Die Einsiedler (2016)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Aufbruch oder Stillstand?

Trotz der alpinen Bergwelt, in die der Langfilmdebütant Ronny Trocker sein Werk Die Einsiedler hineingepflanzt hat, sucht man hier folkloristische Romantizismen vergebens. Stattdessen ist das schroffe und kantige Drama eher als eine Art Anti-Heimatfilm zu verstehen, der langsam wie über eine steile Serpentinenstraße seinem Ende entgegenstrebt.

So stumm und düster wie die Szenerie ist auch Trockers Hauptperson Albert (Andreas Lust), der drunten im Tal lebt und sich dort als Arbeiter in einem Marmorsteinbruch verdingt. Seine Eltern Marianne (Ingrid Burkhard) und Rudl (Peter Mitterrutzner) leben hoch oben in den Bergen auf einem nur zu Fuß oder über eine altersschwache Seilbahn zu erreichenden Bauernhof. Dessen Erträge reichen kaum zum kärglichen Überleben, zudem wird der Eggerhof ständig von Lawinen und Erdrutschen bedroht, die bereits Alberts drei Geschwister vor vielen Jahren auf dem Schulweg in den Tod rissen. Dass Albert nicht mehr hier oben lebt, ist vor allem auf seine Mutter zurückzuführen, die ihn zu dem Schritt aus der Einsiedelei drängte, weil er – so ihre Hoffnung – es besser haben solle. Und nicht zuletzt auch deswegen, weil sie und ihr Mann mittlerweile alt geworden sind und dem Sohn nicht länger zur Last fallen wollen – selbst auf die Gefahr hin, dass mit ihrem nahenden Tod die Jahrhunderte währende Tradition zu Ende geht, die für das Fortbestehen des Anwesens sorgte. Aber vielleicht ist es ja besser so.

Albert freilich tut sich schwer; Anschluss findet er dort unten im Tal nicht, so schweigsam und introvertiert ist der Mann, zu groß ist offensichtlich die Sehnsucht nach dem Hof, den er manchmal heimlich aufsucht, um dann ohne Wissen seiner Eltern im Heulager zu schlafen. Doch dann begegnet er der aus Ungarn stammenden Köchin Paola (Orsi Tóth), mit der plötzlich ein anderes Leben möglich scheint. Als dann Rudl bei einem Unfall ums Leben kommt, befürchtet Alberts Mutter, dass ihr Sohn nun wieder auf den Hof zurückkehrt, um den Platz des Vaters einzunehmen, eine Entwicklung, die sie unbedingt verhindern will. Und so verheimlicht sie Albert den Tod des Vaters, bestattet diesen in den Bergen und harrt dem Einbruch des Winters entgegen, der vielleicht ihr letzter sein wird. Und plötzlich bahnt sich für Albert eine Entscheidung an zwischen einem alten Leben und der Möglichkeit eines neuen, denn eines Tages sagt ihm Paola, dass ihre Zeit nun um sei und sie nach Ungarn zurückkehren müsse.

Ronny Trocker stammt selbst aus der Gegend in Südtirol, in der sein Film angesiedelt ist. Der Menschenschlag dort, deren Schweigsamkeit und Knorrigkeit, das entbehrungsreiche Leben auf den Berghöfen, die harte Arbeit in den Steinbrüchen – all das ist ihm wohl vertraut. Trocker, der die alte Heimat hinter sich gelassen hat und seit vielen Jahren unter anderem in Berlin lebt, hat den Blick zurück nicht nostalgisch eingefärbt, sondern sich vielmehr einen harschen, manchmal auch unbestreitbar melancholischen, auf jeden Fall aber am Realismus geschulten Blick auf das Land und die Leute bewahrt – auf ihre Starrköpfigkeit, die Männlichkeitsrituale bei der Arbeit, die Distanz zwischen den Alten, die am Bewährten festhalten wollen, und den Jungen, die sich ein besseres Leben erhoffen.

Zwischen all diesen Brüchen und Verschiebungen ist Albert eingeklemmt und steckt in einem Dilemma, das der Film mit seinen präzise ausgeklügelten Einstellungen, seinen sparsam verknappten Dialogen, der fahlen Farbigkeit der Bilder und dem Verzicht auf musikalische Untermalung kongenial festhält. Ähnlich wie der Weg zum Eggerhof gestaltet sich auch der Zugang zu Die Einsiedler schwierig und mühsam. Doch hier wie dort erweisen sich die damit verbundenen Mühen als überaus lohnend. Der Ausblick und die Einblicke, die das Anwesen und der Film gewähren, haben zwar ihren Preis, entschädigen aber durch Panoramen, die man auf andere Weise kaum je zu sehen bekommt.
 

Die Einsiedler (2016)

Trotz der alpinen Bergwelt, in die der Langfilmdebütant Ronny Trocker sein Werk Die Einsiedler hineingepflanzt hat, sucht man hier folkloristische Romantizismen vergebens. Stattdessen ist das schroffe und kantige Drama eher als eine Art Anti-Heimatfilm zu verstehen, der langsam wie über eine steile Serpentinenstraße seinem Ende entgegenstrebt.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen