dem Jahre 1564. Es ist sicherlich kein Zufall, dass Lech Majewski in seinem Film „Die Mühle und das Kreuz“ mit der letzten Einstellung das hängende Gemälde einfängt und sich in einer eleganten Rückwärtsbewegung von ihm entfernt.
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Meinungen

Li-An · 08.01.2012

Ja, es ist brutal, aber die Tatsache auch wahr.

Sie sind zum mindest "wahrer" als die noch brutale und schonungslose theatralische Szene in Filme von Peter Grennaway...

Ulrich Derstroff · 28.12.2011

"Die Mühle und das Kreuz" ist ein zumindest anfänglich großartiger Film. Die wirklich brutalen Szenen, in denen die spanischen Besatzer Menschen totprügeln, rädern und damit den Raben zum Fraß freigeben (müssen hier wirklich Großaufnahmen sein, wie die Raben die Augen auffressen???), Frauen lebendig begraben usw. haben mich und meine drei Begleiter aus dem Kino getrieben. Ich glaube sofort, dass der Film großartig ist, aber deutlich zu brutal (und dann noch "frei ab 12"!!).

Klaus · 10.12.2011

Ein Film, der Breughel gerecht wird. Und ein grösseres Lob ist undenkbar. Breughel ist nicht weniger brutal. Wer Breughel nicht erträgt, der sollte diesen film nicht ansehen. Geniale Umsetzung

Jörg · 03.12.2011

Der Film verursacht ein Gefühl der Auswegs- und Hoffnungslosigkeit. Die Menschen in dem Film sind getrennt von Gott und ihren Mitmenschen, sie erfüllen blind ihr Schicksal. Es gibt einige äusserst brutale und wiederwärtige Szenen.Ich kann den Film nicht empfehlen.