Clara und das Geheimnis der Bären

Eine Filmkritik von Rochus Wolff

Die Sage von der Bärenfrau

Der Wechsel ist abrupt: Eben noch ist Clara zwischen friedlich feiernden Menschen in ihrem Schweizer Bergdorf, im nächsten Moment brennt da im großen Lagerfeuer eine Frau, festgebunden an einem Pfahl. Und niemand außer Clara kann sie sehen. Nur die alte Frau auf der Bank nickt wissend; sie wird ihr später erklären können, was sie da eigentlich wahrgenommen hat.
Es ist gelegentlich starker Tobak, den Regisseur Tobias Ineichen seinem jugendlichen, ach was: durchaus auch kindlichen Publikum da zumutet, aber der Moment, in dem Clara (Ricarda Zimmerer) ihre Vision einer Hexenverbrennung hat, ist dann auch der heftigste im ganzen Film. Denn obwohl die Wechsel zwischen Realität und Vision hier gelegentlich so abrupt sind wie etwa in Guillermo del Toros Pans Labyrinth, so fehlt es Clara und das Geheimnis der Bären doch an der Dramatik und Tragik von del Toros Parabel über Grausamkeit und Phantasie der Menschen; Ineichen interessiert sich eher für die Magie, die in den Ritzen unserer Wahrnehmung und vor allem in der Natur zu finden ist.

Clara wohnt mit ihrer Mutter Nina (Elena Uhlig) und ihrem Stiefvater Jon (Roeland Wiesnekker) auf einem Berghof etwas außerhalb des Dorfes; zur Schule geht sie, wenn sie den Bus nicht nehmen will, auch mal zu Fuß durch den Wald. Im neuen Schuljahr freundet sich die 13-jährige mit Thomas (Damian Hardung) an, einem Heimkind, der hierher zu Gasteltern gewissermaßen strafversetzt wurde. Nachdem Clara im Wald einen Bären gesehen hat, beginnen ihre Visionen, in denen immer wieder Susanna (Rifka Fehr) auftaucht, die vor etwa 200 Jahren auf ihrem Hof lebte; und all das scheint im Zusammenhang zu stehen mit der im Dorf geläufigen uralten Sage von der Bärenfrau.

Geringere Regisseure und Autoren – Ineichen arbeitete auf der Grundlage eines Buches von Jan Poldervaart, der wie er zuvor vor allem fürs Fernsehen gearbeitet hat – hätten aus dem vorhandenen Stoff wahrscheinlich ein Garn über die erwachende Sexualität eines Mädchens gedreht: mit freier Wildnis, wilden Tieren und einer Hexenverbrennung im Hintergrund gäbe es dafür reichlich (freilich sensationalistisch anmutende) Gelegenheit.

Stattdessen konzentriert sich der Film auf eine sehr ruhige Variation des Coming-of-Age-Themas: Natürlich gibt es Konflikte mit den Eltern und vor allem dem Stiefvater, und natürlich spielt auch die Freundschaft mit Thomas eine Rolle. Aber diese Beziehungen sind selbstverständlich, auch die Auseinandersetzungen sind letztlich unangestrengt, nicht überdramatisiert. Man mag das als Heile-Welt-Kino empfinden, aber es ist zum einen in Dramatik und Themen zielgenau auf ein Publikum schon ab acht Jahren ausgerichtet und erlaubt sich zum anderen den Luxus, zugunsten der Konzentration auf die Figuren in der Handlung dicht und unaufgeregt zu bleiben.

Die junge Ricarda Zimmerer, die ihr Leinwanddebüt schon 2010 in Hanni & Nanni hatte, trägt den Film zwar nicht im Alleingang – dafür ist das Ensemble glücklicherweise zu stark –, empfiehlt sich aber als Clara auch für weitere Hauptrollen. Man möchte ihrer Figur eigentlich noch länger dabei zusehen, wie sie sich mit ihren Wahrnehmungen auseinandersetzt und schließlich den Mut entwickelt, sich selbst zu glauben. Und von Ineichen möchte man ebenfalls noch mehr sehen – in einen Film, in dem es auch sehr stark darum geht, sich um die Natur zu sorgen, flicht er zwar wunderschöne Naturaufnahmen, umschifft aber weitgehend die Neigung zur Naturmystik zugunsten klarer Bilder. Ein Film wie die Schweizer Bergluft.

Clara und das Geheimnis der Bären

Der Wechsel ist abrupt: Eben noch ist Clara zwischen friedlich feiernden Menschen in ihrem Schweizer Bergdorf, im nächsten Moment brennt da im großen Lagerfeuer eine Frau, festgebunden an einem Pfahl. Und niemand außer Clara kann sie sehen. Nur die alte Frau auf der Bank nickt wissend; sie wird ihr später erklären können, was sie da eigentlich wahrgenommen hat.
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