Close-Knit (2017)

Eine Filmkritik von Katrin Doerksen

Ein netter Onkel

Seit dem Jahre 2002 ist es allen Japanern, die sich einer geschlechtsangleichenden Operation unterzogen haben, gesetzlich erlaubt, ihren rechtlichen Personenstand entsprechend dem eigenen Empfinden zu ändern. An diesem Punkt befindet sich Rinko (Toma Ikuta) in Close-Knit.

Die Arbeit an ihrem Körper ist abgeschlossen, wie sie sagt, aber so ganz hat sie das Mannsein noch nicht hinter sich gelassen. Es ist hilfreich, dass sie ihren Zustand erklärt, denn in Naoko Ogigamis siebtem Spielfilm lernen wir Rinko durch die Augen eines Kindes kennen.

Die elfjährige Tomo (Rinka Kakihara) muss mit vielen Problemen gleichzeitig fertig werden. Eines davon ist ihre Mutter, die, wenn sie spät nach Hause kommt, meist betrunken ist, und eines Tages schließlich ganz wegbleibt. Die einzige Möglichkeit ist, bei ihrem Onkel Makio (Kenta Kiritani) unterzukommen, der mit Rinko in einer festen Beziehung zusammenlebt. Diese anfängliche Zweck-WG-Konstellation nutzt Naoko Ogigami, um Close-Knit als Ensembledrama zu etablieren: Tomo, die sich allein gelassen fühlt, muss sich an die neue Situation gewöhnen. Innerfamiliäre Spannungen scheint es auch zwischen Mutter und Großmutter zu geben. Dann ist da noch das repressive Umfeld: Nachbarn, die bei der Begegnung im Supermarkt die Nase rümpfen oder schlimmer. Ein Freund, der in der Schule gemobbt wird, weil er sich in einen Fußballspieler aus der Parallelklasse verliebt hat.

Close-Knit ist ein sehr behutsamer Film: die Kamera verweilt auf Details, das diffuse Licht entschärft Kontraste, zeichnet die gemeinsame Wohnung gewissermaßen als einen behaglichen Safe Space. Ein vergleichbar ausgefeiltes Interesse gilt den Figuren. Rinko wird von Naoko Ogigami nicht zu einer stereotypen Vertreterin aller Transfrauen degradiert, sondern hat Tiefe, Persönlichkeit, eine eigene Geschichte. Eine Ausnahme bildet Tomos Mutter, die die meiste Zeit über durch ihre Abwesenheit auffällt und über die dementsprechend oft der Stab gebrochen wird: als sie gegen Ende schließlich ein einziges Mal zu Wort kommt, den Druck zur Sprache bringt, der auf ihr als Alleinerziehender lastet, hat sich bereits der Eindruck breitgemacht, dass eine potentiell starke Dimension der Geschichte verschenkt wurde.

In der zweiten Hälfte gewinnt Close-Knit noch einmal an Fahrt, endlich rückt die titelgebende Strick-Metapher in den Vordergrund. Zuerst sind es nur die Berge von Garn, die stets griffbereit in der Wohnung liegen. Irgendwann erklärt Rinko aber ihrer neuen Ziehtochter, wieso sie ständig Pullover strickt, Schals oder seltsame Wollwürste. Es ist ihre Methode, um Frust und Ärger verrauchen zu lassen, jede neue Masche ein imaginärer Fluch gegen alles, was ihr das Leben schwermacht. Bald schon stricken Tomo und Makio mit — die Drei beim stoischen Ausüben ihrer neuen Lieblingstätigkeit zu zeigen, entwickelt sich nicht nur zu einem Running Gag, es kündet auch das Finale von Close-Knit an, einen emotionalen Übergangsritus, begangen im intimen Patchwork-Familienkreis.

Es ist ein symptomatisches Finale für diesen Film, der Lösungen und Wege lieber im Privaten sucht, statt eine gesamtgesellschaftliche Perspektive zu wagen. Patriarchale Zwänge und eine kaum zu übersehene Skepsis gegen alles von der Norm Abweichende scheinen in Japan durchaus ein strukturelles Problem zu sein, das deutet Naoko Ogigami in den Handlungssträngen, den Dialogen und ihrem alltäglich-realistischen Stil an. Aber dann zieht sie den Kopf ein. Close-Knit ist stark in den Momenten, in denen es Sympathien zu gewinnen, Mitgefühl zu wecken gilt. Sobald das Gefühlsspektrum aber ausschlägt in Richtung Trauer, Verzweiflung und Wut, ist er wie ein netter Onkel, der wohlmeinend den Blick abschirmt, der für hässliche Dinge Metaphern findet und im Zweifel lieber das Thema wechselt. „Manchmal haben sich Eltern und Kinder zu sehr lieb“, so lautet Makios einzige Erklärung für alle unausgesprochenen Probleme der Familie und später löst sich eine eigentlich tragische Szene in nichts als Geigenmusik und ästhetischer Tiefenschärfe auf. Lass dir deinen Ärger nicht anmerken und schau einfach stur geradeaus, scheint der nette Onkel uns zuzuraunen. Sicher ist das eine würdevolle Haltung. Ob sie wirklich etwas verändert, ist eine andere Frage.

Close-Knit (2017)

Seit dem Jahre 2002 ist es allen Japanern, die sich einer geschlechtsangleichenden Operation unterzogen haben, gesetzlich erlaubt, ihren rechtlichen Personenstand entsprechend dem eigenen Empfinden zu ändern. An diesem Punkt befindet sich Rinko (Toma Ikuta) in „Close-Knit“.

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