Chavela (2017)

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Viva Chavela!

„Ask me whatever you want.“ Chavela Vargas war nie um eine Antwort verlegen, weder als junge aufmüpfige Sängerin im revolutionären Machismo-Look noch als tequila-getränkte Grande Dame des mexikanischen Liedguts, längst verarmt und weit abgeschieden in der Einöde Costa Ricas Ende der 1980er Jahre hausend.

Zwei Stunden entfernt von der pulsierenden Hauptstadt San José – und scheinbar Lichtjahre von ihrer früheren Existenz. Ehe sie Walter Saxer, Werner Herzogs langjähriger ausführender Produzent, dort im Zuge der Vorbereitungen zum Bergfilm Schrei aus Stein (1991) systematisch suchen ließ – und tatsächlich fand, was nichts weniger als eine echte Sensation war: Schließlich galt die besonders ausdrucksstarke Diseuse in der öffentlichen Wahrnehmung längst als tote, irgendwie und irgendwo verschollene Künstlergestalt. Im fertigen Film spielte sie daraufhin eine Indianerbraut mit schamanischen Zügen, was perfekt zum Lebensstil wie zur persönlichen Einstellung der offen an Naturgeister und Mystizismen glaubenden Chavela Vargas passte.

Leider ist davon nichts zu sehen in Catherine Gunds und Daresha Kyis emotionaler filmischer Annäherung an „La Señora“, wie sie von ihren zahlreichen Liebhaberinnen höchst respektvoll genannt wurde. Dafür aber umso mehr von Pedro Almodóvar, einem ihrer Förderer, der ihre unnachahmliche Stimme gleich mehrfach in seinem Œuvre einsetzte (z.B. sehr gelungen in Die Waffen einer Frau, Volver und zuletzt in Julieta). Seinem großen Engagement ist es letzten Ende zu verdanken, dass sich „Chavela“ – wie sie in der internationalen Presse schlicht gerufen wurde – 1994 und bereits hochbetagt noch einen Lebenstraum erfüllen konnte: Einen Liederabend im ebenso legendären Olympia in Paris geben zu können – sozusagen als No Name in Frankreich, der sich auch dort über Nacht in einen gigantischen Star verwandelte.

Bis zum Ende hin – Chavela Vargas lebte noch bis 2012 – wollte sie danach nur noch eines: „Am liebsten auf der Bühne sterben“, wie sie es Almodóvar – „ihrem Mann auf Erden“ – bis zuletzt immer wieder eintrichterte. Singend natürlich und in großer Pose, also das, was noch niemand vor ihr geschafft hatte. Dieser Wunsch bliebt ihr zwar verwehrt, aber als weltweit gefeierte Interpretin von traditionellen mexikanischen Liebes-, Natur- und Sehnsuchtsliedern trat sie in der Tat, Rollstuhl hin oder her, bis zum letzten Tag auf. Selbst mit 93 Jahren konnte sie durch ihre immense Bühnenpräsenz noch neue, zum Teil sogar deutlich jüngere ZuhörerInnen für sich gewinnen. Denn wenn sie schmerzverzerrt, ohne sich das natürlich im selben Diven-Moment anmerken zu lassen, in ihrem bekannten Poncho-Look die Bühne betrat und kurz darauf die Arme wie ein Schwan ausbreitete, gehörte ihr prompt die Aufmerksamkeit des gesamten Konzertsaals. Und dann schluchzte sie los, wisperte die Vokale, brüllte gar manche Noten mitunter sogar direkt hinein in die Gesichter ihres staunenden Publikums.

Das muss man wirklich gesehen und gehört haben, wozu ihr das liebevoll arrangierte Biopic Chavela auch gebührend Platz einräumt. Wer einmal ihre höchst pathetisch vorgetragenen Canciones Rancheras im Ohr hatte, wird sie nie mehr los. Die „Göttin mit Gitarre“ konnte durch ihre bloße Präsenz einen ganzen Raum füllen, selbst wenn sie noch gar keinen Ton gesungen hatte: Dieses scharfkantige Gesicht, diese hohen Wangenknochen, dazu dieser frech-forsche Männerblick aus den Augen einer selbstbewussten Frau in Hosen – all das brannte sich sofort ein. Im Kern sang sie jedes Mal wieder um ihr Leben, nichts weniger. Darunter machte sie es einfach nicht. Kein Wunder also, dass ihre universell verständlichen Schmachtsongs wie z.B. La Macorina oder La Llorona immer noch gerne in der internationalen LGBT-Gemeinde ebenso wie unter südamerikanischen Guerilla-Kämpfern gefeiert werden. Das nächste Paradox, was allerdings nur ein weiteres Mal sehr gut zur rauen Vita jener Ausnahmesängerin passt.

Sie liebte und hasste intensiv in ihrem Leben – und wurde selbst lange Zeit verehrt, zum Teil aber auch offen verachtet, besonders in ihrer mexikanischen Wahlheimat. Kurzum: Chavela Vargas, die unter anderem Affären mit Frida Kahlo und Ava Gardner hatte, polarisierte wie kaum eine andere südamerikanische Künstlerin. Trotzdem sei die „Einsamkeit“ zeitlebens ihr größter Freund gewesen, bekennt die lange Zeit stark alkoholkranke Chavela gleich mehrfach in dem sensationellen Videotape-Footage von Catherine Gund, der es im Winter 1992 gelungen war, die wuselige Diva für ein längeres Gespräch vor die Linse zu bringen. „Vergesst meinen Namen nicht“, fordert sie ebenfalls an mehreren Stellen. Nein, das ist ausgeschlossen, erst recht nicht nach diesem filmisch überaus gelungenen Salutschuss für grenzenlose Freiheit und ein selbstbestimmtes Leben: Viva Chavela!

Chavela (2017)

„Ask me whatever you want.“ Chavela Vargas war nie um eine Antwort verlegen, weder als junge aufmüpfige Sängerin im revolutionären Machismo-Look noch als tequila-getränkte Grande Dame des mexikanischen Liedguts, längst verarmt und weit abgeschieden in der Einöde Costa Ricas Ende der 1980er Jahre hausend.

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