Das Blaue vom Himmel

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Familiengeheimnisse und falsche Versprechungen

Es muss eine eigenartige Faszination vom Baltikum ausgehen, das nun nach Poll von Chris Kraus zum zweiten Mal binnen kurzer Zeit zum Handlungsort eines deutschen Spielfilmes wird. Es ist aber nicht allein das Land, das die beiden Filme voneinander unterscheidet (bei Kraus handelte es sich Estland, bei Hans Steinbichlicher um Lettland), sondern auch die zeitliche Verortung. Während Poll ausschließlich in der Vergangenheit des Jahres 1914 spielt, ist die Geschichte von Das Blaue vom Himmel gleich in zweifacher Hinsicht viel später angesiedelt. Mit Ausnahme einiger Rückblenden, die bis in die 1930er Jahre zurückreichen, spielt der Steinbichlers Film überwiegend im Jahre 1991 – just in jener Zeit also, als sich die baltischen Staaten von der Jahrzehnte langen Hegemonie der früheren Sowjetunion emanzipieren und den schwierigen Weg in die Unabhängigkeit gehen.
Zeugin dieses Umbruchs, der in Deutschland aufgrund der Folgen der Wiedervereinigung nicht genügend Beachtung fand, ist in jenen Tagen auch die Fernsehjournalistin Sofia (Juliane Köhler), die die Ereignisse in Berlin verfolgt. Dann erreicht sie ein Anruf aus Wuppertal, dass man ihre Mutter Marga (Hannelore Elsner) im Zustand geistiger Verwirrung in einem fremden Haus vorgefunden habe und dass diese der Hilfe ihrer Tochter bedürfe. Widerstrebend macht sich Sofia auf den Weg, das Verhältnis zu ihrer Mutter war nie das Beste. Und dennoch kann sie sich ihren Verpflichtungen nicht entziehen. Was die Journalistin aber nicht ahnt: Die Alzheimer-Erkrankung ihrer Mutter bringt ein gigantisches Lügengebäude zum Einsturz und enthüllt ein Geheimnis, das die beiden Frauen schließlich bis nach Lettland führen wird.

Im Grunde ähnelt Das Blaue vom Himmel Hans Steinbichlers vorherigen Filmen Hierankl und Winterreise. Hier wie dort geht es um Lebenslügen und um Reisen, die nicht nur zu fernen Zielen, sondern auch zu Geheimnissen führen, von denen sich mancher der Beteiligten lieber gewünscht hätte, sie wären im Verborgenen geblieben. Diesem Muster folgt nun auch Hans Steinbichler neues Werk, doch es mag sich nicht die gleiche Faszination einstellen, mit der man Winterreise und vor allem Hierankl begegnete. Die Gründe hierfür sind auf den ersten Blick gar nicht so leicht zu fassen, denn neben einer ausgezeichneten und sehr prominenten Besetzung (neben Juliane Köhler und Hannelore Elsner spielen unter anderen David Kross, Juliane Herfurth und Rüdiger Vogler kleine, aber feine Rollen) weiß der Film vor allem durch die streckenweise formidable Kameraarbeit von Bella Halben zu gefallen. Dabei sind es vor allem die Bilder jener Sequenzen, die in die Vergangenheit zurückschweifen, die durch ihr Gespür für Licht und eine große Dynamik der Kamera bestechen.

Bei genauerer Betrachtung aber ist es vor allem die Vollblutschauspielerin Hannelore Elsner, deren Darstellung einer an Alzheimer Erkrankten oftmals übertrieben und deshalb nicht immer überzeugend gerät. Zudem spielt sich die enorm emotionsgeladene Musik von Niki Reiser häufig in den Vordergrund und scheint so die Bilder mit noch mehr Gefühlen als sowieso schon vorhanden pushen zu wollen. Was eigentlich gar nicht nötig wäre und an manchen Stellen einen beinahe schon penetranten Eindruck hinterlässt, der manchmal eher an TV-Melodramen erinnert. Die beabsichtigte Nähe und emotionale Verbindung zu den Figuren, bei denen die Frauen deutlich mehr im Mittelpunkt des Interesses stehen als die Männer, stellt sich indes nicht immer im gewünschten Maße ein. Obgleich Karoline Herfurths Anteil an der Handlung deutlich geringer ausfällt als der von Hannelore Elsner, ist uns die junge Marga deutlich näher als die Marga späterer Jahre. Und das liegt nicht allein an den verwirrten Reden Margas, an ihren repetitven Floskeln, deren Humor seltsam unpassend erscheint.

So ist Das Blaue vom Himmel gleich in doppeltem Sinne ein treffender Titel, was dem Film nicht unbedingt zum Vorteil gereicht. Zum einen bezeichnet er das Lügengebäude, das durch die Erkrankung Margas zum Einsturz kommt. Und zum anderen kündet er von der milden Enttäuschung über diesen Film, der dem enormen Talent Hans Steinbichlers und den zugegebenermaßen großen Erwartungen an ihn nicht ganz gerecht wird.

Das Blaue vom Himmel

Es muss eine eigenartige Faszination vom Baltikum ausgehen, das nun nach „Poll“ von Chris Kraus zum zweiten Mal binnen kurzer Zeit zum Handlungsort eines deutschen Spielfilmes wird. Es ist aber nicht allein das Land, das die beiden Filme voneinander unterscheidet (bei Kraus handelte es sich Estland, bei Hans Steinbichler um Lettland), sondern auch die zeitliche Verortung.
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Meinungen

Erich Fischer · 18.07.2022

Ich stimme mit den positiven Leserkommentaren überein, finde die Nörgeleien in der Kino-Zeit-Kritik unangebracht. Wir sehen hier eine gut umgesetzte berührende Tragödie, wo ich für alle Charaktere Empathie empfinde (was bei einem deutschen Film äußerst selten vorkommt), von sämtlichen Schauspielern glaubhaft rübergebracht. Da hätte man nichts besser machen können!

Magicboy · 19.09.2011

Exzellenter, berührender Film mit einem wunderschönen Soundtrack (habe ich mir direkt auf CD gekauft). Auch wenn Hannelore Elsner für eine demente Alterskranke viel zu attraktiv aussah, war sie für mich verblüffend überzeugend (oscar-reif!)

iris brock · 01.08.2011

Herausragendes deutsches Kino,die Hauptrolle hätte mit
niemand anderem als Hannelore Elsner besser besetzt werden können. Wunderbare Bilder, reduziertes Schauspiel, trotzdem zutiefst berührend, wenig Text und dennoch viel
Emotion und Inhalt. Ein wichtiger Film und ein Stück Geschichte. Danke.

Ewald Metzger · 10.06.2011

der Film ist sehr gut gemacht. Die Schauspieler, insbesondere die 3 Hauptdarstellerinnen, aber auch Kross,Vogler,Brandt,waren hervorragend. Trotz der Schwere des Themas ist es Hans Steinbichler gelungen die Schönheit der Bilder sprechen zu lassen. Durch die herrlich unpassenden "Sprüche" der Marga kommt in das eher düstere Thema Helligkeit und Komik in den Film. Der Film ist mehr als gute Unterhaltung. Ich werde ihn sicher noch mehrmals ansehen.

chrissi · 07.06.2011

der Film hat mir recht gut gefallen,aber Frau Elsner war zu stark geschminkt,man konnte ihr die Kranke nicht so richtig glauben,alle anderen waren super gut.

josephin@thayenthal.de · 16.01.2011

Bitte bei Drehbuch Namen berichtigen: Josephin Thayenthal und Robert Thayenthal