Deutschboden (2013)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Im wilden Osten

Eigentlich hatte Moritz von Uslar ja ein ganz klares, festgefügtes Bild vor Augen, als es ihn von Berlin in die ostdeutsche Provinz zog. Er würde dort, so war er überzeugt, „des Prolls reine Seele“ antreffen, auch „die Wurzel der Gegenwart“ und ja, natürlich auch eine rechte Gesinnung. Und dann muss er doch erstaunt feststellen, dass er „als Fremder gekommen und als Einheimischer gegangen“ sei. Die Zeit in dieser Kleinstadt, sie war „eine der besten seines Lebens“. Wer hätte das gedacht?

Irgendwo im Niemandsland zwischen Fiktion und Fakten, Roman, Reportage und „teilnehmender Beobachtung“ (so der Untertitel des Werkes) siedelte von Uslar sein Buch Deutschboden an, das 2012 den renommierten Fontane-Preis für Literatur erhielt. Seine präzisen Beobachtungen des Alltagslebens in der brandenburgischen Provinz jonglieren in atemberaubender Weise mit Klischees und Erwartungen, montieren Augenblicke zusammen zu einem verdichteten Bild der gegenwärtigen Wirklichkeit, das charmant ist und klug, affirmativ und subversiv, eine Realität konstruierend und manchmal auch konterkarierend, die wie unter einem Vergrößerungsglas das Bild eines Landes zeigt, das gleich in unserer Nachbarschaft liegt. Denn Oberhavel oder „Hardrockhausen“, das wird schnell klar, ist einerseits ganz eindeutig im Osten der Republik verortet, könnte andererseits aber überall in Deutschland sein.

Auf den Spuren der eigenen Vorstellungen, stets neugierig und bereit, sich überraschen zu lassen, geht Moritz von Uslar nach Zehdenick, jenem realen Ort, der Vorbild für Oberhavel war, hängt dort mit den Einwohnern herum, fragt nach, trinkt, schaut zu, nimmt teil… und bleibt. Einziger Wermutstropfen: An manchen Stellen klingt von Uslar schon sehr wie der abgebrühte Großstädter, der mit anfänglicher Verächtlichkeit auf das niedere Dasein in der Provinz schaut — und am Ende kehrt er nach zwischendrin erfolgter Läuterung wieder zu dieser Haltung zurück. Das macht einem diesen Erzähler und Entdecker nicht in jedem Moment des Filmes sympathisch — aber vermutlich liegt das auch gar nicht in der Absicht des Autors.

Dem Regisseur André Schäfer gelingt es vor allem zu Beginn des Films exzellent, den Sog der Uslarschen Sprache in Bilder zu übersetzen. Passagen aus dem Buch, die der Autor selbst mit prägnanter Stimme vorträgt, wechseln sich ab mit schlaglichtartigen Impressionen, Interviews mit seinen „Jungs“ von der Band „5 Teeth Less“ folgen auf präzise notierte Beobachtungen, die niemals leugnen, subjektiv zu sein. Ein Panoptikum des Grauens, der Gräue, aber auch der Solidarität, der Freundschaft, der Hoffnung im maximal verlassenen Landschaftsraum und irgendwann die Erkenntnis, dass Deutschland, also genau dieses Deutschland doch irgendwie ein feiner Kerl ist.

Überhaupt streut der Film gezielt Zweifel am Dokumentarischen ein. Allein schon indem Deutschboden „Verfilmung“ ist, wird deutlich, dass die gezeigten Begegnungen mit den Protagonisten nicht so spontan sind, wie dies sonst in Dokumentarfilmen behauptet wird (tatsächlich gibt es dort allein schon aufgrund der Vorrecherche, des Schreibens, Sammelns, Einordnens und Inszenierens selten genug einen Moment, der spontan und wahrhaftig sein kann). Dem Gesamteindruck dieses sehr sehenswerten Films über die ostdeutsche Provinz schadet dies aber nicht im Geringsten — im Gegenteil. Nach dem Erkunden von „Hardrockhausen“ wünscht man sich, es gäbe mehr solche Literatur, mehr solche teilnehmenden Beobachtungen, die virtuos im Ge- und Erfundenen jonglieren, wie dies Deutschboden tut.
 

Deutschboden (2013)

Eigentlich hatte Moritz von Uslar ja ein ganz klares, festgefügtes Bild vor Augen, als es ihn von Berlin in die ostdeutsche Provinz zog. Er würde dort, so war er überzeugt, „des Prolls reine Seele“ antreffen, auch „die Wurzel der Gegenwart“ und ja, natürlich auch eine rechte Gesinnung. Und dann muss er doch erstaunt feststellen, dass er „als Fremder gekommen und als Einheimischer gegangen“ sei.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen