Die Migrantigen (2017)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Echte Wiener!

Die sogenannten „Multikultikomödien“ sind einer der Kinotrends der vergangenen Jahre und erfreuen sich dabei nicht immer eines makellosen Rufs – erinnert sei hier beispielsweise an die Querelen rund um Simon Verhoevens Willkommen bei den Hartmanns, bei dem beispielsweise auf dem Plakat der Name des afrodeutschen Schauspielers Eric Kabongo fehlte, obwohl er wie seine Kollegen dort abgebildet war. In eine ähnliche Richtung zielten die Vorwürfe, die sich der Programmkino-Hit Monsieur Claude und seine Töchter gefallen lassen musste – hier würden, so hieß es – unter dem Deckmantel der Toleranz und Offenheit steinalte Klischees über Ethnien und Religionen wieder aufgebacken. Das weckt ehrlich gesagt wenig Lust auf neue Werke, die diesem Subgenre zuzurechnen sind, auch wenn sich bereits frisches Material aus dieser Richtung ankündigt. Arman T. Riahis Die Migrantigen freilich unterläuft die eher mauen Erwartungen, dreht den Spieß um und zeigt den deutschen wie französischen Mitbewerbern lustvoll und mit subversivem Schmäh eine lange Nase.

Benny (Faris Endris Rahoma) und Marko (Aleksandar Petrovic) sind beste Freunde und echte Wiener aus dem fiktiven Wohnbezirk Rudolfsgrund – auch wenn sie zumindest von ihren Wurzeln her wohl das besitzen, was man gemeinhin einen „Migrationshintergrund“ nennt. Bestens integriert haben sie keinerlei Probleme mit der österreichischen Kultur und Lebens- wie Wesensart – diese aber sehr wohl mit ihnen. Denn Benny, der als Schauspieler sein Glück versucht, bekommt wegen seines Aussehens immer nur Rollen angeboten, in denen er den „Türken“ spielen soll, was ihn verständlicherweise ziemlich nervt. Auch Marko steckt in der Krise, denn auch in seiner Werbeagentur läuft es nicht so, wie es könnte, der Inkasso-Verwalter droht mit seinem Besuch und so plagt ihn die Angst vor dem sozialen Abstieg. Durch einen zunächst glücklichen Zufall begegnen die beiden beim Abhängen der TV-Reporterin Marlene Weizenhuber (Doris Schretzmayer), die für einen Privatsender eine Dokumentation über den vermeintlichen Problembezirk Rudolfsgrund drehen will, dabei aber einfach nicht die passenden Szenen und Typen vor die Kamera bekommt. Bis sie eben Benny und Marko trifft, die hier unvermutet ihre Chance auf Geld und schnellen Ruhm wittern: Ein verstohlen ausgetauschter Blick reicht aus und schon improvisieren sich die beiden in die Rolle der kleinkriminellen Ausländer hinein, auch wenn sie dafür erst einmal Nachhilfestunden bei dem Türken Juwel (Mehmet Ali Salman) nehmen müssen. Also tauschen sie flugs die Hipsterhosen gegen die Joggingbuxen, trainieren sich Gangsta-Talk und die passenden Posen dazu an, erfinden wilde Lügengeschichte über Drogendealereien, die sie nur vom Hörensagen her kennen, und haben dabei einen Riesenspaß. Nur haben Lügenkonstrukte die dumme Angewohnheit, dass man sich allzu schnell in ihnen verheddert und dann keinen Ausweg mehr findet – vor allem dann, wenn die Wahrheit niemanden interessiert und die Lüge so sehr zum allgegenwärtigen Klischee geworden ist, dass niemand mehr etwas hinterfragt. Fast so wie im richtigen Leben also …

Arman T. Riahis Regiedebüt Die Migrantigen hat das Herz auf dem rechten Fleck und legt bei aller Lockerheit und allem Charme, die den Film mit seinen skurrilen Figuren und seiner gewitzten Prämisse auszeichnen, den Finger auf die vielfältigen Wunden, die die Debatten der vergangenen Jahre und das Erstarken von populistischen Bewegungen geschlagen haben. Dabei können Riahi und seine beiden Hauptdarsteller, die mit ihm gemeinsam das Drehbuch verfassten, durchaus auf vielfältige eigene Erfahrungen zurückgreifen: Wie die von ihnen ersonnenen Figuren haben auch sie – wie vermutlich zwei Drittel aller Wiener – einen „Migrationshintergrund“. Und wie beim überwiegenden Teil war das auch bei ihnen nie ein Problem, bis es durch gewisse Medien und einige Politiker zu einem gemacht wurde.

Die Migrantigen hält den eigenen Vorurteilen gekonnt den Spiegel vor, hinterfragt die Rolle der sensationsgierigen Presse ebenso wie die Vorurteile der linksliberalen Spießer (als solcher ist beispielsweise Josef Hader zu sehen), die sich aller gepredigten Toleranz zum Trotz doch nicht aus dem engen Korsett ihrer Erwartungen befreien können und damit genau jene Verkrustungen befördern, die sie doch aufzubrechen angetreten sind. Nicht immer versteht es der Film, sein Tempo zu halten, und bisweilen hat man den Eindruck, dass die Kritik an den bestehenden Verhältnissen zugunsten des Unterhaltungswertes zurückgestutzt wurde, aber dennoch ist Die Migrantigen definitiv ein großer Schritt in die richtige Richtung – und das gilt sowohl in Bezug auf die Haltung als auch der Fortentwicklung des Subgenres „Multikultikomödie“, das viel mehr Sprengkraft besitzt als bisher zu vermuten war.
 

Die Migrantigen (2017)

Die sogenannten „Multikultikomödien“ sind einer der Kinotrends der vergangenen Jahre und erfreuen sich dabei nicht immer eines makellosen Rufs – erinnert sei hier beispielsweise an die Querelen rund um Simon Verhoevens Willkommen bei den Hartmanns, bei dem beispielsweise auf dem Plakat der Name des afrodeutschen Schauspielers Eric Kabongo fehlte, obwohl er wie seine Kollegen dort abgebildet war.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

Kim · 07.09.2017

Feelgood-Movie mit dem Herzen und der Moral am richtigen Fleck.
Wie im Märchen fügt sich alles noch zum Guten, obwohl die männlichen Figuren keinen Chauvinismus auslassen.
Sehenswert!
Das männliche Herstellungsteam (Buch, Regie etc.) könnte seine eigene Haltung zu Frauen nochmal hinterfragen.
Da ist noch viel Spielraum nach oben.