Das Lied in mir

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Eine schmerzhafte Identitätssuche

Ein kleiner Moment kann das ganze Leben verändern. Kann alles vertraute Wissen über das eigene Woher und damit über das gesamte Leben zum Einsturz bringen, bis nichts mehr so ist, wie es vorher war. Genau das geschieht in Florian Cossens auf mehreren Festivals ausgezeichnetem Debütfilm Das Lied in mir, der unter anderem bei den Hofer Filmtagen als Eröffnungsfilm zu sehen war. Trotz kleinerer Schwächen (vor allem im Drehbuch) überzeugt der Film durch exzellente Schauspieler und eine überaus feinfühlige Inszenierung.
Das oben beschriebene Ereignis ereilt die Schwimmerin Maria (Jessica Schwarz) ganz unvermutet auf einer Reise nach Chile, wo sie offensichtlich an einem Wettkampf teilnehmen will. Bei einem Zwischenstopp in Buenos Aires vernimmt Maria ein auf spanisch gesungenes Kinderlied und zeigt sich davon – obwohl der spanischen Sprache nicht mächtig – so berührt, dass sie in Tränen ausbricht und einen Art Zusammenbruch erleidet, den sie sich nicht erklären kann. Noch viel unbegreiflicher ist ihr, dass ihr Unterbewusstsein das Lied so gut zu kennen scheint, dass sie es mitsingen kann, ohne im Geringsten die Worte zu verstehen. Es hat den Anschein, als habe die zufällige Begegnung etwas tief in ihr Begrabenes zu Tage gefördert, doch Maria hat keinerlei Erinnerung daran, woher sie das Lied kennen, wo es ihr begegnet sein könnte. Erschüttert und von den unerwarteten Ereignissen verwirrt unterbricht Maria, deren Reisepass zudem in dem Durcheinander verschwunden ist, ihre Reise und stellt Nachforschungen an. Bis plötzlich ihr Vater (Michael Gwisdek) unvermutet vor der Tür ihres Hotels steht und alles daran setzt, seine Tochter zur Rückkehr nach Deutschland zu bewegen und die mysteriöse eigene Vergangenheit ruhen zu lassen. Maria aber will es nun genau wissen und macht sich zusammen mit dem (glücklicherweise deutschsprachigen) Polizisten Alejandro (Rafael Ferro) auf die Suche nach ihren Wurzeln.

Die Schwächen von Florian Cossens Film sind leicht auszumachen, sie liegen vor allem im Script, das am Anfang einen überaus flotten Einstieg in die Geschichte sucht und deshalb einige recht rumpelige Abkürzungen nimmt. So erscheint beispielsweise das Abhandenkommen von Marias Ausweis in Buenos Aires einerseits zusätzliche Begründung, warum sie nun vor Ort bleibt, andererseits ist der enorme Symbolgehalt des Verlustes des Identitätsnachweises beinahe schon ein wenig zu dick aufgetragen. Ähnlich rasant gestaltet sich die Begegnung Marias mit ihrem Vater, der (ohne dass es im vorherigen Telefongespräch einen Hinweis auf ihren Aufenthaltsort in der Millionenmetropole Buenos Aires gegeben hätte) unvermittelt vor ihrer Tür steht. Schließlich ist da noch die Liebesgeschichte zwischen Maria und Alejandro, die eher von den intensiven Momenten des Films ablenkt und die wie ein Zugeständnis an die Wünsche von Fernsehredakteuren (tatsächlich produzierten hier der BR und der SWR mit) wirkt. Merkwürdigerweise jedoch fallen Fehler wie diese zwar durchaus auf, stören aber den positiven Eindruck, den der Film beim Zuschauer hinterlässt, nicht in dem Maße, in dem man normalerweise auf solche Taschenspielertricks reagiert. Und man ertappt sich unwillkürlich bei der Frage, woran das eigentlich liegt.

Die Antwort ist gar nicht so einfach so beantworten, weil in Das Lied in mir verschiedene Faktoren zusammenkommen, die am Schluss doch den Ausschlag geben, dass dieser Film eines des besseren Debüts ist. Vom Vorspann an, in dem Cossen und sein Kameramann Matthias Fleischer bereits das Motiv des Schwimmens aufgreifen, fasziniert der Film immer wieder durch seine Bildsprache, seinen langsamen Rhythmus, durch das Eintauchen in den Schmelztiegel Buenos Aires. Neben dem überschaubaren Figurenrepertoire wird die Stadt mit ihrem nostalgisch-melancholischen Charme zu einem weiteren Akteur und erweist sich als ideale Bühne für eine Parabel um die Schatten der argentinischen Vergangenheit, die man durchaus im weiteren Sinne auch auf die deutsch-deutsche Geschichte ausweiten könnte, ohne dass dies explizit erwähnt wird. Schade nur, dass man so wenig über die Hintergründe des „guerra sucia“, des „schmutzigen Krieges“ der argentinische Militärjunta gegen das eigene Volk erfährt, dem rund 30.000 Menschen zum Opfer fielen.

Gelänge es beispielsweise, einen ähnlich intensiv inszenierten und bravorös gespielten Film über die deutsch-deutsche Vergangenheit auf die Leinwand zu bringen und die genannten Schwächen und faulen Kompromisse der Story auf ein Mindestmaß zu beschränken – was für ein großer Film wäre Das Lied in mir dann geworden. So ist Florian Cossen immerhin ein beeindruckendes, aber kein fehlerfreies Debüt gelungen.

Das Lied in mir

Ein kleiner Moment kann das ganze Leben verändern. Kann alles vertraute Wissen über das eigene Woher und damit über das gesamte Leben zum Einsturz bringen, bis nichts mehr so ist, wie es vorher war.
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