Das große Museum

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Unterwegs im KHM

Eine der schönsten Entdeckungen des vergangenen Kinojahres war für mich Jem Cohens Film Museum Hours – und das lag nicht allein daran, dass dieser Film vor allem im Kunsthistorischen Museum in Wien (kurz KHM) spielt, welches schlicht einer der schönsten Orte für die Kunst weltweit ist. In Johannes Holzhausens Dokumentarfilm Das große Museum, der bei der 64. Berlinale im Forum zu sehen ist, steht abermals das Museum selbst im Mittelpunkt einer filmischen Annäherung, die aber dieses Mal rein dokumentarisch gehalten ist.
Wie ein Entdecker bewegt sich der Filmemacher in dem weit verzweigten Gebäude, folgt den labyrinthischen Gängen, zeigt Skurriles, Alltägliches, Bewegendes und die mühevolle Arbeit des Konservierens, Bewahren, Hegens als sympathischen Mikrokosmos, der bei aller scheinbaren Beschaulichkeit niemals zur Ruhe kommt.

Über zwei Jahre lang hat Johannes Holzhausen im KHM gedreht. Ohne Interviews, ohne begleitende Filmmusik, ohne erklärenden Off-Kommentar begleitet er die verschiedenen Arbeiten, die in diesem Zeitraum in den verschiedenen Bereichen des Museums geschehen. Den Rahmen der Beobachtung geben zwei Ereignisse vor: Zum einen die Restaurierung eines Gemäldes, das zu Repräsentationszwecken des österreichischen Ministerpräsidenten Heinz Fischer dient, zum anderen der Umbau und die Neueröffnung der Kunstkammer, die schließlich am 1. März 2013 der Öffentlichkeit vorgestellt wird.

Man merkt es dem Film und der Art, wie die Protagonisten mit der Kamera und der Anwesenheit eines Filmteams umgehen, an, dass Holzhausen sich mit der Materie auskennt. Als studierter Kunsthistoriker verstand er es offensichtlich, den Menschen, deren Arbeit er begleitet, zu vermitteln, dass er ihre Sprache versteht, ihre Probleme, aber auch ihr Selbstverständnis kennt und teilt. Man fühlt sich von der Herangehensweise an den großen Dokumentaristen Frederic Wiseman erinnert, dessen Erkundungen von Institutionen wie der Pariser Oper hier sichtbar Pate standen. Vor einigen Jahren gab es übrigens einen von der Herangehensweise bereits recht ähnlichen Film aus Österreich – mit In die Welt erforschte Constantin Wulff eine Geburtsklinik in Wien. Und so verwundert es wenig, dass Wulff auch bei Das große Museum als Autor mitarbeitete; schließlich wurde sein Film im Jahre 2008 von Holzhausens Produktionsfirma „Navigator Film“ realisiert.

Dennoch ist Das große Museum kein „Imagefilm“ für das KHM geworden, immer wieder fließen die Probleme und auch zwischenmenschlichen Schwierigkeiten zwischen den verschiedenen Personen mit ein, etwa wenn es um die Budgetverteilung im Haus und um nötigen Einsparmaßnahmen geht. Ein anderes Mal beschwert sich eine Mitarbeiterin des Besucherservice, die sich und ihre Kollegen als die am weitesten unten angesiedelte Gruppe innerhalb des Stabes des Museums begreift, dass sie innerhalb von 11 Jahren ihrer Tätigkeit noch nie jemandem aus einem anderen Bereich vorgestellt worden wäre. Oder der Mitarbeiter des Museums aus Deutschland, der auf die Habsburger-Lastigkeit der Exponate hinweist und kritisch anmerkt, dass sich das Museum von diesem historischen Ballast entfernen müsse.

Dann wieder folgen Szenen, die beinahe schon skurril wirken: Wenn etwa ein Arbeiter mit einer Spitzhacke in einen wunderschönen, leergeräumten Saal des Museums geht und plötzlich auf den Holzfußboden eindrischt, dann wirkt die rohe Gewalt des Zerstörungswerkes so unvermittelt und dem Streben des Museums so diametral entgegengesetzt, dass es zum Lachen reizt. Ebenso wie der Restaurator, dem angesichts der Probleme bei einem Schiffsmodell riesige Schweißperlen auf den Stirn stehen und der bei einer besonders kniffeligen Aufgabe die Kamera so sehr vergisst, dass er selbst gar nicht bemerkt, wie ungehobelt (zumindest im Kontext des Museums) er vor sich hin flucht. Wobei die eher heiteren Beobachtungen auch das obere Management des Museums zeigen, die sich im steten Kampf mit der Tücke des Objekts oder der Bürokratie befinden: Bei einer Sitzung mokiert beispielsweise der kaufmännische Leiter einen Entwurf für eine Jahreskartenaktion damit, dass ihm die Ziffer 3 „zu aggressiv“ erscheine. Auch hier reagiert man zunächst mit Erheiterung auf den Einwand und bekommt doch eine Ahnung vermittelt, wie sehr es die Details sind, die für die Menschen des KHM zählen.

Was man jedoch ein wenig vermisst, ist der große Bogen des Films, eine Dramaturgie jenseits der Momentaufnahmen, die mehr zu bieten hat als reine Kontrastierungen. So bleibt der Film – und das ist das eigentlich Erstaunliche an einem Film über das „Ordnungssystem Museum“ – recht ungeordnet, fast schon chaotisch und durch den manchmal fehlenden Kontext bei allem Vergnügen auch ein wenig unbefriedigend.

Ganz am Ende des Films schwenkt die Kamera in ruhigen, bedächtigen Bewegungen über das wohl bekannteste Werk, das das KHM beherbergt – Pieter Bruegels Turmbau zu Babel. Spätestens hier wird klar, dass das Bild auch eine Metapher für das zuvor Gesehene sein könnte – nicht im Bezug auf die Hybris der Bauherren, die schließlich vom alttestamentarischen Gott grausam bestraft wurden, sondern hinsichtlich der Mühen, die das Auf- und Umbauen, das Bewahren, das Restaurieren des Gebäudes kostet. Das KHM ist zwar ein klar umrissener Ort, doch dieser befindet sich in einem permanenten Zustand der Veränderung. Fast scheint es so, als würden all die Menschen, die in seinem Inneren wirken, dafür sorgen, dass aus dem großen Museum mit der Zeit etwas ganz Anderes wird: Ein lebender Organismus, eine Institution mit einer zerbrechlichen Seele, die der ständigen Pflege bedarf. Sollte es jemals politische Forderungen nach einer Kürzung des Budgets des KHMs geben, empfehle ich den Verantwortlichen, sich diesen Film anzuschauen. Ich bin überzeugt, sie würden danach ihre Pläne ad acta legen und stattdessen den Etat kräftig aufstocken.

Das große Museum

Eine der schönsten Entdeckungen des vergangenen Kinojahres war für mich Jem Cohens Film „Museum Hours“ – und das lag nicht allein daran, dass dieser Film vor allem im Kunsthistorischen Museum in Wien (kurz KHM) spielt, welches schlicht einer der schönsten Orte für die Kunst weltweit ist. In Johannes Holzhausens Dokumentarfilm „Das große Museum“, der bei der 64. Berlinale im Forum zu sehen ist, steht abermals das Museum selbst im Mittelpunkt einer filmischen Annäherung, die aber dieses Mal rein dokumentarisch gehalten ist.
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