Das Gespenst der Freiheit (1974)

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Ein waches Schelmenstück jenseits klassischer Sehgewohnheiten

Da bewegt sich eine illustre Schar von Ärzten, Lehrern, Polizisten, Präfekten, Mönchen, Müttern, Vätern, Tanten, Neffen, Schwestern und sonstigen Gestalten durch eine unwegsame Dramaturgie, die ihre eingeführten Figuren in episodischer Manier immer wieder unvermittelt verlässt, um ganz anderen zu folgen, die scheinbar zufällig zusammentreffen. Das Gespenst der Freiheit von Luis Buñuel aus dem Jahre 1974 schert sich wenig um klasssische filmische Erzählformen und attackiert auf formaler wie inhaltlicher Ebene mit großer humoristischer Leichtigkeit die Sehgewohnheiten des Zuschauers. Innerhalb der langjährigen, vertrauten Zusammenarbeit zwischen Luis Buñuel und dem Filmautoren Jean-Claude Carrière (Viva Maria!, 1965, Die Blechtrommel, 1979, Goyas Geister / Goya´s Ghosts, 2006) wurde das Drehbuch entwickelt, über dessen Entstehung der erfolgreiche französische Autor in der Dokumentation Die Feier des Zufalls / La célébration du hasard von Julien Gaurichon berichtet, die unter den Extras der DVD zu finden ist.

Das Gespenst der Freiheit eröffnet mit einer Szene, während welcher im Zuge des zweiten Mai 1808 – des historischen Aufstandes in Madrid gegen die damalige desolate politische Situation – einige Widerständige von Erschießungskommandos hingerichtet werden. Es ist ebenso wegweisend wie signifikant für den ganz eigenen, schrägen Humor des Films, dass sich auch Luis Buñuel und Serge Silberman unter diesen unglückseligen Figuren befinden – der Regisseur und der Produzent dieser köstlichen Groteske.

Es folgen Episoden der Familie Foucauld, innerhalb welcher die Tochter von einem üblen „Onkel“ auf dem Spielplatz heimlich Fotos zugesteckt bekommt, die sich allerdings in ihrer Harmlosigkeit der dramaturgisch angedeuteten Brisanz vollkommen verweigern. Vater Foucauld (Jean-Claude Brialy), den in dieser Nacht eine seltsam bebilderte Schlaflosigkeit heimsucht, begibt sich auf Grund seiner chronischen Erschöpfung zum Arzt, doch vorerst erfährt der Zuschauer noch kein Ergebnis der Untersuchungen, denn nun heftet sich die Kamera an die Krankenschwester (Milena Vukotic), die in der Praxis arbeitet. Die junge Frau erlebt eine seltsame Nacht in einem kleinen Hotel, dessen Gäste sich in haarsträubenden Konstellationen begegnen.

Es schließen sich weitere heftige Imaginationen und Geschichten um eine Polizeischule und das skurrile Verschwinden der kleinen Aliette Foucauld (Valerie Blanco) an, denen eine Episode um einen Amokläufer und den Polizeipräfekten folgen, der eine kuriose Verdopplung erfährt. Werden manche Motive der einzelnen Fragmente wieder aufgegriffen, verschallen andere schlichtweg in einem Raum hinter dem Film, dessen imaginäre Präsenz einer nicht erfolgenden Auflösung dieses rätselhaften Films gleich innerhalb seiner formalen Konstruktion mitzuschwingen scheint. Die Freiheit als verwirrendes Gespenst durchhuscht wie ein unsichtbarer Leitfaden die Dramaturgie, deren grandios gelungene Gestaltung im Bürgerlich-Banalen die Abgründe und Perversionen der Gesellschaft aufspürt.

Luis Buñuel präsentiert seine Protagonisten als Gefangene der eigenen Wahrnehmungen und Konzepte, die hier kräftig perturbiert werden, um ihre Transparenz zu enthüllen, die etliche Implikationen philosophischer und psychologischer Natur beinhaltet. Das Gespenst der Freiheit als die vorletzte der Regiearbeiten des spanisch-mexikanischen Filmemachers, die mit Dieses obskure Objekt der Begierde / Cet obscur objet du désir von 1977 schließen, stellt einen herrlich chaotischen Film mit ganz wunderbarer, wacher Komik dar, der neben dem gewaltigen Vergnügen der Sichtung auch messerscharfe Inspirationen zu einer reflektierten Betrachtung der Beziehung von Film, Figuren, Fiktion und so genannten Fakten anbietet.
 

Das Gespenst der Freiheit (1974)

Da bewegt sich eine illustre Schar von Ärzten, Lehrern, Polizisten, Präfekten, Mönchen, Müttern, Vätern, Tanten, Neffen, Schwestern und sonstigen Gestalten durch eine unwegsame Dramaturgie, die ihre eingeführten Figuren in episodischer Manier immer wieder unvermittelt verlässt, um ganz anderen zu folgen, die scheinbar zufällig zusammentreffen.

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