Der Besucher

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Das Schweigen im Walde

Dass die Finnen ein schweigsames Volk sind, das wissen wir spätestens seit den melancholisch-komischen Filmen von Aki Kaurismäki. Was der finnische Regisseur Jukka-Pekka Valkeapää in seinem Debütfilm Der Besucher / Muukalainen allerdings vorführt, verlässt dann doch trotz großer Schweigsamkeit die vertrauten Gefilde des Bekannten und nimmt den Zuschauer mit auf eine ungleich düsterere Reise ins Unbekannte. Die kann sich wahrlich sehen und spüren lassen – auch wenn man bisweilen ziemlich viel Geduld mitbringen muss. Doch die Mühe lohnt sich.
Es dauert lange, bis in diesem Film zum ersten Mal gesprochen wird – geschlagene 17 Minuten sind es, um genau zu sein. Kein Wunder, dass innerhalb dieser Zeitspanne die Bilder und Geräusche eine noch wichtigere Rolle spielen, als sie es eh schon tun. Und hier zeigt sich die Könnerschaft von Jukka-Pekka Valkeapää und seinem Kameramann Tuomo Hutri. In außergewöhnlichen Kameraeinstellungen mit ausgeklügeltem Bildaufbau und extremen Unschärfen sowie dem häufigen Einsatz von Subjektiven führen sie den Zuschauer in die Vorstellungswelt eines etwa zehn Jahre alten, stummen Jungen (Vitali Bobrov) ein, der gemeinsam mit seiner Mutter (Emilia Ikäheimo) auf einem Hof irgendwo in den unendlichen Weiten der finnischen Wälder lebt. Der Vater (Jorma Tommila) des Jungen sitzt derweil im Gefängnis und wird gelegentlich von seinem Sohn besucht. Doch welchen Verbrechens er sich schuldig gemacht hat, das bleibt bis zum Ende des Films ein Geheimnis – wie überhaupt vieles. Einen allzu sympathischen oder gar liebevollen Eindruck macht der Vater jedenfalls nicht. Und rührt die Verletzung der Mutter am Bein etwa von Misshandlungen ihres Mannes her? Wie selbstverständlich setzen Assoziationen, Mutmaßungen und Gedankenketten ein, die versuchen, das Gesehene zu entschlüsseln, ihm Sinn zu verleihen und die Fragmente zu ergänzen.

Als ein Besucher (Pavel Liška) den Hof von Mutter und Sohn erreicht, dringt damit etwas Fremdes, Unbekanntes und Bedrohliches in die symbiotische Beziehung der beiden ein, die sich wahrhaftig ohne viele Worte verstehen. Offensichtlich kennen sich der inhaftierte Vater und der Fremde, der eine Schusswunde aufweist. Ist dieser vielleicht ein Komplize, der fliehen konnte, während der Vater geschnappt wurde und ins Gefängnis musste? Jedenfalls warnt jener seinen Sohn eindringlich vor dem Besucher. Und als der Junge den Eindringling eines Morgens bei seiner Mutter im Bett vorfindet, verdichten sich die unguten Gefühle – sowohl beim Zuschauer wie auch bei dem Jungen. Und dann bewahrheiten sich die Befürchtungen…

Es ist eine fremde und verwirrende Welt, in die uns Jukka-Pekka Valkeapää mit seinem Werk Der Besucher entführt. Und das nicht nur, weil der Film beinahe vollständig auf Dialoge verzichtet, sondern auch wegen der dichten und faszinierenden Kameraarbeit, die auf der Tonebene durch einen beeindruckend collagierten Soundteppich optimal unterstützt wird. Man sieht buchstäblich die Welt mit anderen Augen, nimmt sie aus dem Blickwinkel des Jungen wahr und schlüpft in dessen Haut.

Und so mischen sich Szenen von märchenhafter Entrücktheit und der Realismus eines Lebens in absoluter Armut und Einsamkeit und verdichten sich zu einer eigentlich recht einfachen Geschichte, die vor allem auf der sinnlichen Ebene berührt und überzeugt. Die Auflösung des Plots schafft es aber nicht, diese Faszination auf der Ebene der Narration fortzuführen. Aber vielleicht sind wir Zuschauer so viel Freiheit im Sehen und Mitfühlen einfach nicht mehr gewohnt.

Trotzdem: Man wünscht sich, dass Jukka-Pekka Valkeapää bald wieder einen Film machen wird. Und dann vielleicht einen mit einem etwas größeren Budget und einer weiter entwickelten Story. Das Ergebnis könnte dann richtig spannend werden. Ein außerordentliches Talent für Stimmungen und ein außergewöhnliches Gespür für neue Wege des Filmerzählens besitzt er ohne Zweifel.

Der Besucher

Dass die Finnen ein schweigsames Volk sind, das wissen wir spätestens seit den melancholisch-komischen Filmen von Aki Kaurismäki. Was der finnische Regisseur Jukka-Pekka Valkeapää in seinem Debütfilm „Der Besucher / Muukalainen“ allerdings vorführt, verlässt dann doch trotz großer Schweigsamkeit die vertrauten Gefilde des Bekannten und nimmt den Zuschauer mit auf eine ungleich düsterere Reise ins Unbekannte.
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