Colo (2017)

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Irgendwo in Portugal: Mutter, Vater, Tochter. In einem Hochhaus, in einer Wohnung. Alles ganz normal. Scheint es. Ist es aber nicht. Der Vater ist nervös, die Mutter noch nicht zuhause. Die Tochter ist volljährig, geht noch zur Schule und ritzt sich. Der Vater denkt, dass seine Frau ihn verlässt.

Als sie nach Hause kommt, muss sie ihn auf dem Rasen vorm Haus aufsammeln. „Wollen wir zu Abend essen? Ganz normal, als Familie?“ fragt sie. Doch da ist Normalität schon längst erschüttert und Colo, der Schoß, also die Familie, ebenfalls.

Dabei ist das nicht das Einzige, was in Teresa Villaverdes Film unterzugehen droht. Vielmehr ist diese Familie nur der Nukleus, in dem sich die Probleme des Landes widerspiegeln und auf die er reagiert. Portugal ist seit Jahren in einer massiven Krise. Die Arbeitslosigkeit ist hoch. Der Vater hat keinen Job mehr, die Mutter versucht das erfolglos mit mehreren Jobs zu kompensieren. Die Tochter, im Kopf noch mehr Kind, als alles andere, geht bald in eine Zukunft, die keine ist. Vielleicht ahnt sie das schon und hält deshalb so beharrlich daran fest, die Kleine sein zu wollen. Doch die Zeit lässt sich nicht aufhalten und die Krise beendet sich nicht. Vielmehr durchsickert sie inzwischen die Hochhauswohnung und alle Beziehungen. Am Anfang noch fast unbemerkt. Doch bald schon ist sie der riesige Elefant im Raum, der die Luft zum Atmen nimmt.

Doch Colo ist kein Film des Stillstands. Es ist ein Film der langsamen, kontemplativen Dekonstruktion. Eine Gesellschaft gibt es nicht. Die Bars sind zu oder leer, Menschen sind nicht auf den Straßen, die Stadt ist still. Nur einzelne Menschen sind noch da. Die Freundin der Tochter, die schwanger ist. Der Fischer, der eine kleine Hütte am Fluss hat und dort Aal pökelt, die Nachbarin, die die Handys der Familie auflädt, nachdem ihr der Strom abgestellt wurde. Eine Familie ist auch bald nicht mehr vorhanden. Der Vater verliert sich zusehends im Elend der Arbeitslosigkeit, die Mutter im Stress und die Tochter muss sich entscheiden, wie ihr Leben überhaupt aussehen soll.

All dies beobachtet Villaverde Film mit ruhigen, zurückgenommenen Bildern, die oft bevorzugen auf Abstand zu bleiben und leise zu beobachten, wie sich diese drei Menschen in den kleinsten Nuancen verändern. Erstaunlich dabei ist, dass es für alle Drei doch immer irgendwie weitergeht. Wenn auch im Promillebereich, doch die Leben und Welten ändern sich. Dabei ist schwer zu sagen, ob Colo hier das Abrutschen in die Obdachlosigkeit zeigt oder eher ein sich Verwandeln und Abstreifen von alten Ideen, Strukturen und Rollen. Klar ist nur eins: das, was sonst üblich war, das was früher gut ging, ist nicht mehr. Die Krise zwingt dazu, sich komplett neu zu verorten und dies geschieht nicht, wie so oft in anderen Filmen, in der Familie. Im Gegenteil, diese erweist sich als recht nutzlos und überholt.

Villaverdes Film seziert diesen Zerfall und Neuanfang in über zwei Stunden so kleinteilig, dass man das Gefühl bekommt jede noch so kleine Bewegung mitzubekommen. Dafür braucht man aber die entsprechende Geduld. Man muss sich einlassen auf dieses gezügelte Tempo, dass das Publikum auch zwingt emotional in diese bedrückende Lebenssituation einzutauchen und den Druck, die Lähmung und den Zerfall zu spüren.

Colo (2017)

Teresa Villaverde bewegt sich in gewohntem Terrain — Familien am Rande der Implosion. In diesem Fall geschuldet durch die zunehmende Isolation und Ratlosigkeit der europäischen Gesellschaft.

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