Der Schamane und die Schlange (2015)

Sie kommen, um zu lernen

Das Amazonasgebiet bietet immer ein spannendes Terrain für Abenteuerfilme: Die Üppigkeit des Regenwaldes, die gleißende Hitze, besser gesagt: Schwüle, unbekannte Flora und Fauna, die eine Durchquerung zur lebensgefährlichen Unternehmung werden lässt. Immer wieder haben der Urwald des Amazonas und seine Geschichte Regisseure gereizt, dort Filme zu drehen, man denke an Werner Herzogs meisterliche Filmfiguren Aguirre und Fitzcarraldo, aber auch Produktionen neueren Datums wie etwa Birdwatchers von Marco Bechis. Nun erobert wieder eine Amazonas-Abenteuergeschichte die Festivals der Welt und erzählt von Forschungsreisenden im südamerikanischen Urwald und vom Aufeinandertreffen zweier Kulturen. Und erneut ist daraus ein faszinierender Film geworden.

Angelpunkt der Geschichte ist der Schamane Karamakate (Antonio Bolivar/Nilbio Torres), letzter Überlebender seines Stammes und Hüter des Wissens um die heilige Pflanze Yakruna. Innerhalb seines Lebens trifft er zweimal auf europäische Forscher, die seine Hilfe suchen. Das eine Mal begegnet er im Jahr 1909 einem deutschen Ethnologen, Theodor Koch-Grünberg (Jan Bijvoet); Karamakate ist selbst noch ein junger Mann und steckt voller Ideale und dem Streben, seine Kultur zu verteidigen und das Wissen seiner Kultur zu bewahren. Er soll dem Fremden helfen und ihn von einer Tropenkrankheit heilen. Rund 30 Jahre später sucht ihn wieder ein junger Wissenschaftler auf, dieses Mal ist es der amerikanische Botaniker Evan Schultes (Brionne Davis); dieser hat das Buch von Koch-Grünberg gelesen und hofft, dass Karamakate ihm die Wunderpflanze zeigen könne, die ihm helfen soll, endlich träumen zu können.

Der Film begleitet die beiden Expeditionen, die 30 Jahre voneinander trennen, in alternierender Weise, so dass eine beeindruckende Reflexion entsteht. Die indigenen Jungen, die Anfang des 20. Jahrhunderts bei einem christlichen Priester aufwachsen, haben sich 30 Jahre später in beängstigend berauschte Figuren verwandelt, die sich gegenseitig zerfleischen. Was gut gemeint war, endet in der Katastrophe, im Kleinen wie im Großen.

Ciro Guerra entwirft in Der Schamane und die Schlange vor allem eine Dichotomie des Wissens: Es werden zwei Merkmalsräume etabliert — der der alten Welt, der indianischen Kultur, die das natürliche Wissen um den Lauf der Dinge, die Gefahren des Regenwaldes und dessen Kostbarkeiten beherrscht, auf der einen Seite und die Welt der Wissenschaft auf der anderen Seite, repräsentiert durch die beiden Reisenden. Diese kommen, um zu lernen: die ihnen so fremde Kultur und ihre Schätze — auch oder gerade besonders halluzinogene Pflanzen  — zu entdecken, zu erforschen und zu dokumentieren. Gleichzeitig bringen sie selbst einen großen Schatz an Wissen mit, der die Indigenen umgehend — wie ein Kompass zeigt — in seinen Bann zieht und sie fasziniert. Sie sind beeindruckt von den Errungenschaften der Weißen, wollen sie behalten, sie in Besitz nehmen, und sie sind bereit, wertvolle Gegenstände dagegen einzutauschen. Doch Theodor bleibt bestimmt, er will nichts von seiner Welt im Urwald lassen, zu kostbar sei das Wissen der Ureinwohner und das Funktionieren ihrer Welt.

Einerseits also erkennt Theodor hier Gefahr für das alte Amerika, andererseits wird daran auch eine eurozentrierte Überheblichkeit deutlich: Die europäische Wissenschaft will und darf lernen und sich weiterentwickeln, mehr noch sich nehmen und ausbeuten, die indigenen Völker aber sollen doch bitte innerhalb ihrer Wissensgrenzen bleiben. Damit legt Guerra bei seinem Kolonialismus-Kommentar einmal einen anderen Schwerpunkt, auch wenn er ebenso vom Kautschukraub und von der Missionierung der indigenen Bevölkerung Lateinamerikas erzählt. Diesen Kampf um Macht und Wissen verbindet er kongenial mit der faszinierenden Welt des Rausches, die von den Schamanen und indigenen Völkern perfekt beherrscht und von den Neuankömmlingen bewundert und gewünscht wird.

Der Schamane und die Schlange ist darüber hinaus eins: bildgewaltig, und das in Schwarzweiß. Wunderbare Sequenzen und Filmbilder reihen sich aneinander: Bilder von der triefenden Schönheit des Waldes, Kameraflüge über den Fluss, der Kampf zwischen Leopard und Schlange. Das sind nie dagewesene Szenen, bestechend scharf und perfekt kadriert. Die Wahl des durchgängigen Schwarzweißfilm überzeugt vor allem deshalb, weil sie Realität vermittelt: Unser Bild von Forschern und Entdeckern speist sich aus einem medialen Gedächtnis der (zur Zeit der Urwald-Expeditionen um die Jahrhundertwende natürlich ausschließlichen) Schwarzweißfotos. Zuhauf hat man die Bilder von weißen Männern in einer Gruppe von indigenen Menschen gesehen, in Der Schamane und die Schlange werden sie zu bewegten Bildern.

In Kolumbien, einem relativ kleinen Filmland, das erst in wenigen vergangenen Jahren seine Filmproduktion angekurbelt hat, spricht man schon vom wichtigsten Film des nationalen Kinos. In Cannes hat er u.a. einen der beliebten Preise, den Preis der Quinzaine, erhalten, darüber hinaus wurde La tierra y la sombra des Kolumbianers César Acevedo ebenfalls mehrfach ausgezeichnet. Während das kolumbianische Filmschaffen vor allem durch seine Gangsterfilme und Geschichten, die mit Gewalt und Drogen zu tun haben, international bekannt wurde, schaut es sich nun auch nach anderen Stoffen um und hat zumindest mit Der Schamane und die Schlange einen Volltreffer gelandet: eine anspruchsvolle und filmsprachlich wunderschöne Auseinandersetzung mit der Entwicklung des Landes, wenn nicht gar des Kontinentes.

(Festivalkritik Filmfest München 2015 von Verena Schmöller)

Der Schamane und die Schlange (2015)

Das Amazonasgebiet bietet immer ein spannendes Terrain für Abenteuerfilme: Die Üppigkeit des Regenwaldes, die gleißende Hitze, besser gesagt: Schwüle, unbekannte Flora und Fauna, die eine Durchquerung zur lebensgefährlichen Unternehmung werden lässt. Immer wieder haben der Urwald des Amazonas und seine Geschichte Regisseure gereizt, dort Filme zu drehen, man denke an Werner Herzogs meisterliche Filmfiguren „Aguirre“ und „Fitzcarraldo“, aber auch Produktionen neueren Datums wie etwa „Birdwatchers“ von Marco Bechis.

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Meinungen

HZeidi Kirmair · 01.05.2016

Wunderbare Bilder und Darsteller. Ansonsten verwirrend und für die indigene 'Welt nicht immer stimmig. Auf beiden Seiten häufen sich Widersprüche. Etwas sehr esoterisch.

Ana Villamil · 29.04.2016

Sehr gut. Sehr gut. Fantastisch Die Schamane und der Schlange.