Der Mann auf der Mauer

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Auf der Lauer auf der Mauer

Dieser Mann meint es absolut ernst: Arnulf Kabe (Marius Müller-Westernhagen), der mit seiner Frau Andrea (Patricia von Miseroni) auf dem Territorium der DDR nahe der Berliner Mauer lebt, will die Republik um jeden Preis so rasch wie möglich verlassen. Dafür hat er in der Vergangenheit bereits einige Festnahmen und Inhaftierungen in Kauf genommen und scheut nun auch den Aufenthalt in der Psychiatrie nicht, um endlich sein Ziel zu erreichen. Und tatsächlich ist Kabe dieses Mal unter den auserwählten Personen, die von der Bundesrepublik „freigekauft“ werden, so dass er endlich im westlichen Teil Berlins landet. Die Angelegenheit hat nur einen erheblichen Haken: Andrea ist in der DDR verblieben, und so leicht, wie Kabe sein hoffnungsvolles „Du kommst nach“ beim Abschied dahingesagt hat, gestaltet sich dieses Vorhaben keineswegs, zumal es gar nicht so sicher ist, dass seine Frau ebenfalls die DDR verlassen will.
Im Westen angekommen erfährt der idealistische Träumer Kabe – auf Grund seiner Vorliebe für diese biblische Figur auch Moses genannt –, dass es hier ganz andere Mauern und Grenzen zu überwinden gilt, um ein würdiges Leben zu führen. Sein neuer Mitbewohner Schacht (Towje Kleiner) vergräbt sich immer tiefer in seine Depressionen, während Kabe als Kämpfernatur auf seine ganz spezielle Weise Sturm gegen die Absurdität der deutsch-deutschen Situation läuft, wobei er sich nicht selten einer schrägen Bibel-Symbolik bedient und auch schon mal den Kontakt zu US-amerikanischen Streikräften sucht, die ihn allerdings als Spinner abschmettern. Als Kabe die hübsche Künstlerin Viktoria (Julie Carmen) kennen lernt, beginnt er, einen abenteuerlichen Plan auszuhecken. Viktoria, die wenig von diesen Hintergründen weiß, lässt sich zwar zögerlich, letztlich aber doch auf den enthusiastischen „Zoni“ ein, der ihr mitunter recht rätselhafte Botschaften offenbart: „Du bleibst hier, bis du die Frau geworden bist, die ich meine!“

Eines Tages beschließt Kabe spontan, schlicht in die DDR zurückzukehren, erklimmt die Mauer und springt in einen so genannten Todesstreifen, wobei er einem Wachposten mit den Worten „Nimm mich fest, ich hab Heimweh“ die Arme entgegenstreckt. Von nun an soll der Republikflüchtling als Spitzel fungieren, womit er die Möglichkeit hat, recht unkompliziert zwischen Ost- und Westberlin zu pendeln. Doch Kabe denkt gar nicht daran, seinen geheimen Auftrag zu erfüllen, sondern plant jetzt mit all seinem schrägen Scharfsinn, seine Frau in den Westen zu schleusen, wobei der ahnungslosen Viktoria eine tragende Rolle zukommt …

Der Mann auf der Mauer aus dem Jahre 1982 von Reinhard Hauff nach der Erzählung Der Mauerspringer von Peter Schneider, der auch das Drehbuch zum Film schrieb, stellt ein kurioses Werk über die Zeiten des „Kalten Kriegs“ dar, das neben einer abgefahrenen Geschichte reichlich gleichermaßen komische wie tragische Details von symbolhafter Signifikanz beinhaltet. Wenn Marius Müller-Westernhagen als Arnulf Kabe, den er mit bewegender Überzeugungskraft verkörpert, auf der Mauer balanciert oder diese mit einer Bohrmaschine attackiert, sind das (Sinn-)Bilder einer kruden Verzweiflung, die mit schwelender Emotionalität die Atmosphäre dieses ambivalenten Films prägen, der andererseits auch mit seinem witzigen Zynismus besticht. Da läuft in einem Kino Jules et Jim / Jules und Jim von François Truffaut, Marquard Bohm hat einen Gastauftritt als konspirativer Geldwechsler, es wird über die Waffen der Kritik und die Kritik der Waffen philosophiert und am Ende monologisiert die gebeutelte Hauptfigur über die Notwendigkeit von allmählichen humanistischen Veränderungen, eingeleitet mit der biblischen Formel „Fürchtet euch nicht!“.

In diesen Tagen jährt sich das Jubiläum des Mauerfalls zum zwanzigsten Mal, und Der Mann auf der Mauer stellt in diesem Zusammenhang auch retrospektiv einen einzigartigen fiktiven Beitrag zur Bewältigung der deutsch-deutschen Vergangenheit dar, der den Fokus auf den Menschen innerhalb einer widrigen Historie zwischen Nostalgie und Melancholie, Identität und Politik richtet, der sich mit dem Mut der Verzweiflung weigert, an den harten Realitäten zu zerbrechen.

Der Mann auf der Mauer

Dieser Mann meint es absolut ernst: Arnulf Kabe (Marius Müller-Westernhagen), der mit seiner Frau Andrea (Patricia von Miseroni) auf dem Territorium der DDR nahe der Berliner Mauer lebt, will die Republik um jeden Preis so rasch wie möglich verlassen.
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